Wie hältst du es mit dem Tod? Von Grabsteinen und Rezepten.

Plätzchen und Brownies.

Pies und Cobbler1.

Kuchen und viereckige Bäckereistückchen. Fudge2, Speiseeis und Kaffee.

Brötchen und Brot.

Deftiges.

Menü-Vorschläge direkt vom Grab.

Mit einem tiefen Seufzer schloss ich an diesem Ewigkeitssonntag das wohl ungewöhnlichste Rezeptbuch, das ich je gelesen habe: „To Die For. A Cookbook of Gravestone Recipes“ . Den Anstoß zur Entstehung dieses Buches war für die Archivarin Rosie Grant, dass sie während ihres Praktikums auf dem Congressional Cemetery in Washington, D.C., über ein in Stein gemeißeltes Rezept stolperte. Die Verwunderung über den ungewöhnlichen Grabstein verwandelte sich in Neugier und schließlich in eine Entdeckungsreise durch die meisten US-amerikanischen Bundesstaaten, um einer Tradition auf die Spur zu kommen, die es in den USA tatsächlich gibt: Manche Menschen hinterlassen ihre Lieblingsrezepte bewusst auf dem Grabstein – und manche Familien stellvertretend für sie. Eine zärtliche Geste, die Verbindung schafft und schon einen kleinen Vorgeschmack auf die Ewigkeit gibt, in der sich die Verstorbenen bereits befinden.

Die Autorin blieb nicht bei der Betrachtung und Dokumentieren der Grabsteine stehen. Sie besuchte die Familien, lauschte ihren Geschichten, und folgte auch den Spuren jener Menschen, die ihre Rezepte noch zu Lebzeiten weitergeben wollten und bereits vor ihrem Tod ihren Grabstein mit Rezept aufgestellt haben. Manchmal stand sie mit Angehörigen in deren Küche, manchmal buk sie allein in der Vertrautheit ihres Zuhauses, und oft führte der Weg anschließend zurück zu den Gräbern, an denen alles begonnen hatte.

So entstand eine Sammlung, die weit mehr ist als ein Rezeptbuch: Lebensspuren, in denen sich Alltägliches und Unvergessenes berühren. Geschichten von Menschen, die einzigartig waren und besondere Lebenswege beschritten hatten. Ihre Gerichte transportieren über ihren Geschmack Aspekte ihres Lebens, die Worte manchmal nicht können.

Da ist zum Beispiel Fleda Shearer, deren Sugar Cookies so schlicht wirken und doch ein Stück von ihr tragen: ein Rezept, das nach Hause schmeckt, nach Großzügigkeit, nach einer Frau, die wusste, wie tröstlich Süßes sein kann.

Oder Yankele Toppor, der Kibbutz-Bäcker mit der großen Handwerksliebe, der seinen Alltag zwischen Teigschüsseln, Öfen und Gemeinschaft verbrachte – ein Leben, das nach frisch gebackenem Brot riecht und von der Wärme eines Ortes erzählt, den viele ihr Zuhause nannten.

Und Ida Kleinman, deren Nut Rolls auf Hebräisch in Stein gemeißelt wurden. Ein Rezept wie ein Vermächtnis, das Generationen verbindet, getragen von Erinnerung, Muttersprache und dem sanften Gewicht einer Tradition, die ihre jüdische Familie trägt.

Diese und viele weitere Geschichten haben mich nicht losgelassen – und so mache auch ich mich nun auf die Suche. Daher nahm ich am Ewigkeitssonntag einen Plätzchenausstecher nach dem anderen aus meiner liebgewonnenen Lebkuchendose. Sie beherbergte seit vielen Jahren meine Ausstechersammlung und war eine verlässliche Begleiterin, deren Inhalt mich an liebe Menschen und wohlige Erlebnisse erinnerte:

Den strahlendroten Rentierausstecher, den ich von meinem amerikanischen Vater als Grundschülerin geschenkt bekam und der mich träumen ließ von Weihnachten, Zuneigung und Liebe

Die in strahlendem Metal glänzende Musiknote, mit der ich für die adventlichen Fundraiser der jüdischen Musikschule meiner Kinder buk, die in Scarsdale, NY gewesen war und ihnen eine musikalische Heimat und künstlerische Weite schenkte.

Den dickbäuchigen Bärchenausstecher, mit dem ich als Polizeiseelsorgerin für meine Polizistinnen und Polizisten, Anwärterinnen und Anwärter „Care-Bärs“ (Link) als Aktion backte – kleine, essbare Symbole dafür, dass ich für sie da war und sie sich in der Schwere ihres Dienstes und ihrer herausfordernden Ausbildung getragen fühlen sollten.

Meine Hand pausierte in ihrer Suchbewegung im Vielerlei der Ausstecher und drehte eine Linzer-Plätzchen-Form mit Herz in kreisenden Bewegungen von deren runder zu deren mit Herz versehenen Seite hin und her. Mit ihr hatte ich vor kurzem ein neues Linzer-Rezept ausprobiert. Vielleicht war es ein Linzer-Plätzchen-Rezept, das ich noch verfeinern würde und die eigene Note hinzufügen würde? Oder doch etwas anderes? Sogar etwas Herzhaftes? Eine Suppe, ein Brot, ein Duft, der in der eigenen Geschichte tiefer verwurzelt ist, als man auf den ersten Blick meint?

Ich bin mir noch nicht sicher.

Aber ich werde mich weiter auf die Suche machen nach meinem eigenen Rezept – jenem, das mein Leben so ein wenig geschmacklich anklingen lässt, wie die Rezepte der Personen, die in Rosie Grants Buch vorgestellt werden, es tun.

Und vielleicht, ist es ja auch eine Anregung für Sie, liebe Leserinnen und Leser, welches Rezept Sie einst weitergeben würden. Nicht unbedingt für einen Grabstein – sondern vielleicht auch im Hier und Jetzt in der Fülle des Lebens, wo Sie dann an einem Tisch Geschmack und Leben tief verbinden zu Erinnerungen, die vielleicht später als Rezept und damit Gruß aus der Ewigkeit anklingen können.

  1. Amerikanisch: Nachtisch aus mit Teig belegten Früchten, die im Ofen gebacken werden. ↩︎
  2. Karamell. ↩︎

Von bärigen Symbolen und Hilfe für die, die helfen

Vorsichtig faltete ich die kleinen Hände um die Mandel und drückte sie sanft fest. Dann stach ich den nächsten Bären aus dem kalten Butterplätzchenteig aus. Während sich mein Backblech langsam mit einem Teil der Plätzchen-Hundertschaft für meinen Dienstort in der Bundespolizei füllte, wanderten meine Gedanken in eine längst vergangene Zeit.

Noch gut kann ich mich an eine amerikanische Comic-Sendung erinnern, in der „Care Bears“ (dt.: Glücksbärchis) als kuschelige Wesen sich um das Wohl von Menschen bemühten. Dort, wo die kleinen Bärchenplätzchen eine Mandel umarmten, trugen die Bären ein Symbol auf dem Bauch, das für die Gabe des jeweiligen Bärchen stand. Waren Menschen, und vor allem Kinder, in Schwierigkeiten geraten, so halfen sie mit ihrer jeweiligen Gabe.

Am Anfang meiner Tätigkeit bei der Bundespolizei stolperte ich über ein ganz anderes Bärenbild. Als ich vom Begriff des „Bärenführers“ erfuhr, war ich sehr verwundert. Aus der mittelalterlichen Geschichte hatte dieses Bild für mich eine durchaus negative Konnotation. Ein Bärenführer zähmte damals den wilden Bären und zwang ihn zu Tätigkeiten, die weder naturgemäß noch artgerecht waren. Die „Bärenführer“, die ich jedoch bei der Bundespolizei erlebt habe, wiesen die jungen Kolleginnen und Kollegen als erfahrene Vorgesetzte aufmerksam in die neue Tätigkeit als Polizistinnen und Polizisten im Praktikum ein und waren darauf bedacht, dass es dem anvertrauten Nachwuchs gut ging.

Ich schüttelte den Kopf, während ich das nächste Backblech voller Bären in den heißen Backofen schob. Was für „bärige“ Gedanken… Ich beschloss das Symbol des Bären als eines der Sorge und der Zuneigung zu deuten. Denn dies durfte ich vielfach am größten polizeilichen Aus- und -fortbildungszentrum der Bundespolizei erleben: Lehrende, die sich um den polizeilichen Nachwuchs kümmern und dort engagiert ihren Dienst tun. Die Seelsorge ist ein Teil dieser Sorge und ist gerne für die helfend da, die anderen helfen. Kurzerhand entschloss ich „Care Bären“ zu backen und als kleine „bärige“ Zeichen dieser Sorge weiterzugeben. Das Ergebnis könnt ihr hier sehen:

Ein herzliches Dankeschön an das Team der Druckerei des AFZ Bamberg, das mich bei der Umsetzung dieser Idee mit Rat und Tat unterstützt hat. ❤️