Wie hältst du es mit dem Tod? Von Grabsteinen und Rezepten.

Plätzchen und Brownies.

Pies und Cobbler1.

Kuchen und viereckige Bäckereistückchen. Fudge2, Speiseeis und Kaffee.

Brötchen und Brot.

Deftiges.

Menü-Vorschläge direkt vom Grab.

Mit einem tiefen Seufzer schloss ich an diesem Ewigkeitssonntag das wohl ungewöhnlichste Rezeptbuch, das ich je gelesen habe: „To Die For. A Cookbook of Gravestone Recipes“ . Den Anstoß zur Entstehung dieses Buches war für die Archivarin Rosie Grant, dass sie während ihres Praktikums auf dem Congressional Cemetery in Washington, D.C., über ein in Stein gemeißeltes Rezept stolperte. Die Verwunderung über den ungewöhnlichen Grabstein verwandelte sich in Neugier und schließlich in eine Entdeckungsreise durch die meisten US-amerikanischen Bundesstaaten, um einer Tradition auf die Spur zu kommen, die es in den USA tatsächlich gibt: Manche Menschen hinterlassen ihre Lieblingsrezepte bewusst auf dem Grabstein – und manche Familien stellvertretend für sie. Eine zärtliche Geste, die Verbindung schafft und schon einen kleinen Vorgeschmack auf die Ewigkeit gibt, in der sich die Verstorbenen bereits befinden.

Die Autorin blieb nicht bei der Betrachtung und Dokumentieren der Grabsteine stehen. Sie besuchte die Familien, lauschte ihren Geschichten, und folgte auch den Spuren jener Menschen, die ihre Rezepte noch zu Lebzeiten weitergeben wollten und bereits vor ihrem Tod ihren Grabstein mit Rezept aufgestellt haben. Manchmal stand sie mit Angehörigen in deren Küche, manchmal buk sie allein in der Vertrautheit ihres Zuhauses, und oft führte der Weg anschließend zurück zu den Gräbern, an denen alles begonnen hatte.

So entstand eine Sammlung, die weit mehr ist als ein Rezeptbuch: Lebensspuren, in denen sich Alltägliches und Unvergessenes berühren. Geschichten von Menschen, die einzigartig waren und besondere Lebenswege beschritten hatten. Ihre Gerichte transportieren über ihren Geschmack Aspekte ihres Lebens, die Worte manchmal nicht können.

Da ist zum Beispiel Fleda Shearer, deren Sugar Cookies so schlicht wirken und doch ein Stück von ihr tragen: ein Rezept, das nach Hause schmeckt, nach Großzügigkeit, nach einer Frau, die wusste, wie tröstlich Süßes sein kann.

Oder Yankele Toppor, der Kibbutz-Bäcker mit der großen Handwerksliebe, der seinen Alltag zwischen Teigschüsseln, Öfen und Gemeinschaft verbrachte – ein Leben, das nach frisch gebackenem Brot riecht und von der Wärme eines Ortes erzählt, den viele ihr Zuhause nannten.

Und Ida Kleinman, deren Nut Rolls auf Hebräisch in Stein gemeißelt wurden. Ein Rezept wie ein Vermächtnis, das Generationen verbindet, getragen von Erinnerung, Muttersprache und dem sanften Gewicht einer Tradition, die ihre jüdische Familie trägt.

Diese und viele weitere Geschichten haben mich nicht losgelassen – und so mache auch ich mich nun auf die Suche. Daher nahm ich am Ewigkeitssonntag einen Plätzchenausstecher nach dem anderen aus meiner liebgewonnenen Lebkuchendose. Sie beherbergte seit vielen Jahren meine Ausstechersammlung und war eine verlässliche Begleiterin, deren Inhalt mich an liebe Menschen und wohlige Erlebnisse erinnerte:

Den strahlendroten Rentierausstecher, den ich von meinem amerikanischen Vater als Grundschülerin geschenkt bekam und der mich träumen ließ von Weihnachten, Zuneigung und Liebe

Die in strahlendem Metal glänzende Musiknote, mit der ich für die adventlichen Fundraiser der jüdischen Musikschule meiner Kinder buk, die in Scarsdale, NY gewesen war und ihnen eine musikalische Heimat und künstlerische Weite schenkte.

Den dickbäuchigen Bärchenausstecher, mit dem ich als Polizeiseelsorgerin für meine Polizistinnen und Polizisten, Anwärterinnen und Anwärter „Care-Bärs“ (Link) als Aktion backte – kleine, essbare Symbole dafür, dass ich für sie da war und sie sich in der Schwere ihres Dienstes und ihrer herausfordernden Ausbildung getragen fühlen sollten.

Meine Hand pausierte in ihrer Suchbewegung im Vielerlei der Ausstecher und drehte eine Linzer-Plätzchen-Form mit Herz in kreisenden Bewegungen von deren runder zu deren mit Herz versehenen Seite hin und her. Mit ihr hatte ich vor kurzem ein neues Linzer-Rezept ausprobiert. Vielleicht war es ein Linzer-Plätzchen-Rezept, das ich noch verfeinern würde und die eigene Note hinzufügen würde? Oder doch etwas anderes? Sogar etwas Herzhaftes? Eine Suppe, ein Brot, ein Duft, der in der eigenen Geschichte tiefer verwurzelt ist, als man auf den ersten Blick meint?

Ich bin mir noch nicht sicher.

Aber ich werde mich weiter auf die Suche machen nach meinem eigenen Rezept – jenem, das mein Leben so ein wenig geschmacklich anklingen lässt, wie die Rezepte der Personen, die in Rosie Grants Buch vorgestellt werden, es tun.

Und vielleicht, ist es ja auch eine Anregung für Sie, liebe Leserinnen und Leser, welches Rezept Sie einst weitergeben würden. Nicht unbedingt für einen Grabstein – sondern vielleicht auch im Hier und Jetzt in der Fülle des Lebens, wo Sie dann an einem Tisch Geschmack und Leben tief verbinden zu Erinnerungen, die vielleicht später als Rezept und damit Gruß aus der Ewigkeit anklingen können.

  1. Amerikanisch: Nachtisch aus mit Teig belegten Früchten, die im Ofen gebacken werden. ↩︎
  2. Karamell. ↩︎

Der Duft des Lavendels – von Dankbarkeit über Schritte zur Gleichberechtigung

Meine Hand griff magisch angezogen in das gut gefüllte Regal und zog eine lila Seife aus der Reihe der Seifenarmee. Als ich den von ihr ausgehenden Duft des Lavendels einsog, schloss ich unwillkürlich die Augen und wurde durch den Nebel der Erinnerung in meine Kindheit zurückversetzt.

Eine kleine, zart gebaute Frau mit einem Dutt aus lichtem, weißen Haar öffnete die Tür zum schmalen Zugang des kleinen, unscheinbaren Hauses an der Stadtmauer und nahm mich herzlich in die Arme. Ein schlichtes Wohnzimmer mit Küche, am Fenster der Arbeitsbereich eines Schuhmachers. Eine enge, knarzende Treppe führte zum elterlichen Schlafzimmer und einem kleinen Kinderzimmer hinauf. In jeder Schublade lag ein kostbares Stück Lavendelseife, das beim Öffnen einen Wohlgeruch verströmte.

Aus dem Nebel der Erinnerung war mir meine Urgroßmutter plötzlich wieder so nah, obwohl sie vor über dreißig Jahren verstorben war. Der Duft des Lavendels, vor allem der Lavendelseife, ist für mich unwiderruflich mit ihr verbunden, wenn auch meine Erinnerung im Nebel der Zeit nur ab und an wie ein verstecktes Objekt aus dem Dunst meiner Gedanken auftaucht.

Frauen wie ihr haben wir nachfolgenden Generationen es zu verdanken, dass Gleichberechtigung einen Fortschritt gemacht hat. Noch befinden wir uns mitten in einem Ringen um ein Leben auf Augenhöhe, aber ohne die Kraft, den Schweiß und auch die Tränen vieler Frauen vor uns hätten die nachfolgenden Töchter nie die Möglichkeiten erhalten, von der jene nur hätten träumen können.

Von mehr Möglichkeiten, von Entfaltung und Unabhängigkeit träumte auch die Schriftstellerin Virginia Woolf, die achtzehn Jahre vor meiner Urgroßmutter 1882 in London geboren worden war. Während meine Urgroßmutter in ärmliche Bedingungen in Franken geboren war und als Magd vor ihrer Hochzeit in einem Haushalt gearbeitet hatte, war die „Vorreiterin des Feminismus“ in eine wohlhabende Londoner Familie hineingeboren. Schon früh war sie aufgrund ihres Elternhauses von berühmten Autoren umgeben gewesen und war daher in jungen Jahren zum Schreiben gelangt. In dem 1929 veröffentlichen Essay „A Room of One’s Own“ schrieb Woolf über die eingeschränkten Möglichkeiten weiblicher Schriftstellerinnen und avancierte so zu einer frühen Kämpferin für die Gleichberechtigung von Frauen.

Als ich nach meinem Besuch des Drogeriemarktes – der Duft des Lavendels begleitete mich immer noch in Gedanken – den erwähnten Essay, den ich schon lange vor gehabt hatte zu lesen, zur Hand nahm, staunte ich nicht schlecht. Hier schrieb Virginia Woolf:

Intellectual freedom depends upon material things. Poetry depends upon intellectual freedom. And women have always been poor, not for two hundred years merely, but from the beginning of time. Women have had less intellectual freedom than the sons of Athenian slaves. Women, then, have not had a dog’s chance of writing poetry. That is why I have laid so much stress on money and a room of one’s own. However, thanks to the toils of those obscure women in the past, of whom I wish we knew more, thanks, curiously enough to two wars, the Crimean which let Florence Nightingale out of her drawing-room, and the European War which opened the doors to the average woman some sixty years later, these evils are in the way to be bettered.

Woolf, Virginia: A room of ones own, Schweden: Wisehouse Classics, 2018, p. 67.

Intellektuelle Freiheit hängt von materiellen Dingen ab. Dichtung hängt von intellektueller Freiheit ab. Und Frauen sind immer arm gewesen, nicht nur seit zweihundert Jahren, sondern seit aller Zeiten anfang. Frauen hatten weniger intellektuelle Freiheit als die Söhne der Sklaven aus Athen. Frauen haben also nicht die geringste Chance gehabt, Gedichte zu schreiben. Deshalb habe ich so viel Nachdruck auf Geld und ein Zimmer für sich allein gelegt. Aber dank der Mühsal jener undeutlichen Frauen in der Vergangenheit, von denen ich wünschte, dass wir mehr über sie wüssten, seltsamerweise auch dank zweier Weltkriege, des Krimkriegs, der Florence Nightingale aus ihrem Wohnzimmer entliess und des Ersten Weltkriegs, der etwa sechzig Jahre später den Durchschnittsfrauen die Türen öffnete, sind diese übel auf dem Wege der Besserung.

In diesem Textauszug des berühmten Essays berichtet Woolf von der Mühsal der Frauen, die über Generationen klein gehalten und eingeschränkt wurden. Deren jeweiligen Engagement ist es zu verdanken, dass Emanzipation Stück um Stück Wirklichkeit wird.

Bei dem Verweis auf diese Frauen hat Woolf das englische Adjektiv „obscure“ verwendet, das im Deutschen mit „obskur“, aber auch „vernebelt“ oder „undeutlich“ übersetzt werden. Aufgrund des Textzusammenhanges habe ich dies in meiner Übersetzung mit letzterwähnten Adjektiv wiedergegeben. Woolf geht in ihrem Text ein interessantes literarisches Spiel mit Obskurität / Verneblung / Vergangenheit ein. Denn: Nicht selten liegt die Vergangenheit wie ein Nebel hinter uns.

Ab und an treten „undeutliche“ Frauen wie meine Urgroßmutter aus dem Nebel der Vergangenheit hervor. Dabei wird mir dann immer wieder klar, wie viele Entbehrungen, welche Leidensfähigkeit, Selbstaufgabe und Engagement sie und andere Frauen aufwiesen, damit ich heute die sein darf, die ich gegenwärtig bin.

Dabei denke ich an die Vorbilder, die meine eigene Biografie beeinflussten. Immer wieder treten sie an der einen oder anderen Stelle inspirierend aus dem Nebel meiner Gedanken hervor. Ihr Wirken hat mich auf unterschiedlichen Ebenen geprägt – privat, beruflich und ideell. Einige seien hier stellvertretend für viele starke Frauengenannt, die in meinem Leben wirkten:

Meine Urgroßmutter kümmerte sich um ihre einzige Tochter, die ein liebevolles Zuhause, Bildungschancen und ein Gesangsstipendium erhielt. Leider wurde dieses aufgrund des zweiten Weltrkrieges hinfällig und ihr Traumberuf dadurch unerreichbar.

Meine Schwiegermutter, die die Verwirklichung ihrer eigenen beruflichen Biografie hinten anstellte und meinen Mann zu einem Ehemann aufzog, der Frauen nicht nur als gleichberechtigt schätzt, sondern meiner Berufung als Kirchenfrau den Vorrang gab.

Meine Mentorin Andrea Rößler, deren Liebe für Unterricht im Vikariat auf mich abfärbte und mir nach einer Phase im „klassischen“ Pfarramt meine gegenwärtige Ausrichtung in der Ausbildung schenkte. Nicht nur im Rahmen der Bundespolizei, sondern seit einigen Monaten als Rektorin des Evangelischen Studienseminars für Pfarrausbildung (ESP) in Bayern und Sachsen.

Regionalbischöfin i.R. Susanne Breit-Keßler, die ich bei Hospitationen begleiten durfte und dadurch wertwolle Einblicke in Tätigkeit, Freude, aber auch Herausforderung einer Regionalbischöfin erhielt.

Generalkonsulin i.R. Brita Wagener, die ich in meiner Zeit in New York kennenlernen und deren Weitblick, Engagement und Standfestigkeit im politischen Kontext der Vereinten Nationen, New Yorks und der USA mich tief beeindruckt hat.

Als ich am Abend an der Ablage zur Küche vorbeilief, fiel mein Blick auf die gekaufte Lavendelseife, die vor einigen Stunden von mir aus der duftenden Seifenarmee des Drogeriemarktes herausgelöst und mitgenommen worden war. Nun lag sie etwas verloren da. Ich nahm sie vorsichtig in beide Hände, sog den vollblumigen Geruch des Lavendels ein, der eine Flut von Dankbarkeit über diese und andere besondere Frauen meiner Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auslöste. Und wer weiß, vielleicht würde auch ich irgendwann für eine andere Frau aus dem Nebel ihrer eigenen Gedanken als eine hervortreten, die sich für sie und Gleichberechtigung einsetzte? Ich lächelte still vor mich hin, während ich die Seife in eine noch nicht duftende Wäscheschublade legte, die hoffentlich irgendwann den Duft des Lavendels und dankbarer Erinnerungen haben würde.

Von Charlie Brown und Schutzhelmen

Voller Begeisterung schlug ich das kleine gelbe Reclams-Buch im voll besetzten Regionalexpress auf und tauchte nach einem durchaus nachdenklich stimmenden Arbeitstag in die wohltuende Welt von Charlie Brown ein.

Charlie Brown, Snoopy und Co. haben es mir wirklich angetan. Schon früh habe ich die Freunde gerne bei ihren immer wiederkehrenden Abenteuern mit ähnlichem Ausgang begleitet. Dabei ist Charlie Brown kein Gewinnertyp. Er steht nicht auf einem Siegertreppchen und wird von Medaillen übersät. Vielmehr coacht er ausdauernd, aber erfolglos eine Baseballmannschaft, der einfach kein Sieg zuteil wird.

Charlie Browns Ausdauer und seine Leidensfähigkeit üben auf mich eine besondere Faszination aus. Er nimmtNiederlagen fast stoisch hin und lässt trotz allem nicht ab, um die stets um die Zuneigung von Lucy zu werben.

An diesem Spätnachmittag im Regionalexpress erfreute ich mich dieses behutsamen Eintauchens in eine altbekannte Welt und blieb erstaunt an einem Comic gedanklich hängen, in dem er sich mit Linus an ihrem Mauervorsprung befindet:

Charlie Brown offenbart nicht nur, dass er wieder einen Schicksalsschlag erlebt hat, sondern findet in Linus einen emphatischen Freund. Beide teilen diese Erfahrung, aber wie fast immer hat Linus eine sehr pragmatische Lösung parat: Die Idee Schutzhelme zu tragen.

Mein Theologinnenherz schlug beim mehrmaligen Lesen des kurzen Comics sofort höher, denn ich fühlte mich von diesen beiden Comic-Helden meiner Kindheit und Jugend verstanden. Das Leben ist voller Niederlagen, Tiefpunkten und schweren Herausforderungen. Der Hinweis auf einen Schutzhelm erinnerte mich umgehend an einen besonderen Ratschlag des Apostel Paulus:

Vor allen Dingen aber ergreift den Schild des Glaubens, mit dem ihr auslöschen könnt alle feurigen Pfeile des Bösen, und nehmt den Helm des Heils und das Schwert des Geistes, welches ist das Wort Gottes.

Epheser 6,16-17

Christen und Christinnen haben neben anderen erwähnten Bestandteilen einer Waffenrüstung einen besonderen Schutzhelm – nämlich den „Helm des Heils“, den sie tragen. Der Helm schützt sie in schweren Lebenslagen mit der Gewissheit, dass durch Jesus eine Perspektive bis in die Ewigkeit geschaffen ist.

Charles Schulz hätte man dies nicht erklären müssen, denn er war in einer lutherischen Gemeinde im mittleren Westen der USA aufgewachsen, dann zum Methodismus konvertiert. Gott und Glaube waren für Schulz nicht einfach nur „Nebengedanken“, vielmehr atmen seine Comics den Versuch, die Welt durch die Augen des Glaubens zu ergründen. Dabei spielen für ihn die Themen von Leid (wie fehlender Sieg seiner Baseballmannschaft oder andauernder Verlust seines Drachens im Baum) und Barmherzigkeit (schwierige Beziehung zu Lucy) eine wichtige Rolle.

Mit einem Seufzer schloss ich das kleine Reclams-Buch während mein Blick den herannahenden Bahnhof und damit meinen Ausstieg fixierte. Ob Schulz bei besagtem Comic an den Ausschnitt aus dem Epheserbrief beim Zeichnen dachte und ihn anklingen ließ, werde ich wohl nie erfahren. Aber Charlie Brown und seine Gang werden mir immer wieder Anregung und Trost schenken.

Lesen gegen Hass (7) : Visuelle und sprachliche Mahnung mit ironischer Würze

Sehen, hören, riechen, schmecken und tasten – mit diesen fünf Sinnen nehmen wir Menschen physiologisch zumeist unsere Umwelt wahr. In diesem Blogeintrag möchte ich drei Bücher vorstellen, die Sie und euch wappnen soll gegen Hass, wie er im Nationalsozialismus in verheerender Weise Deutschland, Europa und die ganze Welt erfasst hat.

Visuell durch das Betrachten eines grafischen Romans.

Auditiv durch die Reflexion von Sprache anhand eines berühmten Notizbuchs.

Gustatorisch und olfaktorisch durch ein ironisch-makaberes Kochbuch.

„Die letzten 100 Tage Hitlers“ von Jean-Pierre Pécau, Filip Andronik, Senad Mavric und Jean Verney, erschienen in der deutschen Ausgabe bei Knesebeck 2025

Die Graphic Novel führt die letzten hundert Tage des grausamen NS-Regimes in all seiner Brutalität visuell vor Augen und zeigt das erbarmungslose und wahnhafte Festhalten an einer krankhaften Ideologie. Eine Mahnung gegen das Erstarken rechtsextremer Strömungen und die Gefahren der „Neuen Rechten“, die sich gleicher Mittel bedienen und die Menschenwürde mit Füßen treten.

Wenn auch aufgrund des Umfangs verkürzt, so ist diese packende Graphic Novel historisch gut fundiert vom Stauffenberg-Attentat bis zum Nerobefehl und künstlerisch beeindruckend mit interessanten Details ausgestaltet. Die Brutalität des mörderischen Regimes wird in eindrücklich bewegender Weise dargestellt und zeigt auf, das sich diese in einer makaberen Zuspitzung selbst gegen das eigene Land und dessen Bewohnter richtete als eine Niederlage abzusehen war:

„Was sagt Hitler dazu?“ … „Ich zitiere wortwörtlich: „Wenn der Krieg verloren geht, wird auch das Volk verloren sein. Es ist nicht notwendig auf die Grundlagen, die das deutsche Volk zu seinem primitivsten Weiterleben braucht, Rücksicht zu nehmen. Im Gegenteil. Es ist besser, selbst diese Dinge zu zerstören. Denn das Volk hat sich als das schwächere erwiesen und dem stärkeren Ostvolk gehört ausschließlich die Zukunft. Was nach diesem Kampf übrig bleibt, sind ohnehin nur die Minderwertigen, denn die Guten sind gefallen.“

S. 61

Die betrachtenden Personen begleiten den Wahnsinn, die Ängste und die tiefen Abgründe des Naziregimes bis in die letzten Stunden im Berliner Führerbunker. Eine visuelle Chronik einer grausamen Zeit, die die Betrachter vehement anregt über das Geschehene nachzudenken, damit es nie wieder in dieser oder anderer brutaler Weise geschehe.

„LTI – Notizbuch eines Philologen“ von Victor Klemperer, erschienen bei Reclam 1975 (Erstveröffentlichung 1947)

Eine auditive Wahrnehmung ist für unseren Alltag grundlegend. Sprache umgibt uns als Hörende und Sprechende. Nicht immer reflektieren wir unseren eigenen Wortschatz oder das uns entgegenkommende Wort. Victor Klemperer hat uns durch seine tiefsinnige Dokumentation ein Sprachwissen überliefert, das uns in einer Zeit erstarkendem Extremismus hellhörig werden lassen sollte.

Bereits der Titel des Notizbuchs enthält den ersten massiven Seitenhieb gegen ein mörderisches Regime, das zum Zeitpunkt seiner Erstveröffentlichung zwei Jahre zuvor brutal zu Ende gegangen ist. Victor Klemperer als Autor dieses wichtigen Buches nimmt uns persönlich beschreibend in fachlich tiefer Reflexion mit in das wohl wirkungsreichste Mittel des mörderischen Nationalsozialismus: die deutsche Sprache.

Victor Klemperer (1881-1960) als Jude geboren, zum Protestantismus konvertiert und Professor der Sprachwissenschaft, war durch die Rassengesetze der NS-Diktatur von dessen Auswirkungen direkt betroffen. 1947 veröffentlichte er die vorliegende Sprach-Analyse des Dritten Reiches, „LTI“ (Lingua Tertii Imperii), um vor den Gefahren von Sprache als Waffe zu warnen.

Die Sprache des Nationalsozialismus wurde „… 1933 aus einer Gruppen- zu einer Volkssprache…“ (S. 25) und bemächtigte sich „… auch, und sogar mit besonderer Energie, des Heeres; aber zwischen Heeressprache und LTI liegt eine Wechselwirkung vor, genauer: erst hat die Heeressprache auf die LTI gewirkt, und dann ist die Heeressprache von der LTI korrigiert worden.“ (S. 25)

Der Sprachwissenschaftler dokumentierte die um sich greifende Versachlichung und „Maschinisierung“ menschlicher Existenz und Identität, der sich als „Erlöserfigur“ darstellende Führer, Verniedlichung von massiven Eingriffen in Bürgerrechte und -pflichten und so vieles mehr.

[…] die stärkste Wirkung wurde nicht durch Einzelreden ausgeübt, auch nicht durch Artikel oder Flugblätter, durch Plakate oder Fahnen, sie wurde durch nichts erzielt, was man mit bewußtem Denken oder bewußtem Fühlen in sich aufnehmen musste.

Sondern der Nazismus glitt in Fleisch und Blut der Menge über durch die Einzelworte, die Redewendungen, die Satzformen, die er ihr in millionenfachen Wiederholungen aufzwang und die mechanisch und unbewußt übernommen wurden.

S.21

Schnell wird dem Leser und der Leserin bewusst, welch eine Macht Sprache tagtäglich auf uns ausübt und wie sehr sie uns im Denken und Handeln lenken kann. Daher sei dieses Buch allen dringend zur Lektüre anempfohlen.

Nazi Goreng. 33 urdeutsche Rezepte – ganz ohne Fremdobst, Exotik und Geschmack von Horst Kessel, erschienen bei riva 2023

Mit dem vorliegenden „Kochbuch“ wird es nun gustatorisch und olfaktorisch (bei dessen Durchführung) interessant für jeden, der sich gegen Hass auch in der Küche „wappnen“ möchte. Denn die Grundsätzlichkeit und Wichtigkeit des Essens ist uns allen gut bekannt.

Mit scharfem, dunklen Humor warnt der Autor durch seine dreiunddreißig Rezepte sprachlich tiefgründig vor Rechtsextremismus. Nach einem Grundrezept der „braunen Soße“ wird Kochwissen in Vor-, Haupt-, Süß- und Nachspeisen weitergegeben. „Deutsche Buchstabensuppe“, „Himmleermarmelade“, „Leckeres Apfelmussolini“ sind nur einige der vielen Rezepte, die durch geschickte Wortspiele dunkelste NS-Zeit bissig aufs Korn nehmen.

Zu „Heilbutt in Dill-Senf-Soße“ schreibt der Autor:

Das besondere an diesem Gericht ist, dass man es selbstverständlich ausschließlich mit der linken Hand zubereiten kann, da die rechte ja beschäftigt ist.

S. 29

Im Buchgeschäft wurde ich beim Kauf darauf hingewiesen, dass die Rezepte auch tatsächlich zubereitet werden könnten. Das Lesen derselbigen war erhellend und führt die Macht der Sprache in praktischer Weise vor Augen. Ein „Nachkochen“ überlasse ich lieber anderen, doch die Warnung wirkt nachhaltig und sensibilisierend.

Lesen gegen Hass 6: Nie wieder, schon wieder, immer noch!

Voller Erstaunen drückte ich auf den rot beleuchteten Knopf in meinem iPhone-Display und starrte auf die bunte Vielfalt der verschiedenen Apps. Das kann doch jetzt nicht wahr sein. Der Hörer hatte frech, aber kokett danach gefragt, warum ich immer wieder Partei für Jüdinnen und Juden ergreifen würde. Ich sei doch Christin und gehörte einer anderen Religion an. Das alles ginge mich nichts an. Und ob es dies tut!, hatte ich gekontert. Wenn er als sogenannter Christ wirklich Bibel lesen würde, wüsste er um die tiefe Verbundenheit, die wir als Christen mit dem Judentum haben.

Plötzlich war das „Nie wieder“, das ich immer wieder betonte, vor meinen Augen zu einem „Schon wieder“ geworden.

Jesus war Jude, entgegnete ich. Und Paulus schrieb davon, dass nicht wir die Wurzel tragen, sondern die Wurzel uns. (Röm 11,18; siehe Anmerkung 1) In den darauf folgenden Versen führte der Völkerapostel an die Gemeinde in Rom aus, dass ganz Israel erwählt und erlöst sei.

Schweigen am anderen Ende der Leitung. Und just wurde aus dem „Schon wieder“, das eigentlich ein „Nie wieder“ sein sollte, ein „Immer noch“.

Daher ist es mir wichtig, in diesem Blogeintrag für Pädagoginnen und Pädagogen, Lehrende und Interessierte zwei wichtige Bücher zu dieser Auseinandersetzung vorzustellen. Er ist einzureihen in eine Folge von Leseempfehlungen gegen den Hass, die ich vor geraumer Zeit begann. Die weiteren Einträge seien ebenso ans Herz gelegt.

Der 7. Oktober mit dem Hamas-Terroranschlag auf Israel erscheint mir wie eine Zeitenwende – wie ein tiefer Einschnitt in der gesellschaftlichen und politischen Struktur, der Antisemitismus unverhohlen hervortreten lässt. Es geht um nichts weniger als um unsere Demokratie, die damit auf dem Spiel steht. Aus dem „Nie wieder“, scheint ein „Schon wieder“ geworden zu sein – vielleicht aber handelt es sich, wie Philipp Peyman Engel bitter betrachtet, um ein „Immer noch“.

Daher sei Ihnen, liebe Blogleserin, lieber Blogleser, die beiden folgenden Bücher besonders sehr ans Herz gelegt.

„Nie wieder? Schon wieder! Alter und neuer Antisemitismus“ von Michael Wolffsohn, erschienen 2024 bei Herder

Wie oft betonen viele, dass nie wieder geschehen darf, was einst durch ein mörderisches NS-System geschah. Dieses Bekenntnis scheint aber vielfach leicht ausgesprochen, nun aber aufgrund des blutigen Angriffs der Hamas ins Wanken zu geraten. Im vorliegenden Buch geht der bekannte Historiker Michael Wolffsohn auf den menschenverachtenden Hass des Antisemitismus ein.

Antisemitismus, genauer: Antisemitismen, gibt es seit 3000 Jahren. […] Unsere nun wieder auch zunehmend – freilich nicht ausschließlich – sichtbar antisemitische Gegenwart knüpft an die Vergangenheit an. Sie ist ein reaktionärer Rückfall, auch wenn einige seiner Träger sich als Vorreiter des Fortschritts verstehen und präsentieren.

Wolffsohn: Nie wieder? Schon wieder! S. 12.

Nach diesen Ausführungen sind im Buch zum einen die nicht gehaltene Rede „Der deutsche 9. November – Gedanken zum Gedenken“ sowie die gehaltene Rede „85 Jahre „danach“ – Antisemitismus, hausgemacht und importiert“ enthalten.

Die erste Rede atmet vor dem 7. Oktober 2023 einen gewissen „Optimismus“, wage ich zu schreiben, der an eine Herzensbildung glaubt:

Das dringend notwendige neue deutsche Gedenken an Kristallnacht, Judenmorde und andere NS-Verbrechen muss nicht nur am oder zum Jahrestag des 9. November zielgruppengerechte Gedanken und vor allem eine Ethik entwickeln, sprich: Herzensbildung für die Sicherung und Festigung unserer humanen und notwendigerweise wehrhaften Demokratie.

Wolffsohn, Nie wieder? Schon wieder!, S. 46

Die zweite Rede wurde von Herrn Wolffsohn nach dem dem Hamas-Terrorüberfall auf Israel verfasst. In ihr schlägt er wichtige und deutliche Töne an, die uns alle nicht nur nachdenklich machen sollte, sondern uns zum Handeln bringen sollten. Deutschland steht auf einem sehr gefährlichen Grad.

Die Jüdische Weltgeschichte zeigt: Wo und wenn es Juden gut geht, geht es dem Land gut. Deutschland hatte bis 1933 die Wahl. Es entschied falsch, und es erging ihm schlecht. Es hatte ab 1949 wieder die Wahl – und entschied richtig. Deutschland ging es bestens. Heute steht Deutschland wieder vor der Wahl. Wie wird es entscheiden? So wie die zahlreichen echten Freunde, die Juden und Israel in Deutschland haben? Hoffen wir es.

Wolffsohn, Nie wieder? Schon wieder!, S. 67

„Deutsche Lebenslügen. Der Antisemitismus, wieder und immer noch“ von Philipp Peyman Engel, erschienen 2024 bei dtv

Philipp Peyman Engel zeigt in seinem Buch „Deutsche Lebenslügen“ die schmerzhafte Realität des Antisemitismus in Deutschland auf und rechnet mit denen ab, die zum Terror schweigen. Hierbei zeigt er auf, dass sich unser Land in einer tiefen moralischen Krise befindet, die nichts weniger als unsere Demokratie gefährdet.

Dabei greift er ein Tabuthema auf: Islamistischer Antisemitismus, dessen Entstehung und Verbreitung in Deutschland.

[…] Noch immer ist es in Deutschland ein Tabu, den enthemmten Hass auf Juden unter muslimischen Migranten anzusprechen.

Engel, Deutsche Lebenslügen, S. 11

Ein schmerzhaft ehrliches und direktes Buch, das mich als Leserin hineingenommen hat in eine unglaubliche Welt des Hasses. Ich bin sehr dankbar um den Mut, den der Autor hier erwiesen hat, um uns die Augen für die Vorgänge in Deutschland zu öffnen. Denn der Zyklus dieses Hasses wurde von Deutschen im Nationalsozialismus begonnen und kehrt nun in Gestalt des islamistischen Antisemitismus zu uns zurück.

Folgt man der These von Jeffrey Herf, haben die Deutschen den muslimischen Antisemitismus in dieser Form überhaupt erst erschaffen – und er kehrt nun über Einwanderer und Migranten aus vielen arabischen und muslimischen Staaten zu uns zurück. In ihm verbindet sich das antijudaistische Element des Korans mit dem rassistisch-mörderischen des Nationalsozialismus.

Engel, Deutsche Lebenslügen, S. 160

Beide Bücher rütteln auf ihre jeweils eigene, aber direkte Sprache, klare Worte und Einblicke in das durch Antisemitismus ausgelöste Leid auf. Das Lesen beider Bücher wird nicht spurlos an den Lesenden vorüberziehen. Nun ist zu hoffen, dass darauf auch Taten in vielerlei Weise zum Schutz von Jüdinnen und Juden sowie unserer Demokratie darauf folgen mögen.


(1) Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich.

Lesen gegen Hass 5: Auseinandersetzung mit zwei Tabuthemen

Während ich durch den Türstock unsere Wohnung betrat, fiel mein Blick auf die in Blau und Silber gehaltene Mezuzah. Ich hielt traurig inne. Durch unsere Auslandszeit in New York, USA war uns das Judentum sehr ans Herz gewachsen. Tiefe Einblicke in deren religiöses Leben und vor allem Freundschaften hatten uns verändert. Was aber damals eher als Bedrohung hier und dort am Horizont der gesellschaftlichen Geschehnisse und meiner eigenen Bemühungen um eine Aufarbeitung deutscher Geschichte aufblitzte, wird inzwischen deutlicher spürbar: Der mancherorts sich entwickelnde politische und gesellschaftliche Rechtsrutsch ist bittere Realität und Antisemitismus stellt inzwischen für viele Jüdinnen und Juden eine reale Bedrohung dar.

Wir müssen uns aufgrund dessen dringend mit zwei schmerzhaften Tabuthemen auseinandersetzen:

Zunehmende Veralltäglichung von antisemitischem und rechtem Haß und Hetze: Wir müssen uns aufgrund der politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen dem stellen, dass der Haß und die Hetze antisemitischen und rechtem Gedankengutes sich zunehmend in die gesellschaftliche Struktur einwebt und dadurch auf persönlicher Ebene alltäglich und damit geduldet – unter Umständen sogar willkommen geheißen – wird.

Islamischer Antisemitismus: In meinem Umfeld befinden sich nur friedfertige Musliminnen und Muslime. Dies sei ausdrücklich an dieser Stelle betont. Islamischer Antisemitismus ist die Ausnahme, nicht die Regel im Islam und leider ist dieser Haß auch in meiner eigenen Religion, dem Christentum, spürbar und wahrnehmbar. Wo auch immer dieser Haß auch auftritt, muss er bekämpft werden.

Aufgrund von Migration müssen wir uns in Europa und Deutschland der bitteren Form dieses alle Menschenwürde und -rechte verneinenden Hasses innerhalb des Islam bewusst werden und dürfen ihn weder ignorieren, noch verschweigen. Durch die Vorkommnisse der letzten Monate, die diesem Haß nicht nur ein Gesicht gegeben haben, sondern ihn als Bedrohung für unsere Gesellschaft und unsere freiheitliche Demokratie zeigt, ist ein genaues Hinsehen und Verstehen wichtig, um sprach- und artikulationsfähig zu sein. Dies ist wichtig sowohl für den pädagogischen als auch persönlichen Bereich, in dem wir uns engagieren sollten, um Menschenwürde und Grundrechte stark zu machen, damit Antisemitismus keine Chance erhält, sich in den Köpfen und Herzen auszubreiten.

In diesem Blogeintrag gehe ich bei der Vorstellung zweier Bücher nach Jesu Worten vor, die uns Christinnen und Christen anhalten, zuerst eine Eigenreflexion durchzuführen, bevor wir die Probleme anderer in den Blick nehmen. Jesus gibt uns hierfür klare Maßstäbe vor:

Was siehst du den Splitter in deines Bruders Auge, aber den Balken im eigenen Auge nimmst du nicht wahr? Wie kannst du sagen zu deinem Bruder: Halt still, Bruder, ich will dir den Splitter aus deinem Auge ziehen, und du siehst selbst nicht den Balken in deinem Auge? Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge, danach kannst du sehen und den Splitter aus deines Bruders Auge ziehen.

Lk 6,41-41

Nach einem Blick in die deutsche Geschichte anhand einer Familienbiografie, bietet die zweite Leseempfehlung einen Blick auf dessen Auswirkungen im Nahen Osten.

„Columbusstraße: Eine Familiengeschichte: 1935 – 1945 | Wahre Familiensaga während des Zweiten Weltkriegs“ von Tobi Dahmen, erschienen 2024 bei Carlsen Comic

Fast automatisch kam unserer Familie das Gebet über die jüngeren und älteren Lippen. „Komm, Herr Jesu, sei unser Gast; und segne, was du uns bescheret hast.“ Seit Generationen gehört das kurze, prägnante Gebet zum Repertoire christlicher Traditionen am Essenstisch. Auch in unserer Familie findet es neben anderen, wie dem „Superman Prayer“, einem schöpfungstheologischen Gebet und einem äußerst kurz gehaltenen „Eil-Gebet“ oftmals Verwendung.

Während ich die Graphic Novel „Columbusstraße“ las, staunte ich nicht schlecht, als die Familie von Tobi Dahmen eben selbiges Gebet am Essenstisch sprach. Ein unsichtbares Band war im Nu zwischen ihnen und mir geknüpft, das mich zwang über die Vergangenheit meiner Familie nachzusinnen.

Tobi Dahmen ist mit der imposanten Graphic Novel „Columbusstraße“ ein monumentales, eindrückliches Werk gelungen, das den Leser und die Leserin umgehend mit in den Bann zieht. Hierbei dient dem Autor seine eigene Familiengeschichte als Grundlage zur Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und der dort geschehenen schleichenden Veralltäglichung von antisemitischem und rechten Haß und Hetze.

In dieser Graphic Novel dürfen wird seine Familie, die im wohhabenden Düsseldorf-Oberkassel wohnt, von 1935 bis 1945 begleiten und erleben mit, wie das diktatorische NS-Regime sich bis in die kleinsten Abläufe des Lebens erstreckte. Diese Durchdringung machte eine gefährliche Verbreitung und Verankerung rechten und antisemitischen Gedankengutes möglich.

Mich hat das 500 Seiten dickes Ausnahmewerk innerhalb der Graphic Novel Szene zutiefst bewegt. Und ich stelle mir immer wieder bei ganz alltäglichen Tätigkeiten wie dem genannten Tischgebet die Frage, ob sich in gewohnte Abläufe auch Zellen des Hasses und der Hetze in mir und meinem Umfeld manifestiert haben. Eine Frage, derer wir uns alle stellen müssen, damit nicht geschieht, was Millionen von unschuldigen Menschen das Leben kostete. Lassen Sie uns gemeinsam auf der Hut sein, damit die Veralltäglichung von antisemitischem und rechtem Haß und Hetze nicht bittere Realität in Deutschland, Europa und der Welt wird.

„Nazis und der Nahe Osten. Wie der islamische Antisemitismus entstand“ von Matthias Küntzel, erschienen 2019 bei Hentrich & Hentrich

Bundesverband RIAS dokumentierte im Jahr 2023 die besorgniserregende Zahl von 4.782 antisemitischen Vorfällen. Dies entspricht einer Zunahme von über 80% im Vergleich zum Vorjahr. Aus meiner Sicht ist hierbei ein direkter Zusammenhang mit dem Angriffskrieg der Hamas gegen Israel zu ziehen.

Die Ereignisse der vergangenen Wochen müssen uns nachdenklich machen und leider müssen wir uns, ob wir es wollen oder nicht, mit einem weiteren Tabuthema auseinandersetzen: dem islamischen Antisemitismus. Diesem Thema müssen wir uns stellen, um zu informieren, zu warnen und eine gelungene Prävention in Familien, Schulen und Bildungseinrichtungen umsetzen zu können.

Das Buch „Nazis und der Nahe Osten“ von Matthias Küntzel sei hierzu anempfohlen, dessen Lektüre schockierend und aufrüttelnd zugleich ist. Mir war das leider durchaus nachhaltige Wirken des tödlichen NS-Regimes im Nahen Osten in dieser Form nicht bekannt gewesen. Die Verquickung von radikalem Islam und Antisemitismus erschien mir als äußerst unlogisch – in September 2016 hatte ich in New York die Auswirkungen eines islamistischen Bombenanschlages als ehrenamtliche Seelsorgerin der NYPD mit begleitet und konnte den Haß, der durch den Täter gegen sog. „Nichtgläubige“ richtete, nicht nachvollziehen. Das Buch von Küntzel gibt mir die Möglichkeit, manches besser in seinen Zusammenhängen verstehen zu können.

Zwischen 1937 und 1945 scheute sich das NS-Regime nicht, Antisemitismus im Nahen Osten zu nähren. Nazi-Deutschland hatte bereits in den Dreißigerjahren sich judenfeindlicher Zitate aus dem Koran bedient und für die eigenen Propaganda in der arabischen Welt instrumentalisiert. Von Zeesen, einem südlich von Berlin stationierten Kurzwellensender, wurde der islamische Antisemitismus gezielt unter Muslimen verbreitet.

Matthias Küntzel beleuchtet dieses Tabuthema deutscher Geschichte und zeigt wie sich das Judenbild im Islam zwischen 1937 und 1948 unter dem Einfluss einer ausgefeilten arabischsprachigen NS-Radiopropaganda veränderte. Hierbei stellt er heraus, dass die Begegnung des Nahen Ostens mit der Nazi-Ideologie zwar kurz gewesen war, aber noch lange nachhallt.

Das Buch stellt eine wichtige Grundlage dar, um islamischen Antisemitismus verstehen zu können und ihm vorzubeugen. Pädagoginnen und Pädagogen sei es besonders ans Herz gelegt, aber auch allen, die in der Komplexität der gesellschaftlichen Entwicklungen Erklärungswege suchen. Erst wenn wir begreifen, wie stark die moderne Nahostgeschichte von diesen Nachwirkungen des Nationalsozialismus geprägt ist, werden wir den Judenhass in dieser Region und dessen Echo unter Muslimen in Europa vielleicht richtig deuten können.

Mehr als Fußnoten – von feministischer Literatur und Hoffnungsmomenten

Auf nachtblauem Hintergrund hielt eine in Chagallblau gehaltene Frau in stolzer Haltung ein Schwert vor sich. Goldene Akzente betonten ihr ritterliche Kleidung und durchzogen in feinen und gröberen Zügen den Nachthimmel. Meine Hand streifte vorsichtig über den Einband, während ich den Form des Buchtitels auf dessen Oberfläche erspüren konnte.

Die zahlreichen Seiten der Fantasy-Dilogie „Sisters of Sword and Shadow“ der britischen Autorin und Feministin Laura Bates waren in den letzten Tagen im Nu an mir vorübergeeilt. Ich war eingetaucht in eine Welt zur Zeit König Arthurs, in der Frauen weder Macht, noch Reichtum, geschweige denn eine Förderung gemäß ihrer Begabungen und ihres Potentials erhielten. Die Hauptfigur Cass, die von ihrer Familie für eine arrangierte Ehe bestimmt worden war, träumt von Freiheit, Selbstbestimmung und Verwirklichung ihrer eigenen Gaben. Durch eine Verkettung von Umständen folgt sie einer fremden Frau und wird in geheime Schwesternschaft weiblicher Ritter aufgenommen. Hier lernt sie zu kämpfen um die geheime Gemeinschaft zu schützen und durch Männer entstandenes Unrecht wiedergutzumachen. Als Leserin tauchte ich in eine Welt tödlicher Fehden ein und erlebte mit, wie die Hauptfigur ihre besonderen Fähigkeiten allen Widerständen zum Trotz entdeckte und zu sich selbst fand.

Jenseits aller fantastischer Ausschmückung tat mir die im Buch dargestellte Solidarität sehr gut, die innerhalb der Frauengemeinschaft gelebt wurde. Denn nicht selten erlebe ich eine andere Realität. Frauen, die anderen Frauen keine Förderung gönnen. Frauen, die anderen Frauen angebotene Möglichkeiten zerstören statt ihnen zu helfen, das von Gott geschenkte Potenzial zu leben. Frauen, die sich mit einem in-sich-geschlossenen männlichen System solidarisieren, um Vorteile zu nutzen, als zu ihren Kolleginnen zu stehen.

Laura Bates weiß, wovon sie schreibt: als Gründerin des „Everyday Sexism Project“ hat sie über 250.000 Schilderungen von Alltagssexismus gesammelt. Die zu Tage getretene Ungleichheit, der versteckte oder offenen Sexismus gegenüber Frauen, der hierdurch offen gelegt wurde, führte in Großbritannien zu Veränderungen in Schul-Curricula, Facebook-Regelungen und hatten sogar großen Einfluss im Vorgehen der „British Transport Police“ hinsichtlich sexuellen Übergriffen.

Während Romane nicht das angestammte Metier von Laura Bates sind, lege ich ihr Buch „Fix the System – Not the Women“ jeder Person ans Herz, die sich mit sexualisierter Gewalt und der ihr zugrundeliegenden Vorurteilen gegenüber Geschlechtern auseinandersetzen will.

Im Gegensatz zu den oft bitteren realen Schilderungen sexualisierter Gewalt gegen Frauen, die in diesem Projekt gesammelt wurden, findet die Hauptfigur Cass allen Widerständen zum Trotz zu sich und ihrem Potential. Sie und einige andere weibliche Figuren treten damit in das Zentrum des Romans, um eine andere, eine Welt aus weiblich-selbstbewusster Sicht aufzuzeigen. Wie oft wurde und wird unsere Welt aus männlicher Sicht beschrieben oder deren Sicht niedergeschrieben. Denken wir doch einfach an viele Sagen, Legenden oder Erzählungen, biblische Bücher und so vieles mehr. Aber Frauen wollen mehr sein als nur eine Fußnote. Das nimmt die Autorin in ihrem Buch ernst und entfaltet dies in ihrem Nachwort:

Cass is a heroine I hope will resonate with the young people I work with – finding her inner power in a world that wants to force her into a footnote. She rejected the minor, submissive, supporting role that has been written for her, and exchanges it instead for an exhilarating life of adventure, power and sisterhood. Above all, she finds the strength to write her own story. This is everything I wish for my readers.

Vielleicht braucht es genau solch eine fiktionale Figur, die inspirieren kann, dass Frauen nicht nur eine Fußnote im Text des Lebens und der Geschichte sein wollen, sondern ihrem Gaben gemäß sich entfalten können. Das mag in vielem der oftmals gesellschaftlich zugewiesenen Rolle entgegenstehen, aber nicht jede Frau – und auch nicht jeder Mann!- findet sich darin wieder, sondern möchte sich in anderer Weise in unsere Gesellschaft einbringen.

Nachdenklich schlug ich das Buch endgültig zu. Es lag schwer in meiner Hand als ich es an seinen neuen Platz in meinem Bücherregal zur Frauenliteratur stellte. Das Chagallblau der Frau strahlte mir inmitten all dem Rosa, Violett und Pink der meisten anderen Gleichstellungsliteratur aufmunternd entgegen als ob es mir sagen wollte, dass wir Frauen allen erlebten Widerständen zum Trotz die Hoffnung nicht aufgeben sollte – Frauen dürfen und sollen mehr sein dürfen als Fußnoten in der gesellschaftlichen Struktur.

Lesen gegen Hass 4: im Nachgang der Europawahl Lernen wider Angst und Rechtsextremismus

TikTok hat ganze Arbeit geleistet. Das müssen wir im Nachgang der Europawahl zähneknirschend anerkennen. Die bekannte soziale Plattform wurde effizient von der Partei AfD und vielen anderen rechten Influencern für ihre rechtsextremen Zwecke genutzt. Dafür haben andere Parteien, deren Vertreter und Institutionen mit vielfacher Abwesenheit geglänzt oder sich nur punktuell dort eingebracht. Ich nehme mich dabei nicht aus – obwohl ich digitalaffin bin, bin ich vor TikTok zurückgeschreckt. Die Plattform stellt nicht nur eine datenschutzrechtliche Katastrophe dar, sondern aufgrund meiner gegenwärtigen Tätigkeit als Seelsorgerin in einer Sicherheitsbehörde habe ich hinsichtlich dieser große Vorsicht walten lassen.

Doch die Stimmanteile innerhalb der Jungwähler bei der gerade durchgeführten Europawahl ließen mich erschrocken aufhorchen und veranlaßten mich, einen Beitrag der Tagesschau hinsichtlich dieser Altersgruppe in meiner privaten Storyline zu reposten. Eine Kollegin schrieb mir hierauf: „So schrecklich. Das sind unsere AnwärterInnen.“

Sie hat recht. Es sind diejenigen, die wir Lehrerinnen und Lehrer, Dozentinnen und Dozenten gegenwärtig in den unterschiedlichen Schultypen und Universitäten Deutschlands unterrichten. Die ab sechzehn wählen dürfen. Es ist auch die Generation, die gerade in meinem eigenen Haushalt aufwächst. Viele Diskussionen entbrannten in den Tagen vor der Europawahl am heimischen Essenstisch. Besonders erstaunlich war für mich, dass sich in ihren Worten eine gewisse Ratlosigkeit, Skepsis und Angst breit machte, die ich meinen eigenen Kindern und dieser heranwachsenden Generation nicht wünsche. Vielmehr würde ich ihnen gerne einen Zukunftsoptimismus zusprechen, mit dem meine Generation aufwachsen durfte: einem Europa, dessen Grenzen sich öffneten; einer Vernetzung über Länder hinweg, die neue Möglichkeiten und Freiheiten schaffen würde. Aber wir müssen uns dem stellen, dass dieser Optimismus im Nachgang der Pandemie, mit den vielen Kriegen, kriegerischen Auseinandersetzungen und wirtschaftlichen Herausforderungen einem Zögern, bei manchen sogar einem Zukunftspessimismus gewichen ist.

Dies hat selbstverständlich Auswirkungen auf die politische Struktur von Ländern. Und diese emotionale „Großwetterlage“ hat nicht nur die junge Generation erfasst, sondern reicht weit darüber hinaus.

Gemeinsam mit den Sechzehnjährigen hat ganz Europa gewählt. In Deutschland war es mit 64,8 % die höchste Wahlbeteiligung seit der Wiedervereinigung. Eine durchaus stattliche Zahl, die erfreuen sollte. Interessant aber wird es, wenn man sich das Wahlverhalten genauer ansieht. Hierbei interessieren vor allem aufgrund der deutschen Geschichte die Ergebnisse im Bereich der rechtsgerichteten Parteien – im Fall Deutschlands der AfD. Während viele Nachrichtenportale und Printmedien die Erstwählerinnen und -wähler hervorheben, sollten wir etwas vorsichtiger sein, denn die Klimax besteht vor allem bei denen, die mit 35-44 Jahren mitten im Leben stehen. Die Stimmanteile fallen erst wieder im Alterssegment 70 und älter.

Was also treibt alle diese Personen in die Arme einer rechtsgerichteten Partei? Eine Frage, die wir uns alle stellen sollten. Erst recht diejenigen unter uns, die in Bildung verortet sind. Mag dies eine Schule, eine andere Bildungsstätte oder eine religiöse Einrichtung sein. An allen Orten, an denen Bildung geschieht, sollten wir miteinander dringend ins Gespräch kommen, was uns Angst macht, um uns dieser zu stellen und gemeinsam gangbare Wege zu finden. Denn nichts geringeres als unsere Demokratie steht hier auf dem Spiel. Eine Demokratie, die aus der Katastrophe des zweiten Weltkrieges, seinen Morden und Unrecht als Gegenmodell entstanden ist, die eine gerechtere Welt zum Zentrum hat.

Für mich ist der Ort, an dem Ängste ausgesprochen werden dürfen und Bildung stattfindet, gegenwärtig der berufsethische Unterricht in der Bundespolizei. Bei Ihnen mag es ein ganz anderer Ort sein. Wie wir den Zahlen der Europawahl entnehmen können, müssen solche Austausch- und Bildungsmöglichkeiten für alle Altersgruppen geschaffen werden.

Ich stelle im folgenden vier Bücher vor, die für einen solchen Austausch durchaus von Vorteil sein können. Für mich sind diese die Grundlage eines Unterrichtsmoduls, das ich gegenwärtig für ein Seminar des Bundespolizeiaus- und -fortbildungszentrums erstelle. Neben einer grundsätzlichen Information über Rechtsextremismus und Angst, wird es den Bogen von Alltag hin zu rechtsextremen Hass und der eigenen Verantwortung beschreiten. Im Dialog sollte hierauf folgend Wege der Hoffnung gemeinsam gesucht und beschritten werden.

Den Anfang macht ein Buch, das hilft, die Ängste zu verstehen, die uns alle erfassen können und auf denen Rechtsextremismus ein Einfallstor in die Gedanken und Herzen von Menschen findet.

„Logik der Angst. Die rechtsextreme Gefahr und ihre Wurzeln“ (Berlin 2023) von Peter R. Neumann

Das Buch von Peter R. Neumann, Professor für Sicherheitsstudien am King’s College London, gibt einen hilfreichen Überblick über die einflussreichsten Denker und Werke rechtsextremer Strömungen. Auf übersichtlichen 166 Seiten klärt der Autor in leicht verständlicher Sprache über die Geschichte des Rechtsextremismus und seine aktuellen Erscheinungsformen auf. Das Buch gibt keine konkreten Handlungsanweisungen, kann aber als Verständnisgrundlage für Ängste dienen, die Menschen in die Arme rechtsextremer Parteien treibt.

Aufbauend auf diesem empfiehlt sich als Einstieg in das Thema eine Perspektive, die vom Alltäglichen her sich entfaltet und Personen in ihrem Alltag, aber auch dem Befremdlichen einer Zeit abholt, in der Rechtsextremismus gesellschaftlich etabliert war.

„Und morgen gibt es Hitlerwetter! Alltägliches und kurioses aus dem Dritten Reich“ (Frankfurt am Main 2006) von Hans-Jörg und Gisela Wohlfromm

Wer kennt ihn nicht, den olympischen Fackellauf? Oder die „Goldene Kamera“, die jedes Jahr in Deutschland verliehen wird? Oder den Eintopf, der ab und an seinen Weg auf den Essenstisch zur Freude der Erwachsenen oder zum Leid so manchen Kindes findet?

Alle genannten haben ihre Wurzeln und ihre Entstehung im Nationalsozialismus.

Um Geschichte verstehen zu können und mit der eigenen Lebensumgebung vergleichen zu können, lohnt sich ein Blick in den Alltag des Dritten Reiches. Das Buch greift einiges Bekannte, aber noch mehr Unbekanntes auf und schafft dadurch eine notwendige Brücke und Diskussionsgrundlage.

Mit dem hierdurch eröffneten Problemhorizont kann man dann einen mutigen Schritt zu dem wohl destruktivsten Buch der Weltgeschichte wagen, um es zu entzaubern und vor seinen dort niedergeschriebenen Ideen und Konzepten zu warnen.

„Mein Kampf. Die Karriere eines deutschen Buches“ (Stuttgart 2015) von Sven Felix Kellerhoff

Dieses sollte in Kombination mit der wissenschaftlichen Ausgabe des „Originals“ besprochen werden:

„Hitler, Mein Kampf: Eine kritische Edition“ (München – Berlin 2020)

Sven Kellerhoff gelingt mit seinem Buch ein wichtiger Einblick in die bekannteste Hetzschrift der Welt und des meistverkauften deutschen Buches aller Zeiten. Die Wirkung dieses Buches hatte im Nationalsozialismus verheerende tödliche Folgen, die bis heute nicht nur nachwirken, sondern neue Nachfolge und Nachahmungen finden.

Das Buch gibt Einblicke in die Entstehung der Hetzschrift Hitlers, die ein tödliches Lügenkonstrukt hervor schälen, das viele und bis zum heutigen Tage Rechtsextreme inspirieren. Hitler wird hierin als Verfälscher seiner eigenen Biografie und als korrupter Steuerhinterzieher entlarvt. Ein entzauberndes, wichtiges Buch, das vor solchen und anderen mörderischen Menschen und deren Ideologien warnt.

Einige von vielen Büchern, die im Nachgang der Europawahl helfen können, sich der immer deutlicher werdenden Angst zu stellen und gemeinsam auf die Suche nach demokratischen Wegen zu machen.

Lest gegen Hass! Mit euren Schülerinnen und Schülern. Mit euren Kolleginnen und Kollegen. In Familien und Freundeskreisen.

Gebt Menschen die Möglichkeit, die sie bewegende Angst auszusprechen, aber daraufhin umso mehr einer Hoffnung, die in schweren Zeiten bessere Wege der Demokratie weisen kann. Damit statt Hass in den Herzen und Gedanken der euch Anvertrauten nicht auf fruchtbaren Boden falle.

Gelebte Solidarität in schweren Zeiten

Mitten in den Stürmen des letzten Jahres, als die Pandemie in New York hereinbrach und Menschen in gesundheitliche, finanzielle und sehr persönliche Nöte stürzte, waren es besondere Menschen nah und fern, die mir Kraft spendeten und mir halfen in meinem herausfordernden Dienst als Pfarrerin in einem Ausbruchsgebiet helfend für andere da zu sein. Eine dieser Personen war Uwe Kemmesies, Leiter der Forschungsstelle Terrorismus/Extremismus im Bundeskriminalamt. Er hatte in dieser schweren Zeit ein offenes Ohr für meine Situation und deren Belastung.

Uwe Kemmesies kennt die Herausforderungen des Lebens und betreibt in engagierter Weise Radikalisierungsforschung mit kriminologischer und konflikttheoretischer Ausrichtung. Als Koordinator des Spitzenforschungsclusters »Monitoringsystem und Transferplattform Radikalisierung« hat er ein besonders waches Auge auf die gegenwärtigen und zukünftigen gesellschaftlichen Entwicklungen.

Daher ist es kaum verwunderlich, dass Herr Kemmesies die Corona-Krise zum Anlass für einen wachen und unverstellten Blick auf solidarische Entwicklungen und deren Inspiration war. In seinem neuen Buch „Solidarität in Zeiten von Corona und darüber hinaus – ein Plädoyer für Armutsbekämpfung“ (Leseprobe 1, Leseprobe 2; Besprechung) hat er einen vielschichtigen und inspirierenden Sammelband herausgegeben. Als er mich um ein Kapitel aus interreligiöser und internationaler New Yorker Sicht anfragte, war ich nicht nur Feuer und Flamme für dieses Thema, sondern über seine Anfrage sehr bewegt.

So sei Ihnen dieser Sammelband sehr ans Herz gelegt!

Kleine Einblicke gewährt die Reihe digitaler Leseveranstaltungen in dieser Woche, in der Autorinnen und Autoren persönliche Einblicke in ihre Artikel gewähren werden. Herzliche Einladung hierzu!

  1. März (19:00 – 20:30 Uhr) Materielle Armut mit:
  • Miriam Groß – Pastorin … berichtet aus New York
  • Hans Sander – Gewerkschafter … bringt sich ein als ‚Anwalt‘ der Armen
  • Antonis Schwarz – Philanthrop, Hochvermögender … beleuchtet Armut aus der Millionärsperspektive
    Moderation: Alexandra Blaumann (Friedensdorf International), Uwe Kemmesies (Herausgeber)
  • Weitere Informationen und kostenlose ANMELDUNG
  1. März (19:00 – 20:30 Uhr) Soziale Armut mit:
  • Ricarda Steinmayr – Professorin … was bedeutet Corona für Kinder und Jugendliche …
  • Ulrich Wagner – Professor im Ruhestand … was macht das Virus mit uns, mit der Gesellschaft
    Moderation: Rebecca Proba (Friedensdorf International), Uwe Kemmesies (Herausgeber)
  • Weitere Informationen und kostenlose ANMELDUNG
  1. März (19:00 – 20:30 Uhr) Kulturelle Armut mit:
  • Benedikt Eichhorn – Kabarettist (Pigor&Eichhorn) .. wir wollen nur spielen …..
  • Pamela Schobeß – Clubbetreiberin&Vorsitzende der Berliner Clubcommission …Clubkultur braucht Nähe …
    Moderation: Rebecca Proba (Friedensdorf International), Uwe Kemmesies (Herausgeber)
  • Weitere Informationen und kostenlose ANMELDUNG