Von unfreiwilligen Zeitreisen und bitteren Mahnungen aus der Geschichte

Es glitzerte und funkelte an vielen Stellen der geräumigen Ausstellungsfläche. Leuchtendes Rot. Schimmerndes Grasgrün. Helles Sonnengelb. Durch tausend und ein Unikat strahlte uns handwerkliche Glaskunst entgegen und zog uns umgehend in den Bann. Mein Blick wurde magisch von einer kleinen gläsernen Erdkugel angezogen, die sich wie von magischer Hand in östliche Richtung drehte. Mitten in all der Glaskunst sah sie so friedlich und wunderschön perfekt aus- ein Blick auf unsere menschliche Heimat, die mir ohne einer Reise ins Weltall ermöglicht worden war.

Laut wissenschaftlicher Schätzungen bewegt sich unsere Erde seit etwa 4,6 Milliarden Jahren durch Raum und Zeit. Viele Spezies, Menschen, Völker und Regierungen hat sie kommen und gehen gesehen. Ich seufzte tief während mein Blick immer wieder besorgt auf einen Teil unserer Erde fiel, der überzogen war von Krieg, Leid und gewaltsamen Tod. Die Ukraine im Herzen Europas wurde innerhalb kürzester Zeit zum leidvollen Mittelpunkt unserer westlichen Welt. Ein schmerzhaftes Symbol für unsagbares Leid, das durch Menschen evoziert wird, die das Recht des Stärkeren meinen ausleben und umsetzen zu wollen. Koste es, was es wolle – tausende von Menschenleben, zerstörte Gegenwart und zerborstene Zukunft… Ich starrte erschrocken auf die kleine gläserne Erde, die zerbrechlich vor mir rotierte während sie sich in meiner Vorstellung rückwärts zu drehen begann und mich gedanklich mit in das Jahr 415 v. Chr. nahm. In eine andere Zeit und eine andere politische Situation, die aber dennoch in vielem so erschreckend der unseren ähnelt.

Der griechische Historiker Thucydides überliefert in seinem peloponesischen Krieg (Buch 5, Kapitel 84–116) durch den Melier-Dialog ein Kriegsszenario, das zum Mittelpunkt die zur Schaustellung der Macht des Stärkeren hatte und legt schonungslos eine brutale Kriegsmoral der damaligen griechischen Großmacht offen. Die überlieferte verbale Auseinandersetzung zwischen Athenern und Meliern spiegelt dies wieder. Die Hegemonialmacht Athen hatte sich zum Ziel gesetzt, die kleine, unabhängige Insel Melos unter deren Herrschaft zu zwingen. Interessant an diesem aus einem Krieg hervorgegangenen fiktiven Diskussion ist, dass der Autor Thucydides mit seinem Werk vor allem den Wendepunkt und moralischen Fall einer Weltmacht deutlich macht. Die zur Hilfe gerufenen Spartaner hielten sich in dieser schweren Situation zurück, da sie um ihre eigene Sicherheit fürchteten und lieferten somit die Anwohner Melos einem tödlichen Schicksal aus. Die beiden athenischen Diskussionsführer Cleomedes und Tisias verdeutlichen, wie eine Großmacht seine ethische Balance, seine Zurückhaltung und jegliche Orientierung an Rechten verloren hat, um sich selbst sklavisch an eine Macht klammern, die die Großmacht so gut wie verloren hatte und nach dieser kriegerischen Auseinandersetzung durch die Sizilienexpedition Wirklichkeit wurde.

Geendet hat dieser brutale Angriffskrieg der Athener laut Überlieferung von Thucydides mit einer Ermordung aller wehrfähigen Männer, sowie die Versklavung von Frauen und Kindern in Melos. Horrorszenario eines Krieges, in dem das Ziel des Machterhaltes über jeglichem Menschenleben und Wert stand.

Ich konnte nur schwer meinen Blick von der kleinen immer noch weiter rotierenden gläsernen Weltkugel nehmen und mich nur zögerlich von meiner unfreiwilligen Zeitreise lösen. Die Mahnungen aus der fernen Geschichte eines anderen Landes und einer anderen politischen Situation glich nicht nur durch den europäischen Horizont, sondern durch manche inhaltliche Ähnlichkeit.

Und ich muss bitter feststellen: wir haben weder gelernt noch uns an die antiken Überlieferungen erinnert, denn die Macht des Stärkeren wird gegenwärtig schonungslos ohne Rücksicht auf Leben und Würde in der Ukraine ausagiert.

Wenn Energie-Bomben in Kinderseelen Aversionen wecken

Strahlend schönes Wetter. Wie aus dem Bilderbuch Mitte April. Wir saßen auf der geräumigen Terrasse und kosteten die Zeit aus. Es war herrlich, endlich wieder mein Patenkind besuchen zu können. Die Osterkörbchen hatten bei meinem Patenkind und dessen Schwester (bereits etwas zugegebenermaßen vorzeitig) österliche Jubelrufe hervorgelockt. Nun saßen wir an der langen Kaffeetafel und unterhielten uns über die letzten Wochen, in der wir aufgrund multipler Corona-Erkrankungen in beiden Familien getrennt worden waren.

Während die Kinder sich süßen Kuchenfreuden zuwandten, ging das Gespräch der Eltern fachmännisch und fachfraulich in Richtung Osternester, dessen Dekoration und Füllung. Schnell stellten wir fest, dass unsere Kinder aufgrund ihres Altersunterschiedes durchaus verschiedene Wünsche hatten. Von unserem jüngsten Kind bis zur älteren Schwester waren es immerhin fünf Jahre Altersunterschied. Vom Patenkind zu unserem ältesten Kind stolze fünfzehn Jahre. „Naja“, sagte ich während meine Gabel zielsicher in ein Stück frischen Apfelstreuselkuchen stach, „unsere Jungs sind engagierte Sportler. Daher werden sie anstatt von viel Schokolade wahre „Energie-Bomben“ in ihren Osternestern finden. Die lieben Energieriegel!“ Plötzlich war die Unterhaltung der Kinder verstummt. Die siebenjährige Schwester meines Patenkindes sah mich mit großen traurigen Augen an. „Energie-Bomben? Die will ich nicht. Bomben sind schrecklich!“ Sie schüttelte den Kopf. Selbst die darauffolgenden Erklärungen konnten die Schatten dieses Wortspieles nicht vertreiben und hinterließen bei mir eine tiefe Traurigkeit. Selbstverständlich hatte ich wahrheitsgemäß vom Inhalt des Osternestes erzählt – doch mit keinem Wimpernschlag hatte ich vermutet, dass diese süßen Energieriegel und deren Bezeichnung solch eine negative Konnotation in sich bergen könnten. Es lagen nur fünf Jahre zwischen unseren Kindern, aber vom Welt- und Menschenverständnis waren es Welten, die Energie-Bomben in der kindlichen Vorstellung zu Waffen werden ließen.