Eine lebhafte Unterhaltung voller Vorfreude auf die kommende Fortbildung entspann sich zwischen uns, während mein Mitarbeiter routiniert das Dienstauto durch den schnellen und manchmal dichten Verkehr der Autobahn in Richtung Dresden lenkte. Währenddessen schweifte mein Blick an anderen Autos vorbei und blieb an einem gelben Lieferwagen haften, dessen Laderaumtüren aufgrund des schlechten Wetters verschmutzt waren. Ein traurig dreinblickender Smiley, der in den Schmutz mit schneller Hand hinein gemalt worden war, sah mir mit großen Augen entgegen. Als unser Dienst-Kfz langsam an dem Lieferwagen vorbeizog, betrachtete ich das Gemalte näher und erschrak schrecklich. Neben dem Smiley prangte ein kleineres, aber durchaus sichtbares Hakenkreuz! Man mag vielleicht aufgrund des traurigen Smileys eine Opposition in dem Aufgemalten erahnen wollen. Aber wann und wie die Zeichenabfolge war oder wie das Beschriebene entstand, entzieht sich meinem Wissen. DASS ein Hakenkreuz auf Deutschlands Autobahnen an uns vorüberfuhr aber war ein großer Schrecken.


Mir wurde umgehend schlecht und die Luft fühlte sich plötzlich stickig und abgestanden an. Unsere freudige Unterhaltung nahm ein jähes Ende während ich meinen Mitarbeiter auf das Gesehene hinwies.
Der Antisemitismus ist inzwischen wieder sichtbar in unserer deutschen Gesellschaft angekommen. Nach dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 nehmen die antisemitischen Hasstaten in besorgniserregender Weise zu. Was bis vor kurzem vielleicht in Randgruppen, unter vorgehaltener Hand oder im Verdeckten geäußert wurde, wird nun in Deutschland immer sichtbarer.
Auf dem Praxisschild einer befreundeten Rabbinern, die als Ärztin praktiziert, prangt ein Hakenkreuz, das mit einem scharfen Gegenstand in die Oberfläche geritzt worden war. Das Praxisschild befindet sich an einem Ärztehaus mit viel Publikumsverkehr und einer gut befahrenen Straße mitten in der beschaulichen Stadt Bamberg.

Es ist dieser Schockzustand, der mich seit Wochen umgibt und mich sorgenvoll auf unser Land blicken läßt. Antisemitismus ist eine schlimme, menschenverachtende Irrlehre, die sich wie ein maligner Krebs in unsere Gesellschaft seit Jahrhunderten hineingefressen hat. Bei dieser Irrlehre geht es um das Ganze, nämlich um unsere Demokratie, die aus den Schmerzen und bitteren Lehren des zweiten Weltkrieges geboren wurde. Es geht um die Frage, ob wir dem alles vernichtenden Hass des Antisemitismus stand halten oder unsere Demokratie, die nach dem Disaster des Holocaust und der weiten Zerstörung Deutschlands ein Miteinander, Wohlstand und Versorgung hervorgebracht hat, diesem Hass zum Sterben hingeben?
Es geht um eine fundamentale Spaltung. Darum, ob wir für unsere gemeinsamen Werte des Friedens, der Freiheit, der Menschenrechte und der Gerechtigkeit – so wir denn mehr daran glauben als an einen liebenden oder strafenden Gott – einstehen wollen oder nicht.
Philipp Peyman Engel (1)
Bei Antisemitismus, einer immer deutlicher werdenden und menschenverachtenden Form des Hasses, geht es um unser gesellschaftliches Ganzes. Um unsere demokratischen Werte. Um Freiheit, Menschenrechte und Gerechtigkeit. Der Theologe Martin Niemöller, der selbst zunächst ein Befürworter des NS-Wahns gewesen war und aufgrund eines späteren Gesinnungswandels von diesem Hass abgewandt hatte, hatte dies in vortreffliche Worte gekleidet. Sie waren damals an primär an seine deutschen Mitbürger gerichtet. In seinen Vorträgen beklagte er, dass viele Deutsche sich weigerten, Verantwortung für den Nationalsozialismus, für die Gräueltaten in den besetzten Ländern und für den Holocaust zu übernehmen.
Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist.
Als sie die Gewerkschaftler holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschaftler.
Als sie die Juden holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Jude.
Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.
Das sollten wir unbedingt im Blick haben. Wir mögen gegenwärtig vielleicht aufgrund unserer religiösen Verotung, unserer politischen Meinung o.ä. nicht betroffen sein, aber irgendwann werden die meisten in den Sog der Gefährdung hineingezogen werden. Es geht in unserer gegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklung um den Kern Deutschlands: Um unsere deutsche Demokratie, die in großer Gewahr ist. Als Polizeiseelsorgerin versuche ich diejenigen, die unser Grundgesetz verteidigen und für es einstehen, zu stärken. Im berufsethischen Unterricht spreche ich über Antisemitismus und warne vor den gefährlichen Gedanken, die inzwischen immer deutlicher kursieren, damit sie diese in Wort und Bild erkennen können und dann einschreiten. Ein besonderer Kooperationspartner ist die Europäische Janusz Korczak Akademie, die bei uns mit der Ausstellung „Mit Davidstern und Lederhose“ zu Gast war, und die Fortbildungen zur Antisemitismusprävention angeboten hat. Welch ein Segen, solche engagierten Personen kennengelernt zu haben und sie inzwischen gut zu kennen. Ab Herbst diesen Jahres biete ich Fahrten in das jüdische Museum Franken an. Für unser Stamm- und Rahmenpersonal veranstalte ich in Absprache mit der Leitung unseres Aus- und Fortbildungszentrums Begegnungen mit dem lebendigen Judentum an durch Rabbinerin Dr. Yael Deusel und Führungen durch Patrick Nitzsche, den Antisemitismusbeauftragten der Stadt Bamberg, der warnend die vergangene NS-Zeit Bambergs und ihre Auswirkungen auf die Stadt aufzeigt.
Doch an Tagen wie diesen fühle ich mich als ob mein Bemühen nur ein Tropfen auf den berühmten heißen Stein ist. Als ob alles evaporieren würde in der Hitze der gegenwärtigen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen. Meine jüdische Freundin kann ich in ihrem Wirken als Rabbinern nur stützen und mich als eine erkennen geben, die diesem Hass keinen Zentimeter weichen wird, sondern ihm die Stirn mit den mir gegebenen Mitteln bieten.
Inzwischen war die Übelkeit bis in mein Herz gekrochen während der gelbe Lieferwagen mit Hakenkreuz im Autobahnverkehr verschwunden war. Ich setzte mich aufrecht im Beifahrersitz auf. Auf keinen Fall wollte ich aufgeben, sondern weiter mich für Demokratie und Menschenwürde einsetzen, die Antisemitismus und anderen Hassformen keinen Raum schenken würde. Ich öffnete das Fenster einen Spalt und lies kalte Luft hereinströmen, die langsam mein aufgebrachtes Herz beruhigte und die Übelkeit vertrieb.
(1) Engel, Philipp Peyman: Deutsche Lebenslügen. Der Antisemitismus, wieder und immer noch, DTV 2024, S. 170.








