Von unterschiedlichen Ausbildungen und wichtigen Erfahrungen für die Arbeit einer Polizeiseelsorgerin

Mit etwas Wehmut schaltete ich den Fernseher aus und tauchte gedanklich aus der ferne Japans in unserem Bamberger Wohnzimmer auf. Neun Folgen lang hatte ich zwei japanische Auszubildende in deren Lehrjahr in Kyoto begleitet. Die japanische Serie in Originalsprache hatte mich mitten in Oberfranken in eine ferne Welt mitgenommen und dabei alte Erinnerungen wachwerden lassen. Sprache, Gepflogenheiten, Kultur und so manche japanische Tradition war mir nach all der Zeit immer noch ungewöhnlich vertraut.

Weil das „Praxisjahr der Theologiestudierenden“ mindestens ein Jahr berufliche Tätigkeit außerhalb kirchlicher Strukturen erforderte, hatte ich als Zwanzigjährige eine Ausbildung zur Flugbegleiterin bei Japan Airlines (JAL) durchlaufen, um eineinhalb Jahre über den Wolken zu arbeiten. Nach einer Ausbildung am Frankfurter Flughafen, schloß sich ein achtwöchiger Aufenthalt in Tokyo an. Dies war der Anfang eines Eintauchens in die fernöstliche Kultur Japans – eine für mich zur damaligen Zeit durchaus fremde Welt.

Die Ausbildung und Tätigkeit als Flugbegleiterin war eine Lernerfahrung, die damals für mich gut war, aber zugegeben lange Zeit nicht direkt für meine berufliche Tätigkeit als Pfarrerin und Seelsorgerin fruchtbar gemacht werden konnte. Dies kam viele Jahre später mit meinem Wechsel zur Bundespolizei.

Noch heute erinnere ich mich an die Worte eines Loses, das ich damals bei einem Tempel gezogen hatte. Auf ihm war unter anderem zu lesen: „Even if you are righteous and have a chance to be successful, nothing can be achieved unless you work hard.“ oder in Deutsch: „Selbst wenn Sie rechtschaffen sind und eine Chance haben, erfolgreich zu sein, können Sie nichts erreichen, wenn Sie nicht hart arbeiten.“

Dieser Satz hat mich immer wieder an Lebensstationen begleitet. Das Engagement um Gerechtigkeit ist für mich als Pfarrerin ein wichtiger Aspekt meiner Berufung. Und gleichzeitig bin ich mir sehr bewusst, dass ich viele wunderbare Bildungs- und Berufs-Chancen geschenkt bekommen habe, die aber nur durch harte Arbeit wirklich erreichbar waren.

Meine jungen Polizeimeisteranwärterinnen und -anwärter erhalten ebenso die einmalige Chance, einen der wohl spannendsten, aber auch verantwortlichsten Berufe erlernen zu dürfen. Das Streben um Recht stellt hierbei einen wichtigen Aspekt dar. Das Erlernen dieses Berufes kommt jedoch mit großen Herausforderungen – daher wird von ihnen harte Arbeit gefordert, manchmal bis zur Erschöpfung.

„Even if you are righteous and have a chance to be successful, nothing can be achieved unless you work hard.“

No. 87 The Best Fortune, Temple in Asakusa

Auch das kenne ich aus meiner Ausbildungszeit bei JAL. Ein normaler Ausbildungstag lief so ab:

4:00 Uhr Aufstehen

Mindestens zweieinhalb Stunden Fahrt zur Ausbildungsstätte quer durch Tokyo

6:30 / 7 Uhr Frühstück an der Ausbildungsstätte

7:30 Uhr Dienstbeginn und Unterricht

17 Uhr Unterrichtende und Heimfahrt

Mindestens zweieinhalb Stunden Fahrt zum Wohnheim quer durch Tokyo

19 Uhr Abendessen

ca. 20 Uhr Lernen

Gnadenlos wurden wir eingegliedert in ein japanisches Bildungssystem, denn schließlich würden wir bald als Deutsche in einer japanischen Fluggesellschaft arbeiten. Zumeist allein oder zu zweit in einer japanischen Crew. Für uns angehende Flugbegleiterinnen war es ein wahrer Kulturschock. Ich begegnete dem Ganzen mit viel Neugier und einer guten Portion Willenskraft, die beste Leistung abzulegen und mich in dieses System einfinden.

Es waren anstrengende Ausbildungstage, die früh begannen. Ich kann meine Polizeischülerinnen und -schüler gut verstehen, deren Dienst täglich um 6.55 Uhr beginnt und gegen 16:30 / 45 Uhr endet. Auch sie tauchen in eine unbekannte Kultur ein. Hierarchie, Disziplin, Ambitioniertheit und Engagement sind elementar, um diese Ausbildung erfolgreich zu durchlaufen.

„Even if you are righteous and have a chance to be successful, nothing can be achieved unless you work hard.“

No. 87 The Best Fortune, Temple in Asakusa

In der letzten Dienstwoche durfte ich eine Lehrklasse bei einer sogenannten „Alarmübung“ begleiten. Das hieß für die jungen Polizeischülerinnen und -schüler um 2:30 Uhr geweckt zu werden und dann in ihrer Lehrklasse von einem Punkt aus wieder an den Ausbildungsort zurückzufinden. Selbstverständlich mit dem jeweiligen Lehrgruppenleiter und mir sowie einem engagierten Team, das im Hintergrund alle notwendigen Vorkommnisse, Regelungen und Fahrten organisiert. Genau bedeutet das: 15 Kilometer durch die Dunkelheit. Dies erfordert Wissen, Teamgeist und Motivation.

Durchhaltevermögen und harte, engagierte Arbeit sind essentiell für den Beruf eines Polizisten und einer Polizistin. Wer hätte gedacht, dass ich aus den damals bei Japan Airlines gemachten Erfahrungen so viele Analogien für die Ausbildung meiner Schülerinnen und Schüler ziehen würde! Und ganz nebenbei einige interessante Erfahrungen in den Unterricht einfließen lassen könnte – ob Randalierer an Board, Herzstillstand oder Notfallausbildung für Land- und Wasserlandung. Für mich mehr als nur unterhaltsame Erfahrungen, denn sie erzählen von dem Unerwarteten, den Überraschungen und Notfällen, die über sie hereinbrechen können. Sie darauf wenigstens ein bisschen vorbereiten zu können, gibt meinen eigenen Erfahrungen mehr Tiefe.

„Even if you are righteous and have a chance to be successful, nothing can be achieved unless you work hard.“

No. 87 The Best Fortune, Temple in Asakusa

Ich gab mir einen Ruck, legte die Fernbedienung auf den Sofasessel und ging in die Küche, um etwas Sushi zuzubereiten. So konnte meine Familie einen kleinen Geschmack von Japan erhalten und meine Sehnsucht nach einem fernen und doch so nahen Ort etwas stillen, um dann am nächsten Tag wieder vor meine Lehrklassen zu treten.

Aus der Sicht einer Polizeiseelsorgerin: Von Protesten, Gleichaltrigen und dem Wunsch nach Menschlichkeit

Ich schüttelte die neueste Ausgabe der Zeit mit einem routinierten Ziehen zurecht, um die voluminösen Seiten gerade zu ziehen. Dann versank ich wieder in der neuesten Ausgabe der ZEIT. Doch kaum hatte ich die erste Seite umgeblättert, drängten abrupt die großen Baggerschaufeln des Kohleabbaus am Dorf Lützerath und die Geschehnisse rund um das gegenwärtig zu räumende Dorf in die Stille meines Wohnzimmers. Nachdenklich folgte ich den Worten der Autorin, die einen jungen 17-jährigen Klimaaktivisten mit dem Decknamen Taco und dessen Familie begleitet hatte und nun davon berichtete. Ihre Worte waren einfühlsam und ausgewogen. Immer wieder blieb ich im Text an dem Alter des jungen Mannes hängen, das dem vieler Polizeimeisteranwärterinnen und -anwärtern entsprach, die ich in meiner Lehrtätigkeit begleiten durfte.

Die Worte des letzten Absatzes gingen mir nicht aus dem Kopf:

[…] Taco hat sich entschieden: Er will bleiben, die Räumung in Lützerath abwarten. Sollte die Polizei ihn vom Gelände tragen werde er sich nicht wehren. […]

Her mit der Kohle. Vermummte werfen Steine, Väter besorgen ihren Söhnen Gummistiefel fürs Demonstrieren. Wie gewaltbereit ist der Protest in Lützerath, von Laura Cwiertnia, aus: DIE ZEIT Nº 3, 12. Januar 2023

Immer und immer wieder las ich sie. Fiktive, aber durchaus realistische Gedanken gingen mir durch den Kopf. Was, wenn sie aufeinandertreffen würden? Ein siebzehnjähriger Klimaaktivist und ein siebzehnjähriger Polizeischüler? Im zweiten Lehrjahr durchlaufen die Auszubildenden verschiedene Praktika und kommen dort, um in ihre Tätigkeit hineinzuwachsen, mit Bürgerinnen und Bürgern in sehr unterschiedlichen Situationen und an verschiedenen Orten Kontakt.

Wie viel Verständnis würde auf beiden Seiten wachsen, wenn sie einander jenseits eines Konfliktes begegnen würden? Wenn sie im jeweils anderen die Menschlichkeit entdecken dürften?

Es ist ein unglaubliches Spannungsfeld, in das diejenigen, die ich in der polizeilichen Ausbildung begleiten darf, hineinwachsen müssen. Oft sehen sie bereits in jungen Jahren Dinge, die andere Erwachsene selten bis nie sehen werden. Gewalt hinterlässt Spuren. Eine Uniform mag vor dem Schlimmsten einen relativen Schutz bieten, aber die Spuren in der Seele kann auch eine Körperschutzausstattung nicht verhindern.

Was wäre, wenn man mehr Begegnungsfläche für beide Seiten schenken könnte? Wenn junge Klimaktivistinnen und -aktivisten mit jungen Polizeimeisteranwärterinnen und -anwärtern zu Gesprächen und einem Kennenlernen der jeweils anderen Seite zusammen kämen? Vielleicht würden sie ja viel Gemeinsames entdecken. Oder in so mancher schwieriger Situation diese Erfahrung dabei helfen, dass es zu keinen massiven, gewaltbereiten Auseinandersetzungen kommen würde.

Wünschen würde ich es Taco und meinen Polizeischülerinnen und -schülern, denn als Seelsorgerin habe ich Angst. Um beide. Nicht umsonst fragt sich die Autorin ohne eine Seite im Untertitel genau zu benennen:

Wie gewaltbereit ist der Protest in Lützerath?

Als Pfarrerin kann ich jenseits jeglicher politischer Diskussion um Lützerath für die involvierten Personen nur hoffen, dass die durch die Politik angeordnete Räumung des Dorfes und das dadurch ausgelöste Demonstrationsgeschehen so friedlich wie nur irgendmöglich bleibt. Zum Wohle aller.

Ich seufzte tief und schlug die Zeitung mit einem energischen Ruck zu. Die nächsten Tage würden zeigen, ob es überwiegend friedlich bleiben würde.

Im anderen einen wertvollen Menschen entdecken: von Respekt für Einsatzkräfte und langfristiger Vertrauensbildung

Als ich auf insgesamt drei Regalen in großen Lettern die Schilder „AUTOS“ bereits auf der Rolltreppe entdeckte, spürte ich das Kribbeln einer kindlich freudigen Begeisterung. Meine geheime Mission würde aufgrund der schon von weiten sichtbaren Fülle an „Kaufgut“ sicherlich erfolgreich sein. Da mein Patenkind in einiger Zeit aufgrund einer notwendigen Operation ins Krankenhaus gehen musste, wollte ich ihn mit einem kleinen „Krankenhaus-Paket“ überraschen und Mut machen. Ein Besuch würde aufgrund der gegenwärtigen Infektionswelle kaum möglich sein. Daher hoffte ich, dass ihm durch die kleinen Geschenke etwas näher sein würde: ein kuscheliger Schlafanzug – ein Kuscheltier, das mit einem großen Reißverschluss versehen, Sorgen fressen konnte – eine Buch nebst selbsteingesprochener Audiodatei – und ein Spielzeugauto. Aber nicht irgendeines, hatte ich mir fest vorgenommen. Denn das Patenkind war ein begeisterter Polizeifan und wusste natürlich genau, dass seine Patin bei der Bundespolizei arbeitete.

Meine Füße setzten auf dem mit hellen Kacheln versehenen Einkaufsgeschoss auf und setzten mit entschlossenen Schritten das Tempo der Rolltreppe fort. Doch schon bald verlor ich nach der Durchsicht des zweiten Regals den Mut. Das konnte doch nicht wahr sein! Wo waren sie, die Polizeifahrzeuge? Bis dato war ich immer der Überzeugung gewesen, dass sie zu jedem Kinderzimmer gehörten und daher überall angeboten würden. Als ich schon fast aufgab, fiel mir auf der Stirnseite des letzten Regales ganz unten links einige Einsatzfahrzeuge auf. Unter ihnen zu meiner Erleichterung ein Volkswagen Crafter auf dessen Seite in großen Lettern POLIZEI aufgedruckt war. Noch dazu konnte man durch leichtes Drücken eine Polizeisirene erklingen lassen. Als das Geräusch erklang waren es sehr ambivalente Gefühle, die in mir Raum nahmen:

Erinnerungen an einen Besuch bei der Landespolizei als ich selbst Kindergartenkind war, wurden plötzlich so wohltuend präsent. Damals war es auch ein Volkswagen gewesen – ein alter Bus, in den wir uns setzen durften. Wo uns der Polizist unter unseren staunenden Augen alles erklärte und ganz nebenbei viel Vertrauen zwischen ihm und uns schuf.

Aber auch schwere Gedanken mischten sich in die freudige Jagd nach einem geeigneten Spielzeug, denn die Aufschrift „TRY ME“ war in makaberer Weise in der Silvesternacht von Personen umgesetzt worden. „Try me“ bedeutet aus dem Englischen übersetzt nicht nur „Probiere mich aus“, sondern je nach Kontext auch „Fordere mich doch heraus!“. Sicher ist vielen Einsatzkräften besonders in dichten Zeiten wie einem Jahreswechsel oder anderen Tagen im Jahreskreis bewusst, dass der Dienst nicht einfach werden könnte, dass der Dienst unter Umständen sogar eine Herausforderung darstellt. Aber das, was in der letzten Silvesternacht zahlreichen Einsatzkräften der Polizei und Feuerwehr passierte, lässt mich als Polizeiseelsorgerin wütend werden. Gewalt an Einsatzkräften, die zur Hilfe eilen, ist indiskutabel und darf nicht toleriert werden.

Mein Blick geht aber nicht nur zurück, sondern auch in die Zukunft. Meine eigene lange zurückliegende Erfahrung hat mich von Kindesbeinen an positiv geprägt. In New York habe ich auf diese Erfahrung aufgebaut und meine Konfirmandinnen und Konfirmanden im Rahmen eines Praxistages mit zu meiner damaligen Polizeistation genommen. Während die Polizeikollegen sie mit in die Station nahmen, ihnen Türen öffneten, die anderen so nicht zugänglich waren und Einsatzfahrzeuge erklärt bekamen, sah ich in ihren Augen ein Strahlen, das sich sicherlich als eine gute Erinnerung an die manifestierte, die für unsere Sicherheit sorgen.

Innerhalb des Community Policing Projects konnte ich viele vertrauensbildende Projekte besonders mit Kindern und Jugendlichen erleben: die Youth Police Academy, die in den langen Sommerferien kostenlose Camps anboten und spannende Einblicke in die Polizeiarbeit schenkten; die NYPD Explorers, mit denen die deutsche Jugendfeuerwehr im polizeilichen Bereich vergleichbar ist; Familienfeste; Basketballturniere mit Cops und so vieles mehr. Die grundlegende Konstante hierbei war, dass Bürgerinnen und Bürger mit Polizistinnen und Polizisten in Kontakt kamen und so manches Vorurteil fiel. Im anderen den Menschen entdecken – ob in zivil oder Uniform- das prägt beide Seiten und hilft, den anderen zu verstehen.

Als Polizeiseelsorgerin würde ich mir aufgrund dieser Erinnerungen wünschen, dass wir Polizei und Bürgerschaft, alt und jung, egal welcher Herkunft oder finanziellem Status, die Möglichkeit geben, im anderen einen wertvollen Menschen zu entdecken. Das ist aus meiner Sicht die beste langfristige Prävention gegen solche schweren Silvesternächte.

Ich drückte nochmals gedankenverloren auf den kleinen Volkswagenbus. Vielleicht sollte ich eher die große Aufschrift der Verpackung „TRY ME“ mit „TESTE MICH“ im Bezug auf meine Ideen übersetzen. Wenn ich in entscheidender Position tätig wäre, würde ich ein Projekt anstoßen, durch das die evangelische Seelsorge in der Bundespolizei diese Menschen zusammenbringt und Vertrauen schafft. Bis vielleicht eine solche Person den Mut fasst, werde ich dies im Kleinen als Pfarrerin umsetzen. Bei meinen Konfirmanden hatte ich in New York den Anfang gemacht. Nun war es mein Patenkind, das durch seine Patin einen spielerischen Zugang erhielt. Und wer weiß, welche anderen Möglichkeiten Gott in unsere Hände legen möge.

Von bärigen Symbolen und Hilfe für die, die helfen

Vorsichtig faltete ich die kleinen Hände um die Mandel und drückte sie sanft fest. Dann stach ich den nächsten Bären aus dem kalten Butterplätzchenteig aus. Während sich mein Backblech langsam mit einem Teil der Plätzchen-Hundertschaft für meinen Dienstort in der Bundespolizei füllte, wanderten meine Gedanken in eine längst vergangene Zeit.

Noch gut kann ich mich an eine amerikanische Comic-Sendung erinnern, in der „Care Bears“ (dt.: Glücksbärchis) als kuschelige Wesen sich um das Wohl von Menschen bemühten. Dort, wo die kleinen Bärchenplätzchen eine Mandel umarmten, trugen die Bären ein Symbol auf dem Bauch, das für die Gabe des jeweiligen Bärchen stand. Waren Menschen, und vor allem Kinder, in Schwierigkeiten geraten, so halfen sie mit ihrer jeweiligen Gabe.

Am Anfang meiner Tätigkeit bei der Bundespolizei stolperte ich über ein ganz anderes Bärenbild. Als ich vom Begriff des „Bärenführers“ erfuhr, war ich sehr verwundert. Aus der mittelalterlichen Geschichte hatte dieses Bild für mich eine durchaus negative Konnotation. Ein Bärenführer zähmte damals den wilden Bären und zwang ihn zu Tätigkeiten, die weder naturgemäß noch artgerecht waren. Die „Bärenführer“, die ich jedoch bei der Bundespolizei erlebt habe, wiesen die jungen Kolleginnen und Kollegen als erfahrene Vorgesetzte aufmerksam in die neue Tätigkeit als Polizistinnen und Polizisten im Praktikum ein und waren darauf bedacht, dass es dem anvertrauten Nachwuchs gut ging.

Ich schüttelte den Kopf, während ich das nächste Backblech voller Bären in den heißen Backofen schob. Was für „bärige“ Gedanken… Ich beschloss das Symbol des Bären als eines der Sorge und der Zuneigung zu deuten. Denn dies durfte ich vielfach am größten polizeilichen Aus- und -fortbildungszentrum der Bundespolizei erleben: Lehrende, die sich um den polizeilichen Nachwuchs kümmern und dort engagiert ihren Dienst tun. Die Seelsorge ist ein Teil dieser Sorge und ist gerne für die helfend da, die anderen helfen. Kurzerhand entschloss ich „Care Bären“ zu backen und als kleine „bärige“ Zeichen dieser Sorge weiterzugeben. Das Ergebnis könnt ihr hier sehen:

Ein herzliches Dankeschön an das Team der Druckerei des AFZ Bamberg, das mich bei der Umsetzung dieser Idee mit Rat und Tat unterstützt hat. ❤️

My dear Jewish friend 12: hygiene, human dignity and daily reminders

My hand softly touched the thick glass of the exhibition. I swallowed deeply as a huge knot of grief and anger formed in my stomach. No, it couldn’t be … but deep in my heart I knew it had happened. The small safety razor and its blades in the small glass cabinet looked so innocent and ordinary. Nonetheless, it was a silent witness of crimes unimaginable and executed on innocent people. What had started as a trip with my police cadets to the memorial of the concentration camp of Flossenbürg, took an unforeseen personal turn that would from then onwards be a constant reminder in my daily routine.

Just a few weeks ago I had bought a safety razor. One of these „old style“ ones, where you could detach the double-edged blade while the rest would be reused. I wanted to preserve the environment and thought to myself: Why not first start with my daily routines? Small actions that cumulate make a big difference.

On that wintery October day it hit me directly into my face as I saw a double-edged razor with separate blades that almost looked identical to the one laying in my bath room. I couldn’t take my eyes of this device of daily hygiene, which once according to the description belonged an prisoner of the concentration camp Flossenbürg. It was taken away as an action of discrimination. Hygiene was not allowed in these death camps. What is natural to us – a nice shaved beard, neatly cut hair, hygiene of other body parts – was taken away from prisoners as an instrument of oppression and terror.

Hair is such an essential part of our human dignity. A part of our personal expression of self. The Nazi terror went further. It not only took away double-edged razors, which ensured a personal self-administered hygiene, like the one exhibited in Flossenbürg, but brutally stole human dignity by shaving the hair of every person entering with straight razors and replacing names by numbers. Those ensuring this terror were part of the „Schutzstaffel“, which in 1936 was united by Himmler with the police.

As I pointed my young police cadets to the small glass cabinet with the double-edged razor, they were equally astonished to see a hygienically product laying there, which is now very much in fashion. Many had bought one themselves to show that they would try to preserve the environment. Now it is an unforeseen reminder in their and my daily private routine. Every young police cadet, who is impacted by an encounter with the evil, murderous regime that took millions of innocent lives, is one ally more and a sign of hope in our broken world.

My dear Jewish friend 9: Pictures of hope and happiness

I stared at the old picture in awe. Six men and a women were gathered around an embroidered table and deliciously filled beer steins. In the center of the picture was a gentleman with a hat and beard, who clearly looked Jewish. He proudly glanced back at me. As my gaze wandered over the details of this special snap shot in time I spotted two police officers to the left and right. They were a natural part of this cheerful and positive happening.

Uffenheim in the 1890s or 1900s. A window into the life of my hometown before Hitlers murderous thoughts, his evil making and hating ideology took grip of Franconia and the place I grew up.

The picture you see on the bottom is from my friend Rick Landman. By G´d´s providence we met years ago in New York. Who would have ever dreamed that the friendship, which once flourished before the disaster of the Nazi-Regime, would be reinstated by two Uffenheimer finding each other amongst millions of people in one of the busiest cities of this world?

(Bild: Rick Landman)

The proud Jewish gentleman in the middle is Ricks great-grandfather Gabriel Oettinger (1862-1903). He was able to experience as Jewish people became full citizens in Germany 1871. To me he looks happy and proud – along with all the other people. I can fully understand, as I’ve experienced how enriching, enlightening and heart-warming diverse and welcoming societies can be, if they dare to. The New York experience of diversity has changed my heart and soul forever.

Nonetheless, with emancipation having blossomed in Germany within years the pendulum swung back under the Nazi regime to an even more disastrous state than ever before. My hometown Uffenheim prided itself to be „judenfrei“ before everyone else and adhering to the Nazi regime more than other places. Martin Oettinger (Ricks grandfather), who was a proud born Uffenheimer, had to flee for his life.

The old picture is a proof that a different kind of society is possible- even in Uffenheim, which has once adhered so eagerly to a murderous regime and is presently very conservative. As I am now not only carrying the weight of my ancestors doings, the guilt of my Lutheran church body, but by wearing a Police uniform as a chaplain I am responsible to embrace the complicitness of this institution during Hitler as well. I hope that the picture of friendship, joy and happiness once taken in Uffenheim will foreshadow what can be in the presence and future: By reinstating a friendship amongst those, who once shared the same table, there is hope beyond time through those embracing each other in love and commitment.

May this new picture be a hopeful beginning of what once was possible in the small Franconia town of Uffenheim.


Information about Rick Landman and his family’s story, please visit his website.

Laufen für Gerechtigkeit und Inklusion

Die Turnschuhe glitten über den roten Belag der Laufbahn. Ich drückte meine AirPods fest und grüßte mit einer Handbewegung meinen Kollegen, der ebenso im nebligen Halbdunkel des Morgens seine Bahnen auf dem leeren Sportplatz des polizeilichen Ausbildungszentrums zog. Mein Atem nahm einen regelmäßigen Rhythmus an, der sich langsam an das dumpfe Laufgeräusch meiner Füße anglich. Es tat gut, den Herbstmorgen so zu begrüßen und Kraft zu sammeln, denn ein langer und spannender Fortbildungstag zur Berufsethik stand uns bevor.

In vielem gleicht unser Dienst als Seelsorgerinnen und Seelsorger bei der Bundespolizei einem Lauftraining, bei dem es gilt Ausdauer zu zeigen, Etappenziele zu erreichen und nie das Ziel eines gelingenden berufsethischen Unterrichtes und einer einfühlsamen Seelsorgebegleitung derer, die uns anvertraut sind, aus dem Blick zu bekommen. Die berufsethische Fortbildung, die ich im südlichen Schwarzwald besuchte, war hierbei eine Art „Lauftraining“, die mir half Atem zu finden, Lauftechniken zu erlernen und mit anderen „Laufpartnerinnen und -partnern“ zu trainieren. Doch an diesem Morgen hatte ich jenseits der Fortbildung einen besonderen Grund trotz der Müdigkeit und der frühen Morgenstunde auf die Laufbahn zu treten: In dieser Woche sammelte das Aus- und Fortbildungszentrum, an dem ich Seelsorgerin war, im Rahmen des bundesweiten Schulnetzwerks „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ Schritte gegen rechts.

Paulus selbst war das Bild des Laufens sehr bekannt. Während seines eineinhalbjährigen Aufenthalts in Korinth im Jahr 51 und 52 hatte er Isthmischen Spiele besucht, die nach den Olympischen Spielen die zweitgrößte Sportveranstaltung der Welt waren. Hierbei war der Streckenlauf einer der Königsdiziplinen gewesen.

Nachdem Paulus diese pulsierende und kosmopolitische Hafenstadt verlassen hatte, schrieb er an die Gemeinde einen Brief, indem er das Bild des Laufes aufnahm, um ihnen Trost in ihren Herausforderungen zu spenden:

24 Wisst ihr nicht: Die im Stadion laufen, die laufen alle, aber nur einer empfängt den Siegespreis? Lauft so, dass ihr ihn erlangt. 25 Jeder aber, der kämpft, enthält sich aller Dinge; jene nun, damit sie einen vergänglichen Kranz empfangen, wir aber einen unvergänglichen. 26 Ich aber laufe nicht wie ins Ungewisse; ich kämpfe mit der Faust nicht wie einer, der in die Luft schlägt, 27 sondern ich schinde meinen Leib und bezwinge ihn, dass ich nicht andern predige und selbst verwerflich werde.

1. Kor 9,24-27

Seine Worte klangen an diesem milden Herbstmorgen, an dem sich der Südschwarzwald von seiner lieblichen Seite zeigte, allzu vertraut. Als Christinnen und Christen befinden wir uns kontinuierlich auf einem Lauf immer das Ziel von Gottes Gerechtigkeit und einer besseren Welt im Blick. Dabei gilt es, dass wir uns selbst herausfordern und erden, damit nicht anderen predigen, selbst den gesetzten Maßstäben aber nicht entsprechen. Da ich mit vielen anderen im Aus- und Fortbildungszentrum mich für eine „Schule ohne Rassismus“ einsetzte, war es ein Muss soviel Schritte wie möglich in dieser Woche zu sammeln und nicht nur darüber zu reden.

Inzwischen ging mein Atem schwer und ich sog die kalte Luft in großen Atemzügen ein. Es fühlte sich an als ob meine Lunge zu brennen beginnen würde. Noch zwei Runden, sprach ich mir selbst zu, dann hast du dein Etappenziel erreicht und eine Menge Schritte gelaufen. Ich freue mich über diese und andere Initiativen, die ein Zeichen gegen Extremismus und für eine gerechtere Welt, die allen Menschen so wie sie gemacht sind, einen Platz schenkt. Für eine Bildungseinrichtung ist dieses Projekt eine wunderbare Möglichkeit, das Klima an ihrer Schule aktiv in positiver Weise mitzugestalten und bewusst gegen jede Form von Diskriminierung, Mobbing und Gewalt vorzugehen. Ein wichtiges Signal nach innen und außen, das die Bundespolizei damit setzt – in dieser Woche durch das Sammeln von Schritten und dem Laufen für Gerechtigkeit und Inklusion. Ein wahrhaft biblisches Bild, das Paulus gut verstanden hätte. Leise nickte ich, während ein verschmitztes Lächeln über meine Lippen glitt. Ob Paulus auch ein Morgenläufer war? Zu gerne hätte ich das gewusst.

Ich konzentrierte mich wieder auf meinen morgendlichen Lauf, denn die Anstrengung forderte meine ganze Aufmerksamkeit. Endlich kam die Ziellinie der letzten Runde in den Blick. Ich nahm die letzten Kraftreserven zusammen und sprintete auf die Ziellinie zu.

Glaube verpflichtet – vom notwendigen Engagement gegen Rassismus und Antisemitismus

„Justice is served“ – ich rieb meine Augen nach einer unruhigen Nacht und versuchte meinen noch müden Blick auf die Nachricht meiner amerikanischen Freundin zu fokussieren. Plötzlich war ich hellwach. Ich setzte mich im Bett viele Meilen weg von meiner vergangenen New Yorker Heimat auf und schaltete umgehend die Nachrichten ein. Während draußen die Natur langsam erwachte, wanderten die Bilder des vergangenen Jahres über meinen deutschen Bildschirm und riefen die Erinnerungen einer sehr bewegten Zeit in meinem Herzen wach.

„Justice is served“ – ein tiefer Seufzer entfuhr mir in Erleichterung um einen Schuldspruch, der so notwendig war und endlich ein deutliches Zeichen gegen Rassismus in den USA setzte. Vor einem guten Jahr war ich mit anderen auf die Straße gegangen, um gegen den Mord des schwarzen Amerikaners und den tief im Land verwurzelten Rassismus zu demonstrieren. Immer wieder brach dieser durch Polizeigewalt hervor.

Aber ich kannte als ehrenamtliche Polizeiseelsorgerin auch die andere Seite: Polizistinnen und Polizisten, die sich gegen ein zutiefst rassistisches System engagieren. Die selbst dunkle Hautfarbe trugen und versuchten von Innen heraus die Polizeikultur zu verändern. Fünfeinhalb Jahre durfte ich in New York als ehrenamtliche Seelsorgerin Polizistinnen und Polizisten begleiten, sie unterstützten, ihnen zuhören und als Brückenbauerin Verbindungen zwischen der örtlichen Polizeistation und den Anwohnern herstellen. Dies war besonders im vergangenen Jahr dringend notwendig geworden, um miteinander ins Gespräch zu kommen, gemeinsame gelingende Wege zu suchen und zu heilen.

Aus meiner Sicht ist es ungemein wichtig, dass wir uns aufgrund der engen geschichtlichen und wirtschaftlichen Verbindung von Deutschland und USA über die grundlegende und beunruhigende Nähe von Rassismus und Antisemitismus bewusst werden. Beide sind gefährliche Irrlehren, die zutiefst der christlichen Botschaft widersprechen. Sie sind ideologische Zwillinge, die nicht nur Hass verbreiten, sondern auch Menschenleben kosten.

Wie aber entsteht dieser Hass gegen Menschen? Unvergeßlich ist mir ein Seminar, das ich im Rahmen meines Zusatzstudiums bei Professorin Beverly Mitchell, die am Wesley Theological Seminary, Washington, D.C. lehrt, besuchen durfte. Sie stellte uns ihre Arbeit zum systemischen Vergleich von Konzentrationslagern und Sklavenplantagen vor. Die zum Himmel schreienden systemischen Analogien öffneten mir die Augen und ließen mich verstehen, warum sie bei Rassismus und Antisemitismus von „Zwillingen des Hasses“ (Engl.: „Twins of Hate“) sprach. Diese tödlichen Irrlehren haben ihre Wurzeln in der grundlegenden Ideologie, bestimmte Gruppen unter Verwendung von Ausschlussgesetzen, wirtschaftlicher Ausbeutung, Sklaverei, Mord und anderen Formen der Ungerechtigkeit auszuschließen und niederzudrücken.

Rassismus und Antisemitismus sind somit ideologische Zwillinge, die ihre Wurzeln tief in einer nährenden Grundlage haben: Im Hass gegen andere, in der Ausgrenzung, Ausbeutung und sogar Tötung wie im Falle George Floyds und zahlreichen anderen. Sie sind Irrlehren, die die von Gott geschenkte Gottebenbildlichkeit verletzen und mit dem uns von Jesus gebotenen Doppelgebot der Liebe brechen.

Dieses Engagement gegen Rassismus und Antisemitismus, das tief verwurzelt in dem Gebot der Nächstenliebe und Gottebenbildlichkeit ist, begleitet mich auch nun als Seelsorgerin in der Bundespolizei in Bamberg als dem größten polizeilichen Aus- und Fortbildungszentrums Europas. Hier darf ich junge Polizeianwärterinnen und -anwärter in ihrer Ausbildung begleiten und für alle in dieser Lehreinrichtung Tätigen als Seelsorgerin arbeiten. Ein Privileg und gleichzeitig eine große Verantwortung.

„Justice is served“ – an diesem Morgen blickte ich mit Dankbarkeit auf die jubilierende Nachricht meiner amerikanischen Freundin. Der in der letzten Nacht getroffene Schuldspruch war von so unglaublicher Wichtigkeit, denn ein wertvolles Menschenleben war aufgrund einer rassistischen Einstellung ermordet worden. Gleichzeitig verpflichtet er rund um die Welt Menschen, dass sie überall dort, wo Menschen als Ebenbilder Gottes verletzt und ermordet werden, aufstehen im Namen des Schöpfers unserer Welt und sich für Gerechtigkeit und Frieden jenseits von Hautfarbe, Nation, Herkunft und finanzieller Leistungsfähigkeit einsetzen. Dafür will ich einstehen, wo mich Gott in den Dienst beruft.