Lesen gegen Hass 3: Vergesst den Ukraine-Krieg nicht!

Während ich den in Orange-, Grün- und Gelbtönen gehaltenen Graphic-Novel las, umgab mich leise Begleitmusik. Als ich zur nächsten Seite umblätterte, musste ich erstaunt innehalten.

I’m gonna lay down my burden, 
Down by the riverside,  
Down by the riverside,  
Down by the riverside.  
Gonna lay down my burden,  
Down by the riverside,  
Down by the riverside. 


I ain’t go study war no more,  
study war no more, 
ain’t go study war no more. 
I ain’t go study war no more, 
study war no more, 
ain’t go study oh war no more.

Gospel „Down by the riverside“

Ich erhöhte die Lautstärke während ich verdutzt die nächste Seite des Graphic Novel umblätterte. In der elften Kalenderwoche erzählten eine ukrainische Journalistin und ein russischer Künstler jeweils von der sie umgebenden Traurigkeit über einen Krieg, der beide zutiefst betraf. In dieser Woche hatte der russische Künstler ein Konzert des ukrainischen Sängers Ivan Dorn besucht, währenddessen dieser Aufnahmen aus dem Krieg zeigte, die zu Tränen rührten.

Sich mit Krieg nicht auseinanderzusetzen wie dies im alten Gospel beschrieben wird, ist gegenwärtig unmöglich. Hilfreich ist es zu wissen, dass dieser höchstwahrscheinlich im Anschluss an den Sezessionskrieg im Juni 1865 bzw. des ersten Weltkrieges als Ausdruck einer Kriegsmüdigkeit entstand. Die Gospel-Lyrik von „Down by the Riverside“ hat biblische Wurzeln, die in vielfacher menschlicher Ungerechtigkeitserfahrung und dem Wunsch nach Frieden und Gerechtigkeit ihre sehnsuchtsvolle Quelle haben. Grundlage für diesen Gospel waren Bibelabschnitte wie Mi 4-5 und die zu Tage tretende Diskrepanz zwischen Sehnsucht nach einem Friedensreich und harter, ja manchmal sogar brutaler Realität in Auseinandersetzung, Gewalt und Tod.

Als Christin und Theologin sehne ich mich ebenso nach einem solchen Friedensreich, aber angesichts der vielen Kriege, vor allem des Ukraine- und Israel-Gaza-Krieges werde ich ratlos. Was soll ich meinen Polizeimeisteranwärterinnen und -anwärtern sagen? Welchen Deutungshorizont kann ich ihnen in dieser schwierigen Zeit geben? Selbstverständlich könnte ich multiple Lehren wie sie beim biblischen Pazifismus, bei Augustin, Thomas von Aquin und Kant zu finden sind, im Unterricht ausbreiten. Aber reichen diese ethischen Modelle und postulierten Handlungsmaximen? Sind sie nicht vielmehr überheblich, wenn auf sie allein zurück gegriffen wird – noch dazu wenn die lehrende Person, die in einem sicheren Land lebt, keine Kriegserfahrung und – betroffenheit hat?

Daher werde ich in meinem berufsethischen Unterricht andere zu Wort kommen lassen und hierdurch einen Anknüpfungspunkt für einen Umgang mit Krieg und Frieden suchen, der in einer persönlichen Perspektive Betroffener liegt. Denn wir dürfen nicht vergessen, dass Polizistinnen und Polizisten in ihrer Handlungskompetenz eine ganz konkrete Schlüsselkompetenz für unsere Demokratie und Gesellschaft übertragen bekommen, die sich in der Wahrung der Menschen- und Grundrechte im Umgang mit dem Einzelnen ausdrückt.

Einen Zugang zu einer persönlichen Perspektive kann der Graphic Novel „Im Krieg“ von Nora Krug schenken. Nach „Heimat: ein deutsches Familienalbum“ und „Über Tyrannei – zwanzig Lektionen für den Widerstand“ ist dies der dritte Graphic Novel von Nora Krug, den ich in meiner Reihe „Lesen gegen Hass“ vorstelle. Dieser ist in Englisch, Deutsch und Koreanisch erschienen.

In diesem Bildroman begleitet die deutsch-amerikanische Illustratorin eine ukrainische Journalistin und einen russischen Künstler. Aus einem persönlichen Blickwinkel werden zwei Leben im Krieg portraitiert und zwei Tagebücher über ein Jahr nebeneinander Woche um Woche dargestellt. Hierzu hatte Nora Krug wenige Tage nach der russischen Invasion der Ukraine zu einer ukrainischen Journalistin in Kiew und einem russischen Künstler in Sankt Petersburg aufgenommen. Es sind persönliche Einblicke, die dem Leser und der Leserin in deren Leben geschenkt wird. Wir begleiten sie in ihrem Kriegserleben zu ihren Familien und Freunden, zu ihrer Arbeit und dem Meistern eines Lebens, das durch den Krieg komplett auf den Kopf gestellt wurde.

Der Bildroman schafft eine persönliche Ebene, die Betroffenheit und Nähe schenkt und damit einen Zugang für einen Unterricht jenseits abstrakter Kriegs- und Friedenstheorie ermöglicht. Dies ist wichtig, denn Polizistinnen und Polizisten handeln stets im Konkreten und beeinflussen unter Umständen Leben nachhaltig in deren Verlauf.

Ich gebe zu, dass auch ich manchmal angesichts der vielen Kriege, vor allem des Überfalls der Hamas auf Israel und Russlands auf die Ukraine trotz meiner Lebenswirklichkeit in einem demokratischen Land zu leben, in dem Frieden herrscht, kriegsmüde werde. Gerne würde ich mit in den Gospel einstimmen und singen: „I ain’t go study war no more“. Aber ich bin es denen schuldig, die konkret unter Krieg, Gewalt und Tod leiden, dass die gestärkt werden, die für unsere Demokratie einstehen werden. Gegenwärtigen und zukünftige Generationen, die durch Bildung und Unterricht zugerüstet werden.

In meinem Falle sind es die angehenden Polizistinnen und Polizisten der Bundespolizei. Wie diese Frieden und Gerechtigkeit umsetzen, kann im Rahmen des geltenden Gesetzes und des eigenen Gewissens nur jeweils die einzelne Person entscheiden und in ihrem Handeln transparent werden lassen. Und bei anderen sind es die jeweiligen Schülerinnen und Schüler, Studentinnen und Studenten, Kinder, Enkel oder Patenkinder, die ihnen anvertraut sind.

Ich drehte die Musik noch etwas lauter – meine Gedanken verloren sich im sehnsuchtsvollen Klang des Gospels und Bildern von Musikerinnen und Musikern rund um den Globus, die diesem Sehnen vielgestaltig Ausdruck verliehen.

Lesen gegen Hass 2: Literaturtipps zur Antisemitismusprävention für Pädagoginnen und Pädagogen

Schülerinnen und Schülern für ein Thema durch eine besondere Zugangsweise zu sensibilisieren ist für Pädagoginnen und Pädagogen von großer Relevanz. Graphic Novels stellen für mich im Sekundär- und Tertiärbereich der deutschen Schulbildung eine wichtige Zugangsmöglichkeit dar. Hierüber schrieb ich in einem vorhergehenden Blogpost (Link).

Nun stelle ich verschiedene Literaturtipps zur Antisemitismusprävention vor, die vor allem an Pädagoginnen und Pädagogen gerichtet sind, die in Sekundär- und Tertiärstufen unterrichten. Die meiste Literatur ist in deutscher Sprache erhältlich – wo dies nicht der Fall ist, weise ich darauf hin.

Dieser Blogeintrag soll eine Hilfe für Kolleginnen und Kollegen sein, um ihr eigenes Wissen gegen Antisemitismus zu stärken und durch Bildung gegen diese menschenverachtende, tödliche Häresie durch Bildung vorgehen zu können. Für die Vorstellung der Literatur habe ich einen Weg gewählt, der versucht, eine zeitliche Achse mit der Grundsätzlichkeit der Bücher zu kombinieren. Die Abfolge stellt keine Wertung in deren Bedeutung da, vielmehr gehören diese zu einer Vielzahl wichtiger Publikationen und wecken hoffentlich weiteres Interesse zur Vertiefung dieses Themas.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Bildung ist die wichtigste Waffe gegen Antisemitismus und jegliche Form des Menschenhasses. Lest gegen Hass und gebt dieses Wissen an die euch anvertrauten Schülerinnen und Schüler weiter!

„Die Natur des Vorurteils“ von Gordon Allport

Aus dem Englischen – als Übersetzung erhältlich

„The Nature of Prejudice“ (1954) wurde von Gordon Allport (1897-1967) verfasst, einem amerikanischen Psychologen, der mit diesem Werk die Grundlage für die Vorurteilsforschung gelegt hat. Laut Springerverlag ist es das meistgelesene Buch innerhalb der Sozialpsychologie.

Für mich war dieses Buch trotz der inkongruenten Bezugsgruppe (weiße, protestantische, amerikanische Männer) ein Augenöffner für eine Erklärung und einen Umgang mit Vorurteilen, die sich bis hin zu extremen Hass entwickeln können. Nicht nur stellte Allport das Aggressionskonzept von Sigmund Freud in Frage, sondern führte stattdessen ein Feedback- und Kommunikationsmodell ein. Der nachhaltigste Beitrag, der Politik und Gesellschaft veränderte, war sein Plädoyer für einen Kontakt zwischen Gruppen, die Vorurteile gegeneinander hegten, um somit Vorurteile vorzuschützen und daraus eventuell entstehenden Hass zuvor zu kommen.

Wer sich für die sozialpsychologische Betrachtung der Entstehung von Vorurteilen und Hass interessiert und durch einen theoretisch fundierten Hintergrund hiergegen in Schule und Bildungseinrichtungen vorgehen möchte, sei dieses Buch ans Herz gelegt.

„Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten – Tagebücher 1933 bis 1945“ von Victor Klemperer

In Deutsch erschienen

Der deutsche Literaturwissenschaftler, Romanist und Politiker Victor Klemperer (1881-1960) ist einer der wichtigsten Zeitzeugen der NS-Schreckensherrschaft und deren mordender Brutalität, die akribisch vorbereitet und Sprache als ein grundlegendes Macht- und Beeinflussungsinstrument verwendet hatte.

In seinen Tagebüchern „Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten (1933–1945)“ dokumentierte er seine bitteren Alltagserfahrungen, die er als intellektueller protestantischer Konvertit jüdischer Herkunft innerhalb der der deutschen Gesellschaft des Nationalsozialismus sammeln musste. Für mich ist Klemperer einer der wichtigsten Chronisten, die das Leben in dieser Schreckensherrschaft in alltäglicher Sprache und Sicht transparent werden lassen.

Besonders bewegend und erschreckend sind für mich die schonungslosen Einblicke in eine diktatorische Alltagswelt, die alle Bereiche des Lebens ergriffen hatten. Die Erfahrung der Komplizenschaft vieler einst verlässlichen Personen in Nachbarschaft, Beruf und Familie zeigen, wie diese Diktatur in ihrer Schärfe erst durch sie ermöglicht wurde und sollte uns nachdenklich gegenüber unseren eigenen Handlungsweisen stimmen.

„Hitler – 1889 bis 1945“ von Ian Kershaw

Aus dem Englischen – als Übersetzung erhältlich

Ian Kershaw (*1943), englischer Historiker und Träger des Bundesverdienstkreuzes erster Klasse, nimmt in seiner Hitler-Biografie nicht nur die Person des Diktators in den Blick, sondern die gesellschaftlichen und politischen Umstände, die es ihm ermöglicht hatten, das schlimmste Unrechts- und Mordsystem der Neuzeit zu etablieren.

Kershaw beschreibt anschaulich und lebendig, mit faszinierender Kenntnis des Protagonisten seines Buches untermauert mit historischen Quellen den Aufstieg des verhinderten Kunstmalers und kleinen »Weltkriegsgefreiten« zum mächtigsten Mann Deutschlands, der eine totale Diktatur errichtete, die Welt in einen schlimmen Krieg stürzte und, der mit vielen Komplizen verantwortlich ist für die Ermordung von Millionen europäischer Juden.

Wichtig wurde mir durch diese Lektüre: ohne die Person Hitler sind die Schrecken des Zweiten Weltkrieges nicht vorstellbar. Aber: Ohne die Gefolgschaft der Deutschen ebenso wenig. Mögen wir diese Warnung ernst nehmen und uns selbst in unseren Handlungen einen kritischen Spiegel vorsetzen!

„LTI – Notizbuch eines Philologen“ von Victor Klemperer

Auf Deutsch erschienen und in viele Sprachen übersetzt

Im Englischen heißt dieses Werk übersetzt aus dessen ursprünglicher Bezeichnung „Lingua Tertii Imperii“ bezeichnend „The Language of the Third Reich“. Es ist die zweite Buchempfehlung von Klemperer, die ich aufgrund deren Grundsätzlichkeit gerne weitergeben möchte.

In diesem Buch analysiert Klemperer die Sprache des Nationalsozialismus und dessen Wirkmacht in bewegender und nachdenklicher Weise. Meine Polizeimeisteranwärterinnen und -anwärter weise ich stets darauf hin, dass Sprache ihre wichtigste Waffe darstellt. Umso wichtiger ist es daher, historische Kenntnis darüber zu haben, wie Sprache zum Bösen innerhalb unserer deutschen Geschichte verwendet wurde.

An dieser Stelle sei ebenso vermerkt, dass LTI 2003 unter dem Titel „Die Sprache lügt nicht“ (Originaltitel: „La langue ne ment pas“) für das Fernsehen als deutsch-französischer Dokumentarfilm von Stan Neumann adaptiert worden war. Dieser Film wurde im Juli 2005 beim Jerusalemer Filmfestival ausgezeichnet.

„Verbrannte Wörter – Wo wir noch reden wie die Nazis- und wo nicht“ von Matthias Heine

Auf Deutsch erschienen

Der deutsche Journalist und Buchautor Matthias Heine (*1961) nimmt uns in seinem Buch „Verbrannte Wörter“ mit auf eine wichtige Reise durch die deutsche Sprache und analysiert, inwieweit einzelne Begriffe einen nationalsozialistischen Hintergrund tragen oder vielleicht auch trotz einer Vermutung überraschender Weise doch nicht.

Wie steht es mit dem Begriff „Bombenwetter“, der immer noch verwendet wird?

Der „Aktion“, die immer noch in Organisationen wie „Aktion Mensch“ oder „Aktion Sühnezeichen“ zur Verwendung kommen?

Oder dem harmlos daherkommenden Ausdruck des „Hiwi“ als studentischer Hilfskraft?

Es sind erstaunliche Entdeckungen, die der Leser bei der Lektüre dieses Buches machen darf. Stets sind die einzelnen Begriffe gut eingebettet in geschichtliche Fakten und Referenzen, wie LTI als Quelle herangezogen. Der Autor macht am Ende jedes Begriffes eine kleine Empfehlung und regt dabei zur Entscheidung über eine etwaige Verwendung im eigenen Wortschatz an. Bei manchem hätte ich eine andere (strengere) Schlussfolgerung gezogen – doch in vielem kann ich dem Autor gut in einem Applizieren auf die sprachliche Praxis folgen.

„Hitlers amerikanisches Vorbild: Wie die USA die Rassengesetze der Nationalsozialisten inspirierten“ von James Q. Whitman

Als Übersetzung aus dem Amerikanischen erhältlich

James Q. Whitman, Professor für vergleichendes und internationales Recht an der Yale-Universität ist einer der angesehensten Rechtshistoriker der USA. Er deckt in seinem Buch „Hitlers amerikanisches Vorbild“ eine überraschend schmerzhafte Tatsache auf: Die „Jim-Crow-Gesetze“ und der tief verankerte Rassismus in den USA waren eine massgebliche Anregung für die Rassengesetze der Nationalsozialisten. Es ist ein schmerzhaft wichtiger Aspekt, der mit diesem Buch beleuchtet wird und Sprengkraft auf dem amerikanisch-deutschen Verhältnis haben kann.

In meiner Dissertation, die auf amerikanisch-deutschen Horizont die Versöhnungsarbeit aufgreift, habe ich mich daher in einem Kapitel mit diesem „Zyklus des Bösen“ befasst und hierzu auch schmerzhafte Aspekte in Hitlers „Mein Kampf“ herausgearbeitet. (Tröstend begegnete mir bei meiner Recherche für meine Dissertation ein „Zyklus des Guten“ – doch dies ist vielleicht ein Thema für einen späteren Blogeintrag.)

„Plantations and Death Camps – Religion, Ideology, and Human Dignity“ von Beverly Eileen Mitchell

Gegenwärtig nur in Amerikanisch erhältlich

Während meines Dissertationsstudiums am Wesley Theological Seminary, Washington D.C., durfte ich mehrere Seminare bei Prof. Dr. Beverly Mitchell besuchen. Die historische Theologin hat nicht nur durch ihre Biografie und ihren scharfen Verstand einen tiefen Eindruck bei mir hinterlassen, sondern durch ihr Buch „Plantations and Death Camps“ mir die Augen hin zu einer Analogie des Grauens geöffnet.

In ihrem Buch vergleicht sie die menschenverachtende und vernichtenden Systeme der Plantagen und Konzentrationslager miteinander. Eine Zeitgleiche der Brutalität, die in die Abgründe menschlicher Seelen blicken lässt, die Macht, Gewinn und Unterdrückung über jegliche Menschlichkeit und Verbundenheit gesetzt hat. Die „Ideologien des Todes“, wie sie Mitchell bezeichnet, haben schlimme, verachtende und tödliche Konsequenzen diesseits und jenseits des Atlantiks hervorgebracht.

Das Buch ist ein Plädoyer, dies nie wieder geschehen zu lassen und regt zu einer eigenen biografischen Reflexion an. In einem vergangenen Blogeintrag (Link) schreibe ich hierüber.

„… trotzdem Ja zum Leben sagen. Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager“ von Viktor E. Frankl

Auf Deutsch erschienen

Viktor Frankl (1905-1997), der österreichische Psychiater, verbrachte mehrere Jahre in deutschen Konzentrationslagern. Hier wurde er mit unvorstellbarem Leid konfrontiert und musste sich mit der Frage auseinandersetzen, wie er und andere an diesen Orten der Unmenschlichkeit noch einen Sinn im Leben entdecken und die eigene Menschlichkeit bewahren konnte.

Für ihn war die Erfahrung, dass es möglich ist, auch noch unter inhumansten Bedingungen einen Sinn im Leben zu sehen, eine zentrale Entdeckung. Zukunftshoffnungen, von denen man getragen wurde, konnten über schwerstes Leid hinweghelfen – die Hoffnung, die Liebsten wiederzusehen oder, wie er sich vorstellte, nach einer Überwindung des Leides Vorlesungen geben zu dürfen, die die Auswirkungen des Lagers auf die Psyche zum Mittelpunkt hatten.

Dieses „Trotzdem“ hat bei mir tiefen Eindruck hinterlassen, vieles relativiert und die Gottesfurcht in den Mittelpunkt gestellt:

„So oder so – einmal kommt der Tag, für jeden der Befreiten, an dem er, rückschauend auf das gesamte Erlebnis des Konzentrationslagers, eine merkwürdige Empfindung hat: er kann es nun selber nicht verstehen, wie er imstande war, all das durchzustehen, was das Lagerleben von ihm verlangt hat. Und wenn es in seinem Leben einen Tag gab – den Tag der Freiheit-, an dem ihm alles wie ein schöner Traum erschien, dann kommt einmal der Tag, an dem ihm alles, was er im Lager erlöst, nur mehr wie ein böser Traum vorkommt. Gekrönt wird aber all dieses Erleben des heimfindenden Menschen von dem köstlichen Gefühl, nach all dem Erlittenen nichts mehr auf der Welt fürchten zu müssen – außer seinen Gott.“

… trotzdem Ja zum Leben, S. 139.

Einige von vielen Büchern, die Pädagoginnen und Pädagogen helfen können, sich durch Lektüren gegen Antisemitismus zu wappnen und dieses Wissen im Unterricht weitergeben zu können.

Lest gegen den Hass! Mit euren Schülerinnen und Schülern. Mit euren Kolleginnen und Kollegen. In Familien und Freundeskreisen.

Und kommt durch Unterhaltungen und Diskussionen auf Antisemitismus zu sprechen – einer menschenverachtenden und tödlichen Irrlehre, die Demokratie und Menschenwürde diametral entgegengesetzt ist. Damit sie in den Herzen und Gedanken nicht auf fruchtbaren Boden falle.

Die Waffe der Frau – von Bildung, Gleichberechtigung und eigenen Erfahrungen

Erstaunt sah ich auf die Werbung, die im Deutschen Pfarrerinnen- und Pfarrerblatt enthalten war. Normalerweise warf ich diese mit einem beherzten Schwung umgehend ins Altpapier. Doch heute stutzte ich, denn angeblich war dem monatlichen Blatt des Deutschen Pfarrerinnen- und Pfarrervereins in großen weißen Lettern auf einem pinken Umschlag ein wichtiger Inhalt angekündigt:

DIE WAFFE DER FRAU.

Als Adressatinnen waren im durchsichtigen Sichtfeld als „alle Frauen in Deutschland“ angegeben – abgesandt von Senta Berger, Birgit Schrowange und Marion Knecht.

Nun war meine Neugierde geweckt, denn das monatliche Blatt war nicht unbedingt dafür bekannt, dass dort Frauen ihre Stimme erhoben. In der gegenwärtigen Ausgabe stammte einer von insgesamt zwölf Artikeln aus der Feder einer Frau.

Die Post warb für eine Patenschaft eines Mädchens in einem Schwellenland. Zurecht hob man dort die Wichtigkeit von Bildung hervor, die eine essentielle Voraussetzung für Gleichberechtigung ist. Ich pflichte den drei Verfasserinnen des Briefes bei, dass Bildung von großer Wichtigkeit ist, damit Frauen ihr Potential erreichen und ein besseres Leben zugänglich wird.

Ich hatte das Glück in einem reichen Land geboren worden zu sein, in dem viele Bildungschancen zugänglich sind. Schule, Abitur, Studium, Vikariat, Examen in Bayern und Schottland, Dissertation in USA. Ich hatte das Privileg, mehrere Sprachen lernen zu dürfen und einige weitere Zusatzqualifikationen zu erwerben. Schon immer war ich davon überzeugt, dass Bildung ein wichtiger Schlüssel zur Gleichberechtigung darstellt – oder wie die Autorinnen schrieben, die Waffe einer Frau darstellen.

Also erweiterte ich ständig meinen fachlichen Horizont. In allem wurde ich von meinem Mann unterstützt, der den Mut besaß, mir den Vorrang im beruflichen Werdegang zu schenken. Er wurde Familienmanager. Ich kehrte nach dem damals durchaus kurzen Mutterschutz stets umgehend in den Beruf zurück. Elternzeit oder ähnliches hatte ich nie in Anspruch genommen.

Doch leider fügt sich zu all dem „westlichen“ Privileg mit etwas Bitterkeit die gesammelte Erfahrung über die Grenzen dieses Systems hinzu. Es ist wie ein roter Faden, der sich durch meinen beruflichen Werdegang zieht: die Grenzen des Systems stellen oftmals nicht die für eine Position notwendigen Qualifikationen und Abschlüsse da, sondern Männer in Schlüsselpositionen. Manchmal scheint es mir, so als ob es sich hierbei um Männer handelt, die ungern auf Augenhöhe zusammenarbeiten wollen. Oder Männer, die von der ihnen zugesprochenen Macht wenig abgeben wollen und einer Frau dieselbe Funktion nicht zutrauen.

Liebe Leserin, lieber Leser dieses Blogeintrags, bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Ich spreche nicht für eine Frauenquote, sondern dafür, dass ich anhand meiner Qualifikationen und Fähigkeiten mein ganz persönliches berufliches Potential leben darf. Aber leider ist es meine Erfahrung, dass ich aufgrund der simplen Tatsache meines Geschlechts doppelt so hart arbeiten muss, um eine annähernde Anerkennung zu erhalten. Und manchmal ist es sogar noch bitterer: vor geraumer Zeit musste ich miterleben, wie ein Mann eine Funktion erhielt, obwohl er offensichtlich die dafür notwendige fachliche Eignung nicht vorweisen konnte – einfach weil er ein besseres (Männer-)Netzwerk hatte. In ökumenischen Kontexten habe ich sogar noch schlimmeres erlebt. Da wurde ich von einer Mitwirkung in einem Gottesdienst ausgeschlossen, WEIL ich eine Frau war.

Erfahrungen, die nachdenklich machen.

Zustimmend und dennoch mit einem bitteren Geschmack auf den Lippen steckte ich den Werbebrief zurück in seinen pinkfarbenen Umschlag. Ja, Bildung ist die Waffe einer Frau. Aber sie öffnet nicht von sich aus Türen und gibt Zutritt zu größerem Potential. Das geht nur, wenn die Männer, die diese Türen der beruflichen und gesellschaftlichen Möglichkeiten bewachen, es auch zulassen.