Von Zugfahrten, Vikariatsbeginn und biblischen Reisegeschichten

Der fröhliche Klang von feierlich erhobenen Sektgläsern und dem darauffolgenden vieltonigen Anstoßen war verklungen. Die freudigen, beglückwünschenden Reden durch verschiedene kirchliche Vertreterinnen und Vertreter den frisch examinierten Theologinnen und Theologen waren überbracht und die Zeugnisse als strahlender Ausdruck ihrer akademischen Leistung ausgehändigt worden. Nun war es Zeit für etwas Gemütlichkeit bei einem leckeren Abendessen im festlich eingedeckten Speisesaal des bayerischen Landeskirchenamtes.

Seitdem ich vor einigen Wochen die Einladung zur Examensfeier erhalten hatte, hatte ich diesen Moment herbeigesehnt, an dem ich den neuen theologischen Nachwuchs kennenlernen durfte. Es würde mein erster Kurs sein, den ich als frisch gebackene Rektorin begleiten würde. Aus meiner beruflichen Erfahrung heraus wusste ich, dass solche gemeinsamen Anfänge besonders wichtig sind und einen bewegenden Tiefgang haben können, denn darin verschränken sich Neubeginne auf unterschiedlichen Ebenen. Als ich damals vor einigen Jahren in der Bundespolizei meinen Dienst als hauptamtliche Polizeiseelsorgerin und Lehrerin für das Fach Ethik begann, war es eine Lehrklasse (besondere Grüße an „meine“ BA 21 II Dez 4-1 😘❤️), mit der ich den Ausgang aus der damaligen Tätigkeit als Pfarrerin in New York und den Eingang als Seelsorgerin erleben durfte. Mit und durch sie wuchs ich in eine neue, erfüllende Tätigkeit hinein, indem wir miteinander auf ihrer Ausbildungsreise unterwegs waren.

Von wohligen Gedanken an die zurückliegende Erinnerung und einem wohlschmeckenden Abendessen gestärkt gesellte ich mich an einen Tisch und nahm neben OKR Reimers, dem Leiter der Personalabteilung unserer Landeskirche, Platz. Mitten im Gespräch über die im Herbst beginnende Ausbildungskooperation zwischen Bayern und Sachsen sah er zu mir und sagte: „… aber das können Sie am Besten von Frau Groß erklärt bekommen.“ Ich schluckte erstaunt, und stürzte mich mutig in die Beschreibung. Als Theologin und reiseaffine Person bediente ich mich daher dem Aspekt des Reisens und Unterwegssein, wie er in der Bibel und in unserem Leben präsent ist. In all seiner Ambivalenz bediente ich mich einer Metapher, die uns allen geläufig ist: der der Bahn.

Vor der „Abfahrt“ dieses Zuges gab es einen langen Konsultationsprozess, der unterschiedliche Ebenen der Evangelisch Lutherischen Kirche in Bayern (ELKB) an einen Tisch brachte, um möglichst viele Anforderungen zu berücksichtigen und eine moderne, zukunftsorientierte Ausbildung anbieten zu können. Horizont hierbei war das Jahr 2026. Nun war Zug bereits drei Jahre früher zu seiner ersten Fahrt gestartet. Ich hingegen stieg als „Zugführerin“ gemeinsam mit der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Sachsen (EvLKS) nun in den Zug ein.

Nicht umsonst hatte ich an diesem lauen Juliabend etwas locker, aber durchaus bestimmt das Bild der „Bahn“ verwendet, denn diese Metapher symbolisiert im Optimum einen Weg, der von Anfang bis Ende geplant und strukturiert ist, mit klaren Haltestellen und Zielen. Die Ausbildung kann mit einer Zugfahrt verglichen werden, die an einem spezifischen Ort zu einer spezifischen Zeit beginnt, verschiedene Stationen (also Lerninhalte und Praktika hat) durchläuft und schließlich am Zielort in einen erfolgreichen Abschluss und dem Einstieg in den Probedienst als Pfarrerin und Pfarrer mündet.

Schon bald würden wir gemeinsam mit den sächsischen Kolleginnen und Kollegen diese aufregende Zugfahrt beginnen. Zumeist in denselben Abteilen (denn es gibt nur eine Zugklasse!), manchmal aufgrund der unterschiedlichen Erfordernisse der Landeskirchen uns während der Zugfahrt in extra Waggons begeben. In einem gemeinsamen Zug, dessen Gleise der Landeskirchenrat der ELKB vor längerem gelegt hatte und in einiger Zeit aufgrund eines Evaluationsprozesses anpassen wird, würden wir dem Ziel „Pfarramt“ entgegenfahren.

Etwas mulmig ist mir zugegebenermaßen schon während ich in die Rolle der Zugführerin hineinwachse. Denn trotz einiger Probefahrten (danke, lieber F23 und H23 für all eure Beharrlichkeit) und Streckenanpassungen wird es weiterhin vielfältige Herausforderungen geben. Vom realen Zugverkehr kennen wir das zu genüge. Verspätungen, Störungen, schlechte Wetterverhältnisse und Streckenschäden sind nur einige der Herausforderungen, die auf uns zukommen werden. Dann wird es auf die gesamte Besatzung des Zuges ankommen, die zusammenhält und gemeinsam mit mir kreative Lösungen zur Sicherstellung der Fahrt findet.

Letztendlich befinden wir uns gemeinsam auf einer Reise. Als Evangelisches Studienseminar für Pfarrausbildung (ESP) dürfen wir Menschen begleiten, die in einen der spannendsten Berufe hineinwachsen wollen: nämlich das Pfarramt. Wir sind „Reiseabschnittsbegleiterinnen“ und „-begleiter“ für unsere zukünftigen Kolleginnen und Kollegen, die sich wagemutig auf diese „Ausbildungsreise“ begeben.

Ein Blick in die Bibel kann trösten, aufmuntern und vielleicht auch nachdenklich stimmen. Denn die Bibel selbst ist voll von Reisegeschichten, die von Menschen und Gottes Führung auf ihrem Lebensweg berichten. Von Herausforderungen, Zurücklassen und Neubeginn – von Abkehr, Neugierde und Wachstum:

Abraham verließ seine Heimat, um in ein neues unbekanntes Land zu ziehen, das ihm Gott noch zeigen würde.

Das Volk Israel zog nach der Befreiung aus der ägyptischen Sklaverei unter der Führung von Mose durch die Wüste ins gelobte Land.

Jona wurde von Gott beauftragt, nach Ninive zu gehen, um dort zu predigen (diesem Auftrag versuchte er zu entkommen und lernte ein besonderes „Reisevehikel“ von Innen kennen).

Josef wurde von seinen Brüdern verkauft, erlangte nach schweren Jahren der Herausforderung eine wichtige Position und sicherte dadurch seiner Familie und seinem Volk das Überleben.

Die prächtige Königin von Saba machte sich auf den Weg nach Jerusalem, um Salomo und seine Weisheit höchstpersönlich kennenzulernen.

Der Apostel Paulus unternahm vier Missionsreisen, bei denen er wahnsinnig beeindruckende 15.000 km zurücklegte.

Die Reisegeschichten der Bibel sind so vielfältig wie die Menschen, die Reisen unternehmen. Was ihnen allen gemein ist: Diese Geschichten zeigen, dass Reisen in der Bibel nicht nur geografische Bewegungen sind, sondern eine spirituelle und persönliche Entwicklung mit sich bringen. Viele unserer Vikarinnen und Vikare werden an neue Orte in ihre jeweiligen Ausbildungsregionen ziehen, doch noch viel interessanter und bewegender wird deren innere Reise zum Ausbildungsziel Pfarrerin und Pfarrer sein.

Ich freue mich, sie auf ihrer Ausbildungsreise im Herbst als „Zugführerin“ mit einem engagierten Team von Studienleiterinnen und -leitern aus Bayern und Sachsen begleiten zu dürfen und hoffe, dass sie beim Erreichen des Ausbildungszieles wie die biblischen Erzählungen es tun, Geschichten von Vertrauen, Herausforderung, Glauben und der eigenen Suche nach Gottes Willen erzählen werden.

Zwischenwelt – Quarantäne, Bibel und persönliche Perspektiven

Meine Hände umfassten die warme Teetasse während ich mich mit meinen Ellbogen auf der Küchenplatte abstützte und den sich Sonnenaufgang betrachtete, der den kalten Winterhimmel mit warmen Gelb- und Rottönen erleuchtete. Mein Blick schweifte über das langsam erwachende Bamberg, das nun meine neue Heimat war. Ich freute mich auf die Erkundung dieser fränkischen Stadt, die aufgrund seines UNESCO-Weltkulturerbe und der reichen Kultur so berühmt war. Doch noch befand ich mich in einer Art Zwischenwelt. Aufgrund meiner Anreise mitten in der Pandemie war eine Quarantäne erforderlich geworden.

„Mama, sag mal: Warum sagt man eigentlich „Karantäne“, wenn es mit „Q“ geschrieben wird?“, meine jüngste Tochter hatte mich fragend angesehen als ich meiner Familie am Küchentisch nochmals alle notwendigen Regularien meiner Einreise erklärte. Nun war sie viele Meilen weit entfernt, da sie aufgrund des unterschiedlichen Datums von Dienstbeginn und Schulhalbjahr mit der gesamten Familie noch in New York geblieben war.

Ihre Frage war allzu verständlich gewesen. Denn das Wort „Quarantäne“ stammt vom italienischen Wort „quaranta“, das aufgrund einer großen Pest-Pandemie im 14. Jahrhundert üblich geworden war. Die Handelsstadt Venedig beschloss aufgrund der drohenden Gefahr, die Pest einzudämmen, indem man vierzig Tage die Besatzungen der anlegenden Handelsschiffe im Hafen isolierte. Diese Zahl hatte keinerlei infektionsmedizinische Gründe, sondern war der biblischen Zahlensymbolik entsprungen, die Schutz vor dieser Gefahr erwirken sollte. Sechs Wochen Quarantäne stellen eine lange Zeit da. Ich seufzte während ich mir nochmals Tee in die inzwischen leere Tasse nachgoß. Wie gut, dass mir höchstens zehn Tage Isolation vorgeschrieben waren. Vielleicht sogar weniger, wenn das Ergebnis des COVID-Tests dementsprechend ausfiel.

Während mich die Dauer der mittelalterlichen Quarantäne sehr erschreckte, faszinierte mich als Theologin deren Zahlensymbolik. Viele biblische Geschichten waren mir umgehend bei der Zahl 40 präsent: Bei der Sintflut regnete es vierzig Tage und Nächte ununterbrochen; Mose verbrachte auf dem Berg Sinai vierzig Tage in der Gegenwart Gottes; das Volk Israel wanderte vierzig Jahre durch die Wüste, bis es endlich das Gelobte Land erreichte. Auch bei Jesus findet die Zahl mehrfach Erwähnung: So zog er sich für diesen Zeitraum in die Einsamkeit der Wüste zurück, bevor Er Sein öffentliches Amt begann und als Wanderprediger mit einer wachsenden Zahl an Jüngern umherzog. Weiterhin erschien Er nach seiner Auferstehung vierzig Tage lang immer wieder Seinen Jüngerinnen und Jüngern.

Alle diese biblischen Geschichten durchzog ein gemeinsames Thema, das die Bedeutung der Zahl Vierzig deutlich macht: die Zahl Vierzig steht im biblischen für Besinnung und Buße, für Wende und Neubeginn.

Nun befand ich mich in dieser Zwischenwelt der Quarantäne, die mir Zeit zum Nachdenken, Erfreuen, und Trauern gab, aber ebenso die Möglichkeit mich neu auszurichten auf die neue Heimat und die Aufgabe, die ich schon bald einnehmen würde.

Was erwartete mich hinter all den Fenstern, die langsam durch die hellen Lichter zum Leben erwachten? Wie die Sintflut nach vierzig Tagen ein Ende hatte, Mose zum Volk zurückgekehrt war, das Volk Israel das Gelobte Land erreicht hatte, Jesus die Wüste verließ, um zu Predigen und die Jünger anstatt mit Seiner Präsenz bei dessen Verabschiedung mit dem Heiligen Geist als Tröster gestärkt worden waren, so würde auch meine Quarantänezeit nach einigen Tagen ihr Ende finden.

Noch war es die Zwischenwelt, in der ich mich befand und die meinen Gedanken Raum zu Spekulationen über die neue Heimat gab. Aber schon bald würde ich hinaustreten in die neue Welt und als eine von vielen Menschen in ihre bunte Vielfalt eintauchen.