Frauen.Taten.Werke – von mutigen Frauen und katholischen Perspektivwechseln

Gebannt starte ich auf ein Kunstwerk, auf dessen schwarz gehaltenem Untergrund sich verschiedene Konturen von Personen und Symbolen, mal dominant, mal zart, mal fast durchsichtig scheinend abhoben. Während durch ein hell erleuchtetes Fenster, dessen Sims sich bei genauerer Betrachtung fast dreidimensional abhob, gleißendes Licht auf die Mitte des Bildes fiel, sah ich wie gebannt auf das diagonal im Bild unten liegende und bekannte Antlitz Martin Luthers. Wer kannte das Gemälde des bekannten Reformators nicht, das aus der Werkstatt Lucas Cranachs des Älteren stammte und so manches Lutherbuch oder Publikation über den ehemaligen Augustinermönch und Theologieprofessor zierte, dessen Thesen die Welt und die religiöse Welt veränderten?

Gerade in dieser Ausstellung des Diözesanmuseums Bamberg, an dessen Ausstellungseröffnung ist stellvertretend für den Leiter unseres Bundespolizeiaus- und -fortbildungszentrums teilnehmen durfte, hätte ich nie das Gesicht des evangelischen Reformators vermutet. Nachdem ich vielfach durch die Welt gereist bin, andere Religionen und Kulturen kennenlernen und ergründen durfte, ist es nun die römisch-katholische Glaubens- und Religionswelt, in die ich seit kurzem in Bamberg als dem „fränkischen Rom“ eintauchen darf.

Bevor ich ins Grübeln verfallen konnte, holte mich die Künstlerin Marion Albrecht in meinen Gedanken ab, indem sie Element um Element von der bekannten Darstellung Luthers aus das Leben und Wirken Caritas Pirckheimers, der Äbtissin des Klarissenklosters ausführte. Eine völlig neue Gedankenwelt eröffnete sich mir bei dieser Ausstellungseröffnung, die Frauen, ihre Lebensgeschichten und ihre Berufung zum Mittelpunkt von Kunst und Geschichte aus katholischer Perspektive in den Mittelpunkt rückten.

In meiner Identität als Lutheranerin und Frau rührte mich die Geschichte der mutigen Äbtissin an, denn sie zeigte eine überraschende Facette der Reformationsgeschichte auf, die mir in dieser Weise erst durch das Darstellungsmittel der Kunst emotional in seiner Tiefe bewusst wurde.

Während das eine Bild mich durch das Antlitz Luthers angezogen hatte, sprach mich das zweite Bild, das aus einer Kombination von Stoff und Malerei bestand, durch einen fast brutal wirkenden Riß an.

Ein Blick in die Geschichte half mir im Nachhinein, die Vehemenz dieser Darstellung verstehen zu können. Aber erst einmal der Reihe nach:

Eine wahrlich bedrohliche Situation muss es damals gewesen sein, als die Reformation so manche (damals noch nicht als römisch-katholisch bezeichnete) kirchliche Institution ereilte. Die damals noch eine Kirche war dringend reformbedürftig und durch die Thesen Martin Luthers und seiner Mitstreiter, die Gnade als Zugang zu Glaube und Erlösung im Gegensatz zu jeglichem Werk hervorhoben, in Frage gestellt worden. Nun wankte die römisch-katholische Kirche in ihren Grundfesten und damit alle betroffenen Bereiche.

Die Einführung der neuen Lehre in Nürnberg 1525 bedeutete das Ende des mittelalterlichen Klosterwesens und brachte damit die Klarrissen in Existenznöte.

Eva Schlotheuber: Willibald und die Klosterfrauen von Sankt Klara – eine wechselhafte Beziehung, in: Willibald Pirckheimer und sein Umfeld, Pirckheimer Jahrbuch für Renaissance- und Humanismusforschung, Band 28, Wiesbaden 2014, S. 59.

Hierbei sei angemerkt, dass Nürnberg bereits ein Jahr vorher Veränderungen der Reformation umsetzen wollte. So sollten ab 1525 alle Klöster nach einer Forderung Luthers in Schulen umgewandelt werden. (1) Viele gingen dieser Veränderung wohlwollend und freiwillig nach. Doch beim Nürnberger Klarrissenkloster bot sich ein anderes Bild: Die Nonnen wollten sich dieser Forderung nicht anschließen, da sie in ihrer klösterlichen Gemeinschaft, die für sie wie eine Familie war, eine für sie stimmige Glaubens- und Lebensform gefunden hatten. Nun aber drohte die Auflösung dieser Glaubensgemeinschaft. Bei diesen Auseinandersetzungen erwies Caritas Pirckheimer unglaublichen Mut und nutzte die durch ihr familiäres und humanistisches Umfeld zugute gekommene Bildung, um zu überzeugen:

Pirckheimer verteidigte den Konvent mit allen Kräften, schrieb Eingaben und Briefe. Dabei berief sie sich – wie Luther in Worms – auf ihr gewissen und erinnerte die Evangelischen an die tolerante Haltung der Türken, die Andersgläubige unter ihrer Religion duldeten. […] In ihrer Not wandte sich Pirckheimer an ihren Bruder, den Humanisten Willibald Pirckheimer. Dieser schrieb im Frühjahr 1525 einen Brief an seinen alten Freund Melanchthon, schilderte ihm mit herzergreifenden Worten die Situation und bat ihn zu intervenieren.

Martin Jung: Philipp Melanchthon und seine Zeit, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2011, S. 41-42.

Auf die Bitten des Freundes hin besuchte Melanchthon die Klarrissinnen und als Caritas die Gnade Gottes als Mittelpunkt ihres Glaubens hervorhob, wurde zu einem ihrer Fürsprecher. Nur in der Frage des Gelübdes waren Melanchthon und die mutige Klarrissin nicht überein gekommen. Dennoch setzte Melanchthon sowie ihr Bruder Willibald sich beim Rat der Stadt für die Nonnen ein, die schließlich in der von ihnen gewählten Gestaltung des Glaubenslebens in ihrem Kloster verbleiben durften.

Kein Wunder, dass die Künstlerin Marion Albrecht aufgrund der großen Bedrohung für das Klarrissenkloster solch einen großen Riss in ihr Kunstwerk eingebracht hatte. Doch wie das Kunstwerk, hielt diese Gemeinschaft durch eine mutige, kluge Frau den negativen Auswirkungen Sturm der Reformation stand.

Als evangelische Pfarrerin, die in einer Ehe mit Kindern leben darf, ist mir der Gedanke der Ehelosigkeit fremd. Den Mut und das Opfer eines Verzichts auf Ehe und Familie, den meine katholischen Glaubensgeschwister für eine vollumfängliche Berufung leben, bewundere ich sehr. Solch ein schmerzhaften Verzicht könnte ich kaum leben.

Jenseits dessen war es der überraschende Perspektivwechsel durch die Künstlerin, die die Biografie einer standhaften Frau emotional greifbar machte und mich nachdenklich stimmte: letztgültig kämpfte Caritas Pirckheimer um eine von ihr gewählte Gestaltung ihres Glaubenslebens, die wir heute unter dem Grundrecht der Religionsfreiheit verorten würden. Dieses war damals vor über 500 Jahren durch die Reformation in Gefahr geraten. Eine düstere Facette der Reformationsgeschichte, die durch eine mutige katholische Frau mir als evangelische Pfarrerin eine andere, schmerzhafte Seite des Ursprungs meiner Konfession aufzeigt: in der Freude und Befreiung des einen kann unter Umständen der Schmerz und das Leid einer anderen liegen. Eine wichtige Mahnung aus der Zeit der Reformation, die uns verpflichtet für die im Grundgesetz verankerte Religionsfreiheit in der Gegenwart einzutreten.

Ich kann Ihnen, lieber Leser und liebe Leserin, diese Ausstellung zu einem Besuch sehr anempfehlen. Diese wird bis zum 10.10.2023 im Diözesanmuseum Bamberg angeboten. Weitere Informationen erhalten Sie auf deren Webseite. Sicherlich werde ich dort noch öfter zu Gast sein und mich als evangelische Theologin von den katholischen Perspektiven mutiger Frauen inspirieren lassen.


(1) Martin Jung: Philipp Melanchthon und seine Zeit, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2011, S. 41.

Von schlichten Mützen und Lebens- und Diensttauglichkeit des Glaubens

Als ich den braunen, unscheinbaren Postumschlag öffnete, leuchtete mir neben einem in schwungvoller Schrift gehaltenem Brief eine rote Mütze mit dezenter schwarzer Melierung entgegen. Vorsichtig zog ich die wertvolle Post aus ihrer Verpackung und probierte die gehäkelte Mütze an, die sich umgehend weich und warm um meinen Kopf schmiegte. Die von meiner Freundin mitgesandten Worte enthielten einen Bibelvers, der mich begleiten sollte:

Und ich sprach: Setzt ihm einen reinen Kopfbund auf sein Haupt! Und sie setzten ihm den reinen Kopfbund auf sein Haupt und zogen ihm Kleider an, und der Engel des HERRN stand dabei.

Sacharja 3,5

Amüsiert betrachtete ich die Mütze, deren Rot mir warm und gleichzeitig resolut entgegen strahlte. Obwohl wir erst seit etwas mehr als einem Jahr befreundet waren, kannte meine Freundin mich inzwischen sehr gut. Eine extravagante Mütze mit Gold, Glitzer & Co. würde ich nie tragen. Der „Kopfbund“, den sie mir geschickt hatte, bestand Masche um Masche aus lieben Gedanken, die sie in einen Postumschlag zu mir auf den Weg gesandt hatte und einem kleinen, signifikanten theologischen Witz, der erst durch meine Biografie verständlich wird. Dazu muss ich etwas ausholen und den Kontext des Bibelverses beleuchten.

In einer Vision sieht der Prophet Sacharja Josua als Hohenpriester und geistlichen Hirten seines Volkes vor dem Engel des Herrn stehen. Er wurde anstelle des Volkes angeklagt. Neben ihm steht Satan als Ankläger, der auf die Übertretungen und Fehler des Volkes hinweist während Joshua schweigend neben ihm steht. Doch Gott setzt den Übertretungen zeichenhafte Handlungen der Vergebung für das gesamte Volk entgegen indem er Joshua neu einkleidet. Unter anderem mit einem „Kopfbund“, der von Hohenpriestern getragen wurde und ihn als dem Herrn zugehörig auswiesen (קדש ל יהוה – „dem Herrn heilig“). Diese Kopfbedeckung (nebst anderem Ornat) muss durchaus imposant gewesen sein, wie Abbildungen eines Buches von Franz Bock zeigen:

Hieraus entwickelte sich laut Autor die Mitra als heutige priesterliche Kleidung römisch-katholischer Bischöfe, die damit die göttliche Beauftragung unterstreichen soll. Nicht nur ist der römisch-katholische Gottesdienst liturgisch reicher, sondern deren Würdenträger nebst gottesdienstlichem Raum elaborater ausgestaltet als so manch evangelische Kirche. Was auf der einen Seite eine Faszination ausstrahlt, ist mir in vielem als evangelische Christin sehr fremd.

Als Pfarrerin, die in Bayern eine lutherische und in Schottland eine reformierte Ausbildung durchlaufen hat, und geprägt ist durch die methodistische Theologie, in die ich aufgrund meiner Dissertation tiefe Einblicke erhalten durfte, ist mir Pomp, Glitzer und Glamour fremd. Glaube und Amt müssen für mich „alltagstauglich“ sein. Sie müssen sich einweben in den normalen Lebensrhythmus, indem sie getestet und auf Herz und Nieren immer wieder geprüft werden.

Ich bewunderte die vor mir liegende Mütze in ihrer Schlichtheit und strahlenden Farbe, die durchsetzt war von einigen dunklen Akzenten wie das Leben selbst. Durch ihre schlichte Form und die anpassungsfähigen Maschen, die die Mütze ausmachten, würde sie selbst im heftigsten Lebens- und Dienststurm nicht von meinem Kopf gerissen werden. Ich war dankbar, dass Gott mir solche Engel wie diese Freundin an die Seite stellte, die mich kannten, unterstützten und halfen, um Gottes Wort durch meine schlichte Präsenz als Seelsorgerin in die Bundespolizei bringen zu können.


Quelle: Bock, Franz: Geschichte der liturgischen Gewänder des Mittelalters: oder Entstehung und Entwicklung der kirchlichen Ornate und Paramente in Rücksicht auf Stoff, Gewebe, Farbe, Zeichnung, Schnitt und rituelle Bedeutung (Band 1) — Bonn, 1859