Ein Herz für den Nachwuchs: von Blaulichtparties und Gebeten

Ein kalter Wind pfiff durch die schmale Straße. Ich rieb mir die Hände und zog die blaue Weihnachtsmütze tiefer ins Gesicht während ich in die erwartungsvoll-freudigen Gesichter meines polizeilichen Nachwuchs blickte, der auf den Einlass in der Diskothek im Herzen Bambergs geduldig wartete.

Als Polizeiseelsorgerin versuche ich so oft wie möglich an „Blaulichtparties“ präsent zu sein, um gemeinsam mit Ehrenamtlichen der Gewerkschaft der Polizei als Ansprechpartnerin verfügbar zu sein. Denn der Nachwuchs, dessen Sicherheit und ihre Anliegen liegen uns – Seelsorge und Gewerkschaft – sehr am Herzen. Hand in Hand zeigen Kirche und Gewerkschaft durch Personen vor Ort ein gemeinsames Gesicht.

Und das ist notwendig, denn die nächste Generation von Beamtinnen und Beamten ist unsere Zukunft. Ob dies Polizistinnen und Polizisten, oder Pfarrerinnen und Pfarrer sind, so sollten wir uns bewusst sein, dass diese Berufsgruppen vieles begleiten, was ein Bürger oder eine Bürgerin hoffentlich nur selten oder nie erleben muss. Beide Berufsgruppen machen diese Erfahrungen sehr früh in ihrer beruflichen Laufbahn – meine Polizeimeisteranwärterinnen und -anwärter beginnen ihre Ausbildung teilweise mit sechzehn Jahren.

Unser Nachwuchs benötigt daher unsere Begleitung und unser unablässiges Gebet. Paulus schreibt weise Worte über die Gestaltung unseres Lebens und das Gebet in seinem ersten Brief an die Gemeinde in Thessaloniki, die auch wir zu Herzen nehmen sollten:

Seid allezeit fröhlich, betet ohne Unterlass, seid dankbar in allen Dingen; denn das ist der Wille Gottes in Christus Jesus für euch.

1. Thess 5,16

Fröhlichkeit stand an diesem Dezemberabend kurz vor dem Weihnachtsurlaub meiner Auszubildenden im Mittelpunkt derer, die dorthin gekommen waren. Inzwischen war mir vom Stehen neben der Security am Eingang der Diskothek in der zugigen Straße kalt geworden. Ich entschuldigte mich bei meinem Gewerkschafts-Kollegen und stieg die Treppe hinunter in den dunklen und warmen Gastraum, während ich in die rhythmische Musik der Feierenden eintauchte. Obwohl ich am Rande der Tanzfläche in meiner Leuchtweste stand, wurde ich in den fröhlichen Sog mit hineingetragen und lies mich einige Minuten vom Rhythmus tragen.

Seid allezeit fröhlich!, fordert Paulus auf.

Doch jenseits all des Feierns erwartet unseren Nachwuchs ein schwerer beruflicher Alltag. Das wusste ich durch meine eigene Ausbildung, aber auch durch meine Erfahrungen in der Begleitung von polizeilichen Einsatzkräften und kirchlichen Seelsorgenden. Sie sind eingestellt in ein weites berufliches und privates Spannungsfeld. Dabei dankbar zu sein, ist eine große, ja fast lebenslange Herausforderung.

Seid dankbar in allen Dingen!, fordert Paulus auf.

Tod, Trauer, Verlust, Übergriffe und Extreme prasseln auf diese zumeist jungen Menschen ein. Ich kann mich noch gut erinnern, als ich meine ersten beruflichen Erfahrungen mit Sterben, Tod und Endlichkeit mit Mitte zwanzig gesammelt hatte. Prägende Momente, die sich teilweise in die Seelen der jungen Menschen einbrennen. „Die erste Leiche, den ersten Toten vergißt du nie“, hatte man mir damals in der Seelsorgeausbildung gesagt. Diese und andere Erfahrungen hinterlassen ihren unauslöschlichen Eindruck, der unseren Nachwuchs während seiner Ausbildung verändert und formt. Als Lehrende, Mentorinnen und Mentoren können wir nicht immer vor Ort sein. Daher braucht es etwas, worauf Paulus zu recht hinweist:

Betet ohne Unterlass!, fordert Paulus.

Gott hört. Er ist da. Und manchmal braucht es andere, die für einen beten, wenn man selbst keine Worte mehr findet oder sich mitten im Geschehen befindet. Kein Wunder also, dass Dekanin Kerstin Baderschneider aus Kitzingen die Synode aufgefordert hatte, den Gemeinden eine Bitte um den Nachwuchs in die Fürbittengebete aufzunehmen (siehe Artikel Sonntagsblatt). „Es liegt Kraft im gemeinsamen Gebet“, so Dekanin Baderschneider. Dem kann ich nur zustimmen! Für mich kommen dabei als Seelsorgerin der kirchliche und der polizeiliche Nachwuchs in den Blick, der so viel erleben und schon während seiner Ausbildung begleiten muss – Gebet ist neben einer guten Ausbildung das, was wir alle für sie tun können. Als die Synode diese Eingabe abgelehnt hat, war es für mich ein bitterer Moment. Aber vielleicht überlegt es sich die Synode nochmals, wenn sie im neuen Kalenderjahr sich mit der sechs Verse später stehenden Jahreslosung auseinandersetzen wird?

Prüft aber alles und das Gute behaltet. So rät es Paulus.

Zu hoffen ist es allemal, dass die Synode dies ernst nimmt und nochmals diese Eingabe als geistliches Gremium prüft.

Inzwischen war es kurz nach Mitternacht. Nachdem die letzten unter Sechzehn sich auf den Weg zurück zur Ausbildungsstätte gemacht hatten, konnte auch ich in den Feierabend gehen. Ich verabschiedete mich von meinem Kollegen und tauchte mit Leuchtweste in die dunkle Nacht ein. Nur wenige Fenster waren noch beleuchtet als ich durch die Kälte nach Hause radelte, aber eins wusste ich gewiss: Mein Engagement und unablässiges Gebet als Polizeiseelsorgerin würde meine Auszubildenden begleiten, denn das war notwendig.

… Und liebe Leserin und lieber Leser, wenn Sie etwas Zeit haben, beten Sie für unseren Nachwuchs, den polizeilichen und kirchlichen. Denn wir brauchen sie in ihrer jeweils eigenen beruflichen Kompetenz, damit Gerechtigkeit und Hoffnung in diese Welt einziehen möge.

Sport & Gebet – von Notfallnummern und wichtigen Mechanismen der Gesunderhaltung

Meine Lauffrequenz hatte sich nach anfänglichen Mühen eingependelt. Mit jedem Schritt, den ich auf der roten Tartanbahn vorankam, wurde ich ruhiger während das vor wenigen Minuten Gehörte sich langsam ordnete und der Nebel des Seelsorgegesprächs sich allmählich lichtete. Mein Atem folgte nun einem geordneten Rhythmus während mein Gebet zu Gott aufstieg, indem ich Ihm anvertraute, was eine Person mir erzählt hatte.

Vor einigen Wochen war ich auf einer Podiumsdiskussion von einem Gast gefragt worden, wie ich mit der Last des Erlebten, die Polizistinnen und Polizisten ertragen und durchleben müssten, als Seelsorgerin umgehen würde. Welche Mechanismen oder Möglichkeiten hätte ich, damit auch ich dienstfähig und gesund bliebe? Meine Antwort war einfach und simpel: Sport & Gebet. Nicht wenige waren überrascht.

Ich will nicht verleugnen, dass ich in den dreieinhalb Jahren Polizeiseelsorge in Bamberg eine Vielzahl von Personen begleitet habe, die aufgrund von Grenzsituationen belastet sind und daran auch zu zerbrechen drohen. Der Dienst eines Polizisten und einer Polizistin ist schwer – viele sehen Dinge, die wir Bürgerinnen und Bürger, wenn überhaupt (und Gott bewahre uns vor mehr) ein oder zwei große vehemente Erfahrungen erleben müssen. Für diese Berufsgruppe aber gehören Gewalt, Übergriffe und Verletzungen zu ihrem Alltag. Mich hat das, was ich in der Polizeiseelsorge höre und mit begleite, sehr demütig gemacht. Meine seelsorgerliche Begleitung in der Polizei, die vor über neun Jahren in New York ehrenamtlich begann und zu meiner gegenwärtigen Tätigkeit in der Bundespolizei führte, hat meinen eigenen seelsorgerlichen Horizont sehr erweitert.

Als ich das erste Mal vor meinem Büro stand, musste ich schmunzeln, denn die Zimmernummer trug die europaweite Notrufnummer 112. Ich hatte keine Ahnung, dass diese Nummer so gut zu meiner Tätigkeit im AFZ Bamberg passen würde. Wie stimmig die 112 ist, weiß ich nun einige Jahre später.

Auch in der Bibel gibt es eine Notfallnummer, die aber etwas länger ist: 5015. In Psalm 50 heißt es:

Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten, und du sollst mich preisen.

Psalm 50,15 (LUT)

Schon bald in meinem Dienst in Bamberg versuchte ich aufgrund der bewegenden Begleitungen einen gangbaren Mechanismus für mich zu finden. Denn das, was mir anvertraut wurde, nagte manchmal schwer in mir. Nach einiger Zeit war es Sport kombiniert mit dem Gebet als einem „Notruf“, die mir halfen. Ob Tartanbahn im AFZ oder Fitnessstudio, nach einiger Zeit kommt mein Körper durch die seit langem eingeübten Bewegungen zur Ruhe und mit ihm auch Geist und Seele. An dieser Schnittfläche öffnen sich meine Gedanken und mein Herz zum Gebet, das Gott das mir Anvertraute übergibt. Denn bei vielem kann ich nur zuhören, begleiten und einfach da sein. Dies sind für mich in meiner beruflichen Identität als Seelsorgerin menschliche Grenzerfahrungen, die ich erlebe, wenn ich andere in deren Grenzsituationen begleite, die sie im Dienst erleben müssen. Durch Sport und Gebet verharre ich nicht in der Hoffnungslosigkeit, sondern lege alles Leid und allen Schmerz, der mir als Seelsorgerin anvertraut wird, in Gottes Hände. Dafür bin ich dankbar und ohne diesen Mechanismus der göttlichen Notfallnummer könnte ich meinen Dienst nicht verrichten. Der Psalm drückt die Reaktion des Menschen auf eine solche Möglichkeit etwas antiquiert als „Preisen“.

Inzwischen wurden meine Schritte langsamer und gingen in ein schnelles Gehen über, während mein Atem anfing sich zu beruhigen. Mein Körper hatte die durch das Seelsorgegespräch ausgelösten Aggressionen abgebaut. Meine Gedanken waren wieder klar und mein Herz aufgrund des Gebetes ruhig. Nach einer Dusche würde ich wieder bereit sein für die nächsten dienstlichen Herausforderungen. Ich nickte einigen Polizeimeisteranwärterinnen und -anwärtern, die gerade die Tartanbahn zum Sport betraten, aufmunternd zu und erfreute mich an ihrem herzlichen Grüßen. Ob im übertragenen Sinn 112 oder 5015 – da ist jemand, der zuhört und da ist. Entweder im Auftrag Gottes oder ganz direkt.


Bitte vergessen Sie nicht, dass Sie in schweren Situationen nie allein sind. Für viele Gläubige ist das Gebet der Ort, an dem die Last abgegeben werden kann. Aber manchmal versagt die Stimme unseres Herzens und wir brauchen eine Person, die uns zuhört und Zeit für unsere Sorgen und Nöte hat

In Oberfranken sei Ihnen die Nummer der Telefonseelsorge Oberfranken ans Herz gelegt. Alle Telefonseelsorgestellen sind über das deutsche Festnetz und per Handy gebührenfrei, vertraulich und anonym erreichbar. An 365 Tagen können Sie rund um die Uhr unter folgender Telefonnummer ein Person erreichen, die Ihnen zuhört:

0800/1110111 und 0800/1110222

Dabei können Sie sich darauf verlassen, dass alle Anrufe anonym und vertraulich sind. Ihre Rufnummer erscheint nicht auf dem Display und alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unterliegen so wie ich als Polizeiseelsorgerin der Schweigepflicht.

Ramadan-Kalender und Polizeiseelsorge interreligiös

Eilig füllte ich meinen Einkaufskorb mit allerlei Drogerieprodukten. Shampoo, Duschgel, einige Putzmittel… Ich versuchte mich strikt an meinen Einkaufszettel zu halten und huschte an den sonst so attraktiven saisonalen Auslagen vorbei. Heute würden Dekorationen für das herannahende Osterfest in meinem bereits vollen Einkaufskorb keinen Platz finden!

Kaum hatte ich die Objekte der Versuchung erfolgreich umschifft und mich an der Kasse angestellt, schweifte mein Blick unweigerlich beim Warten über die geschickt platzierten Waren im Kassenbereich. Dabei blieb mein Blick wie magisch angezogen an einer Verkaufsauslage für Kalender kleben. Ich blinzelte mehrmals. Es handelte sich nicht um einen Adventskalender, der die Vorfreude auf Weihnachten und das Warten auf das große Fest verschönern würde- nein, für mich als Pfarrerin war ja schließlich vorösterliche Fastenzeit – sondern um einen Ramadan-Kalender.

Genau das Richtige für meine muslimischen Auszubildenden, bei denen der Ramadan zwei später beginnen würde! Ich nahm einen Kalender aus der Auslage und verstaute ihn glücklich seufzend meinen tapferen Entschluss vergessend, im überquellenden Einkaufskorb.

Nur wenige Tage zuvor hatte eine Polizeimeisteranwärterin mutig davon gesprochen, wie schwer es als Muslima war sich „halal“ in Deutschland zu ernähren. Ich war stolz auf meine Schülerin, die von ihren und den Schwierigkeiten anderer angehender Polizeikolleginnen und -kollegen erzählt hatte. An meinem letzten Dienstort in New York war es selbstverständlich gewesen, sich auf die Ernährungsbedürfnisse der unterschiedlichen Glaubensgeschwister einzustellen. „Halal“ und „kosher“ waren dort in jeder Kantine, an jedem Buffet (in Restaurants sowie so) eine Selbstverständlichkeit. Auch ich hatte bei Veranstaltungen stets neben dem bunten Vielerlei an Speisen, die Christinnen und Christen essen konnten, Essen bereitgestellt, das für muslimische und jüdische Glaubensgeschwister zulässig und erlaubt war. Für mich ein praktischer Ausdruck des Gebots der Nächstenliebe, das meinen Glauben als Grundlage trägt.

Als ich den Ramadan-Kalender in einem deutschen Drogeriemarkt sah, ging mir daher das Herz auf. Ich wollte meiner mutigen Polizeischülerin eine kleine Freude machen und ihr damit zeigen, dass sie und andere muslimische Kolleginnen und Kollegen wertgeschätzt und von „ihrer“ Polizeiseelsorgerin in ihren Bedürfnissen wahr und ernst genommen würden.

Polizeiseelsorge ist für alle da. Ob ohne oder mit Glauben. Christlich. Muslimisch. Jüdisch. Hinduistisch. Buddhistisch. Shintoistisch. …

Dort, wo eine Kollegin oder ein Kollege Hilfe, Rat und Tat benötigt, da ist Polizeiseelsorge präsent.

Zwei Tage später übergab ich den Ramadan-Kalender verbunden mit der Anweisung, den Kalender und dessen dreißig Türchen mit anderen muslimischen Kolleginnen und Kollegen zu teilen. Fast fühlte ich mich selbst umgeben von christlicher und muslimischer Fastenzeit wie ein kleines Kind, das nicht erwarten kann, den Adventskalender zu öffnen.

Nächstenliebe ganz praktisch und interreligiös. Für mich eine Kernaufgabe von Kirche und Seelsorge.

Probieren Sie es doch selbst einmal aus! Ich kann Ihnen versprechen: es macht glücklich in den muslimischen Nächsten als christliche Glaubensschwester die Freude über die erlebte Annahme und des Verständnisses strahlen zu sehen.

Von Rettungsorchideen und Seelsorge

Leises Quietschen begleitete mich, während ich meinen noch leeren Einkaufswagen durch die ersten Regalreihen des großen lokalen Supermarktes schob. Ein Austausch des Hilfsgefährtes würde bedeuten, dass ich komplett durch den Markt gehen müsste, zurück auf den Parkplatz, um ihn dort auszutauschen. Ich seufzte leise und schüttelte den Kopf während ich den Gedanken schnell wieder verwarf. Gleichzeitig fiel mein Blick auf ein Regal angefüllt mit Cambria- und Phaleonopsis-Orchideen. Zwischen all der bunten Blumenpracht stach eine Orchidee hervor, die mit einem roten Aufkleber und einem Sonderpreis versehen war. Vorsichtig zog ich sie zwischen all den in voller Blüte stehenden Pflanzen hervor. Im Gegensatz zu den anderen Orchideen waren bei ihr bereits viele Blüten eingetrocknet, einige lagen abgefallen auf dem Boden des Pflanzentopfes. Umgehend beschloss ich, dieser von Vertrocknen gefährdeten Orchidee eine Chance zu geben. Mit etwas Pflege und Zeit könnte sie wieder zum Blühen gelangen. Ich stellte sie behutsam in den Einkaufswagen, der nun nicht nur leise vor sich hin quietschte, sondern ebenfalls eine käuflich erwerbbare, aber auch in diesem Sinne defizitäre Fracht in sich barg.

Eine Verkäuferin, die im daneben stehenden Regal Pflanzen sortierte, sah mir verwundert zu. „Kaufen Sie doch für ein paar wenige Euro mehr eine schöne, gesunde Pflanze.“ Sie deutete auf eine große prächtige Orchidee in Weiß. „Die hier wird sie mehr erfreuen und noch lange halten. … Die Sie ausgesucht haben, wird sowie so auf dem Müll landen. Bei uns oder bei ihnen. Sie ist der Mühe nicht wert.“ Ich sah sie erstaunt an, dankte ihr leise für den nicht gewollten Rat und verabschiedete mich kurzsilbig.

Der Mühe nicht wert…

Seit wir in unsere Bamberger Wohnung gezogen waren, hatte ich das erste Mal ein für Orchideen wunderbar geeignetes Fenster, das die richtige Menge an Tageslicht aufwies und deren Umgebung auch eine höhere Luftfeuchtigkeit aufwies. Optimale Bedingungen für diese prachtvollen Pflanzen, die für mich ein solch bemerkenswerten und anmutigen Teil von Gottes Schöpfung darstellen. In den letzten Monaten hatte ich die Leidenschaft entdeckt, Orchideen, die in Geschäften als „Ausschussware“ gekennzeichnet worden waren und, wenn sie innerhalb kürzester Zeit keinen Käufer fanden, auf dem Müll landeten, zu erwerben und soweit zu pflegen, dass sie sich wieder stabilisierten. Im Optimum würden sie auch wieder blühen und so ihrer von Gott bestimmten Aufgabe nachkommen – Pracht und Anmut in eine oft graue und eintönige Welt zu bringen.

Was ich dort im Kleinen und Unscheinbaren meiner Bamberger Wohnung tue, ist ein Ausdruck dessen, was Seelsorge an der einen oder anderen Stelle aus meiner Sicht versucht zu leisten:

  • für die da zu sein, die Gefahr laufen zu vertrocknen
  • für die da zu sein, deren prächtiges Blühen vor Verzweiflung, Sorgen oder Druck verblasst und verdorrt
  • für die da zu sein, die nicht mehr dem festgelegten Standard aus Not, Anspannung oder physischer oder psychischer Konstitution entsprechen können, dadurch vielleicht nicht mehr so leistungsfähig sind und schnell am Arbeitsmarkt als „Ausschussware“ gelten

Seelsorge ist die Sorge um Menschen, die ihn oder sie als ein Geschöpf Gottes sieht und über das hinausblickt, was vor Augen ist. In der Seelsorge geht es nicht um Funktionsfähigkeit, Wirtschaftlichkeit, Profit – ein Mensch soll nicht, wie dies leider in manchen Bereichen unserer Gesellschaft geschieht, mit einem roten Preisschild versehen werden und dann schließlich, wenn er oder sie sich nicht erholt, auf dem Müll landen.

Seelsorge soll Gottes heilende Kraft und vor allem Seine Zusage, dass Er da ist trotz oder gerade in all den Schwierigkeiten, für die in Not geratene Person erfahrbar machen.

Nicht bei jeder Rettungsorchidee gelingt es mir, ihr wieder zu dem blühendem Leben zu verhelfen, das der Schöpfer für sie vorgesehen hat. Aber bei jeder Pflanze, die neue Blütentriebe bildet und schließlich mit zarten Blüten mein Orchideenfenster schmückt, jubiliere ich über Gottes heilende Kraft. Wieviel mehr ist es bei einer Person, die nach einer seelsorgerlichen Begleitung gestärkt ihren Lebensweg geht.

Meine kleine Rettungsorchidee hat nach wochenlanger Pflege drei Blütentriebe gebildet, an denen sich erste zarte Knospen abzeichnen.

Es war durchaus der Mühe wert. Für sie und jede Person, die ich begleiten darf.

Von Kreuzen auf Schultern und an Wegesrändern

Inzwischen fühlt es nach zweieinhalb Jahren fast wie Routine an, wenn ich an meiner Dienstbluse die dunklen Schulterklappen befestige, auf denen jeweils ein goldenes Kreuz abgebildet ist. So oft wie in meiner Berufung zur Polizeiseelsorgerin habe ich noch nie so öffentlich sichtbar ein Kreuz getragen. In der Freizeit hingegen gestaltet sich dies für mich dezenter – manchmal als kleiner Anhänger, manchmal als winziger Ohrring.

An diesem strahlenden Sommersonntag brach ich zu einer kleinen Erkundungstour in der fränkischen Schweiz auf, um etwas Abstand von all dem zu erlangen, was ich die Woche über als Polizeiseelsorgerin gehört und mit erlebt hatte. Kein Kreuz auf der Schulter, kein Ohrring, kein Kreuzanhänger. Dafür umgeben von meiner Familie. Ziel war eine kleine Erkundung und Wanderung vom Gügel zur Giechburg, die über dem Tal mit Blick bis nach Bamberg thront und fast wie ein Tor zur nördlichen fränkischen Schweiz wirkt.

Doch dem Kreuz an sich kann keiner entfliehen – weder im literalen, noch im übertragenen Sinn. Das wurde mir in überraschender Weise auf dieser kleinen sonntäglichen Wanderung bewusst als uns auf dem Weg zur Wallfahrtskirche und dann weiter zur Giechburg ein wunderschöner Kreuzweg Etappe um Etappe begleitete.

In meiner seelsorgerischen Tätigkeit begleite ich Menschen, ob lebensreif oder jung, berufserfahren oder Anfänger, in deren Arbeit für die Bundespolizei oder während der Ausbildung zum Polizisten und der Polizistin. Die Arbeit dort hat mich sehr demütig werden lassen in all dem, was ich höre und vertrauensvoll mit begleiten darf. Viele müssen privat oder beruflich schweres erleben und manchen stößt sogar so viel zu, dass sie drohen, daran zu zerbrechen. An diesen Kreuzen kommen sie nicht vorbei und ich stehe manchmal unter diesem Kreuz und versuche mit auszuhalten, was sie erleben müssen.

Station um Station begleitete uns der Leidensweg Jesu auf unserer Wanderung als plötzlich ein Gedicht die Gedanken in zutreffliche Worte goß. Die Weisheit des Gedichts sprach von den Erfahrungen, die ich persönlich gemacht habe, aber auch als Polizeiseelsorgerin begleitete: Ja, am Kreuz kommt keiner vorbei. Aber als Christin fühle ich mich getragen davon, dass Christus das Kreuz nicht fremd war und uns im Hadern und den Schmerzen versteht- immer mit dem Blick auf die hoffnungsvolle Ewigkeit gerichtet. Wenn wir als Christen das Leid mit aushalten, dann wird mitten in dieser schweren Situation der Hoffnung symbolisch durch die geschenkte Begleitung Raum gegeben.

  1. Am Kreuz kommt keiner vorbei,

an den vielen Feldern und Wegen,

errichtet der Dankbarkeit wegen,

als Trost in der Not uns zum Segen.

2. Am Kreuz kommt keiner vorbei,

mag mancher lästern und scherzen,

voll Zorn und Missmut im Herzen,

das Leben birgt Glück und birgt Schmerzen.

3. Am Kreuz kommt keiner vorbei,

auch wenn wir’s verstecken, verschweigen,

selbst wenn wir es fliehen und meiden,

wir reifen oft mehr noch durch Leiden.

4. Am Kreuz kommt keiner vorbei,

keiner war jemals davon ausgenommen,

woher wir auch immer kommen,

oft trifft’s grad die Guten und Frommen.

5. Am Kreuz kommt keiner vorbei,

nicht Ansehn, nicht Geld und nicht Macht

haben jemals es fertig gebracht,

dass einer im Leben nur lacht.

6. Am Kreuz kommt keiner vorbei,

und mögen wir uns drehen und winden,

wir werden das Leben nur finden,

wenn wir uns im Teilen verbünden.

7. Am Kreuz kommt keiner vorbei,

und keiner kann sich’s ersparen,

sei’s in frühen oder späteren Jahren,

im Kreuz wird das Leben erfahren.

8. Am Kreuz kommt keiner vorbei,

und niemand kann es abwehren,

nicht abwerfen, nur noch erschweren,

wenn wir nicht Mittragen lernen.

9. Am Kreuz kommt keiner vorbei,

ein Zeichen auch unseres Lebens,

ein Baum des Reifens und Segens;

denn ER starb für uns – und nicht vergebens.

10. Am Kreuz kommt keiner vorbei,

wo immer wir es verehren

solls die Hoffnung auf Leben vermehrten,

selbst der Tod kann es uns nicht verwehren.

Martin Seidenschwang

Aus der Sicht einer Polizeiseelsorgerin: Von Protesten, Gleichaltrigen und dem Wunsch nach Menschlichkeit

Ich schüttelte die neueste Ausgabe der Zeit mit einem routinierten Ziehen zurecht, um die voluminösen Seiten gerade zu ziehen. Dann versank ich wieder in der neuesten Ausgabe der ZEIT. Doch kaum hatte ich die erste Seite umgeblättert, drängten abrupt die großen Baggerschaufeln des Kohleabbaus am Dorf Lützerath und die Geschehnisse rund um das gegenwärtig zu räumende Dorf in die Stille meines Wohnzimmers. Nachdenklich folgte ich den Worten der Autorin, die einen jungen 17-jährigen Klimaaktivisten mit dem Decknamen Taco und dessen Familie begleitet hatte und nun davon berichtete. Ihre Worte waren einfühlsam und ausgewogen. Immer wieder blieb ich im Text an dem Alter des jungen Mannes hängen, das dem vieler Polizeimeisteranwärterinnen und -anwärtern entsprach, die ich in meiner Lehrtätigkeit begleiten durfte.

Die Worte des letzten Absatzes gingen mir nicht aus dem Kopf:

[…] Taco hat sich entschieden: Er will bleiben, die Räumung in Lützerath abwarten. Sollte die Polizei ihn vom Gelände tragen werde er sich nicht wehren. […]

Her mit der Kohle. Vermummte werfen Steine, Väter besorgen ihren Söhnen Gummistiefel fürs Demonstrieren. Wie gewaltbereit ist der Protest in Lützerath, von Laura Cwiertnia, aus: DIE ZEIT Nº 3, 12. Januar 2023

Immer und immer wieder las ich sie. Fiktive, aber durchaus realistische Gedanken gingen mir durch den Kopf. Was, wenn sie aufeinandertreffen würden? Ein siebzehnjähriger Klimaaktivist und ein siebzehnjähriger Polizeischüler? Im zweiten Lehrjahr durchlaufen die Auszubildenden verschiedene Praktika und kommen dort, um in ihre Tätigkeit hineinzuwachsen, mit Bürgerinnen und Bürgern in sehr unterschiedlichen Situationen und an verschiedenen Orten Kontakt.

Wie viel Verständnis würde auf beiden Seiten wachsen, wenn sie einander jenseits eines Konfliktes begegnen würden? Wenn sie im jeweils anderen die Menschlichkeit entdecken dürften?

Es ist ein unglaubliches Spannungsfeld, in das diejenigen, die ich in der polizeilichen Ausbildung begleiten darf, hineinwachsen müssen. Oft sehen sie bereits in jungen Jahren Dinge, die andere Erwachsene selten bis nie sehen werden. Gewalt hinterlässt Spuren. Eine Uniform mag vor dem Schlimmsten einen relativen Schutz bieten, aber die Spuren in der Seele kann auch eine Körperschutzausstattung nicht verhindern.

Was wäre, wenn man mehr Begegnungsfläche für beide Seiten schenken könnte? Wenn junge Klimaktivistinnen und -aktivisten mit jungen Polizeimeisteranwärterinnen und -anwärtern zu Gesprächen und einem Kennenlernen der jeweils anderen Seite zusammen kämen? Vielleicht würden sie ja viel Gemeinsames entdecken. Oder in so mancher schwieriger Situation diese Erfahrung dabei helfen, dass es zu keinen massiven, gewaltbereiten Auseinandersetzungen kommen würde.

Wünschen würde ich es Taco und meinen Polizeischülerinnen und -schülern, denn als Seelsorgerin habe ich Angst. Um beide. Nicht umsonst fragt sich die Autorin ohne eine Seite im Untertitel genau zu benennen:

Wie gewaltbereit ist der Protest in Lützerath?

Als Pfarrerin kann ich jenseits jeglicher politischer Diskussion um Lützerath für die involvierten Personen nur hoffen, dass die durch die Politik angeordnete Räumung des Dorfes und das dadurch ausgelöste Demonstrationsgeschehen so friedlich wie nur irgendmöglich bleibt. Zum Wohle aller.

Ich seufzte tief und schlug die Zeitung mit einem energischen Ruck zu. Die nächsten Tage würden zeigen, ob es überwiegend friedlich bleiben würde.

Von bärigen Symbolen und Hilfe für die, die helfen

Vorsichtig faltete ich die kleinen Hände um die Mandel und drückte sie sanft fest. Dann stach ich den nächsten Bären aus dem kalten Butterplätzchenteig aus. Während sich mein Backblech langsam mit einem Teil der Plätzchen-Hundertschaft für meinen Dienstort in der Bundespolizei füllte, wanderten meine Gedanken in eine längst vergangene Zeit.

Noch gut kann ich mich an eine amerikanische Comic-Sendung erinnern, in der „Care Bears“ (dt.: Glücksbärchis) als kuschelige Wesen sich um das Wohl von Menschen bemühten. Dort, wo die kleinen Bärchenplätzchen eine Mandel umarmten, trugen die Bären ein Symbol auf dem Bauch, das für die Gabe des jeweiligen Bärchen stand. Waren Menschen, und vor allem Kinder, in Schwierigkeiten geraten, so halfen sie mit ihrer jeweiligen Gabe.

Am Anfang meiner Tätigkeit bei der Bundespolizei stolperte ich über ein ganz anderes Bärenbild. Als ich vom Begriff des „Bärenführers“ erfuhr, war ich sehr verwundert. Aus der mittelalterlichen Geschichte hatte dieses Bild für mich eine durchaus negative Konnotation. Ein Bärenführer zähmte damals den wilden Bären und zwang ihn zu Tätigkeiten, die weder naturgemäß noch artgerecht waren. Die „Bärenführer“, die ich jedoch bei der Bundespolizei erlebt habe, wiesen die jungen Kolleginnen und Kollegen als erfahrene Vorgesetzte aufmerksam in die neue Tätigkeit als Polizistinnen und Polizisten im Praktikum ein und waren darauf bedacht, dass es dem anvertrauten Nachwuchs gut ging.

Ich schüttelte den Kopf, während ich das nächste Backblech voller Bären in den heißen Backofen schob. Was für „bärige“ Gedanken… Ich beschloss das Symbol des Bären als eines der Sorge und der Zuneigung zu deuten. Denn dies durfte ich vielfach am größten polizeilichen Aus- und -fortbildungszentrum der Bundespolizei erleben: Lehrende, die sich um den polizeilichen Nachwuchs kümmern und dort engagiert ihren Dienst tun. Die Seelsorge ist ein Teil dieser Sorge und ist gerne für die helfend da, die anderen helfen. Kurzerhand entschloss ich „Care Bären“ zu backen und als kleine „bärige“ Zeichen dieser Sorge weiterzugeben. Das Ergebnis könnt ihr hier sehen:

Ein herzliches Dankeschön an das Team der Druckerei des AFZ Bamberg, das mich bei der Umsetzung dieser Idee mit Rat und Tat unterstützt hat. ❤️

Explodierende Kätzchen, Interventionen, Polizeiseelsorge & Co.

Etwas blechern, aber dadurch noch amüsanter strömte mexikanische Volksmusik aus der kleinen Kartenverpackung. Ich schaukelte vergnügt vor mich hin während ich meiner Tochter dabei zusah, wie sie die Karten für das in unserer Familie beliebtes Kartenspiel „Exploding Kittens“ an die um den Küchentisch versammelten Personen verteilte.

Die verrückten Regeln des Spiels hatten es unserer Familie angetan! Wo sonst gab es eine freundlich grinsende Taco-Katze, mit der man anderen eine Karte stehlen oder eine Einhorn-Enchilada, mit der man die Zukunft des Kartenstapels auskundschaften konnte? Und mit etwas Glück konnte man das spielerische Gegenüber einfach so explodieren und damit aus dem Spiel werfen. Geschützt war man gegen diese aggressiven Angriffe nur durch die „Defuse“-Karte.

Das verrückte Kartenspiel ist seit Monaten der absolute Spielhit, doch seit einigen Tagen hat besonders die Schutzkarte eine wichtige Bedeutung für mich. „Defusing“ ist in eine wichtige Technik im Bereich der psychosozialen Notfallversorgung für Einsatzkräfte, die nach einem potentiell belastenden Ereignis als wichtiges Angebot für die Begleitung professionell verankerter Berufsgruppen verwendet werden kann. Diese kurze Nachbesprechung ist wichtig, damit Einsatzkräfte das Erlebte zuordnen und den Weg einer Bearbeitung des Ereignisses beginnen können.

In dieser Woche durfte ich mit vielen besonderen und bereichernden Personen, die bei der Feuerwehr, Polizei, Zoll, im Transportbereich und der Notfallseelsorge tätig sind, diese und andere Techniken durch einen Kurs der „Bundesvereinigung für Stressbearbeitung nach belastenden Ereignissen e.V.“ erlernen. Kursleiter Oliver Stutzky half uns Schritt um Schritt in die Einsatzbegleitung und Nachsorge nach belastenden Ereignissen hineinzuwachsen. Für mich war es ein segensreiches Umdenken, das meine pastorale Praxis nun als Seelsorgerin in der Bundespolizei neu ausrichtet.

Durch „Defusing“ & Co. wird bei Einsatzkräften dafür gesorgt, dass das Lebenshaus nicht wie in der Karte unseres Spiels am heimischen Küchentisch explodieren, sondern dass sie den heilsamen Weg einer Verarbeitung beschreiten können.

Vor diesem Kurs habe ich die hellgrüne „Defuse“-Karte erleichtert, aber doch etwas leichtfertig schmunzelnd ausgespielt. Ab dieser Woche wird das Schmunzeln nun von einer Dankbarkeit für eine neue Methode und Menschen wie Oliver Stutzky verbunden sein, die sie lehren, damit Einsatzkräfte gut begleitet durch schwere Zeiten gehen können.