Als ich den braunen, unscheinbaren Postumschlag öffnete, leuchtete mir neben einem in schwungvoller Schrift gehaltenem Brief eine rote Mütze mit dezenter schwarzer Melierung entgegen. Vorsichtig zog ich die wertvolle Post aus ihrer Verpackung und probierte die gehäkelte Mütze an, die sich umgehend weich und warm um meinen Kopf schmiegte. Die von meiner Freundin mitgesandten Worte enthielten einen Bibelvers, der mich begleiten sollte:
Und ich sprach: Setzt ihm einen reinen Kopfbund auf sein Haupt! Und sie setzten ihm den reinen Kopfbund auf sein Haupt und zogen ihm Kleider an, und der Engel des HERRN stand dabei.
Sacharja 3,5
Amüsiert betrachtete ich die Mütze, deren Rot mir warm und gleichzeitig resolut entgegen strahlte. Obwohl wir erst seit etwas mehr als einem Jahr befreundet waren, kannte meine Freundin mich inzwischen sehr gut. Eine extravagante Mütze mit Gold, Glitzer & Co. würde ich nie tragen. Der „Kopfbund“, den sie mir geschickt hatte, bestand Masche um Masche aus lieben Gedanken, die sie in einen Postumschlag zu mir auf den Weg gesandt hatte und einem kleinen, signifikanten theologischen Witz, der erst durch meine Biografie verständlich wird. Dazu muss ich etwas ausholen und den Kontext des Bibelverses beleuchten.
In einer Vision sieht der Prophet Sacharja Josua als Hohenpriester und geistlichen Hirten seines Volkes vor dem Engel des Herrn stehen. Er wurde anstelle des Volkes angeklagt. Neben ihm steht Satan als Ankläger, der auf die Übertretungen und Fehler des Volkes hinweist während Joshua schweigend neben ihm steht. Doch Gott setzt den Übertretungen zeichenhafte Handlungen der Vergebung für das gesamte Volk entgegen indem er Joshua neu einkleidet. Unter anderem mit einem „Kopfbund“, der von Hohenpriestern getragen wurde und ihn als dem Herrn zugehörig auswiesen (קדש ל יהוה – „dem Herrn heilig“). Diese Kopfbedeckung (nebst anderem Ornat) muss durchaus imposant gewesen sein, wie Abbildungen eines Buches von Franz Bock zeigen:



Hieraus entwickelte sich laut Autor die Mitra als heutige priesterliche Kleidung römisch-katholischer Bischöfe, die damit die göttliche Beauftragung unterstreichen soll. Nicht nur ist der römisch-katholische Gottesdienst liturgisch reicher, sondern deren Würdenträger nebst gottesdienstlichem Raum elaborater ausgestaltet als so manch evangelische Kirche. Was auf der einen Seite eine Faszination ausstrahlt, ist mir in vielem als evangelische Christin sehr fremd.
Als Pfarrerin, die in Bayern eine lutherische und in Schottland eine reformierte Ausbildung durchlaufen hat, und geprägt ist durch die methodistische Theologie, in die ich aufgrund meiner Dissertation tiefe Einblicke erhalten durfte, ist mir Pomp, Glitzer und Glamour fremd. Glaube und Amt müssen für mich „alltagstauglich“ sein. Sie müssen sich einweben in den normalen Lebensrhythmus, indem sie getestet und auf Herz und Nieren immer wieder geprüft werden.
Ich bewunderte die vor mir liegende Mütze in ihrer Schlichtheit und strahlenden Farbe, die durchsetzt war von einigen dunklen Akzenten wie das Leben selbst. Durch ihre schlichte Form und die anpassungsfähigen Maschen, die die Mütze ausmachten, würde sie selbst im heftigsten Lebens- und Dienststurm nicht von meinem Kopf gerissen werden. Ich war dankbar, dass Gott mir solche Engel wie diese Freundin an die Seite stellte, die mich kannten, unterstützten und halfen, um Gottes Wort durch meine schlichte Präsenz als Seelsorgerin in die Bundespolizei bringen zu können.

Quelle: Bock, Franz: Geschichte der liturgischen Gewänder des Mittelalters: oder Entstehung und Entwicklung der kirchlichen Ornate und Paramente in Rücksicht auf Stoff, Gewebe, Farbe, Zeichnung, Schnitt und rituelle Bedeutung (Band 1) — Bonn, 1859