Gedanken einer Polizeiseelsorgerin
Grußwort zum Internationalen Tag des Holocaust-Gedenken, Israelitische Kultursgemeinde Bamberg
Das folgende Grußwort habe ich im Rahmen der Gedenkveranstaltung anlässlich des Internationalen Tages des Gedenkens an die Opfer des Holocausts in der Israelitischen Kultusgemeinde Bamberg gesprochen. Es sind persönliche Perspektiven, einer Polizeiseelsorgerin, die nicht nur das Gedenken, sondern auch die Tätigkeit angesichts schwieriger gesellschaftspolitischer Entwicklungen in den Mittelpunkt stellt:
(Es gilt das gesprochene Wort)
Die Zeit vergeht wie im Flug. Vor drei Jahren saß ich im Flugzeug und sah gespannt aus dem Fenster während meine alte Heimat New York immer kleiner wurde und schließlich unter den Wolken verschwand. Unendlich viele Gedanken gingen mir durch den Kopf während ich eine Stadt und ein Land hinter mich ließ, das fast sieben Jahre meine Heimat war.
Besonders schmerzhaft war es, meine jüdische Freundin Pam, ihre so wunderbar engagierte jüdische Tafel und ihre Synagoge, die mir eine geistliche Heimat geworden war, zurücklassen zu müssen.
Tröstlich für uns beide war der Grund meines Rückzuges nach Deutschland – ein Auftrag, zu dem ich berufen worden war: im größten bundespolizeilichen Aus- und Fortbildungszentrum als Seelsorgerin die nächsten Generationen von Polizeimeisteranwärterinnen und -anwärterinnen nicht nur zu begleiten, sondern sie innerhalb des Faches Berufsethik zu wappnen, um gegen Antisemitismus, Rassismus und jegliche Form des Extremismus vorzugehen und als Hüterinnen und Hüter unser Grundgesetz gegen jedweder Angriffe tätig zu schützen.
Es waren Tränen der Trauer, aber auch der Zuversicht, die damals flossen, denn wir beide wussten aufgrund der Geschehnisse in USA, wie notwendig dies war. Dort hatten wir gemeinsam die sehr diskutable Trump-Administration durchlebt, gingen gemeinsam zu hunderttausenden aufgrund eines antisemitischen Anschlages in New Jersey auf die Straßen und setzten Zeichen gegen diese schlimme, mörderische Irrlehre, die unverhohlen in einer der ältesten Demokratien zu Tage trat, durch Wort und Tat. Damals war ich froh und dankbar, dass dies in Deutschland nicht so war. Doch um dem vorzuschützen drang ich zu einer Rückkehr, um im Herzen der Demokratie die zu wappnen, die für sie im Extremfall einzustehen hätten: Polizistinnen und Polizisten in der Bundespolizei.
Aber die Zeit vergeht wie im Flug. Drei Jahre sind so schnell ins Land gegangen und was ich vorher als Prävention betrachtete, die eine weit weg stehende, vielleicht sogar in Deutschland eher unwahrscheinliche Variante von besorgniserregenden Geschehnissen betrachtete, trat nun sichtbar in unserem Land die Öffentlichkeit:
mit der Enthüllung einer Zusammenkunft rechter Kräfte in der Villa Adlon am Lehnitzsee in Potsdam am 25. November 2023 wurde bittere Realität, was ich befürchtet hatte und daher mit Bildung dagegen vorgehen wollte.
Während ich den Berichterstattungen lauschte, wurde Anklänge an die lang vergangene Geschehnisse umgehend vor meinem inneren Auge wach. Vielleicht ging es Ihnen ja genau so wie mir?
Damals, am 20. Januar 1942, waren hochrangige Vertreter des NS-Regimes zu einer Besprechung in einer Villa in Berlin-Wannsee zusammengekommen, die als Wannsee-Konferenz in die Geschichte einging, um ihren mörderischen Plan zu vereinbaren, auszuarbeiten und schließlich umzusetzen.
Aus meiner Sicht ein wahrer Alptraum.
Die Analogien haben viele aufgeschreckt und zu Demonstrationen auf die Straßen Deutschlands gegen das menschenverachtende Gedankengut gesandt. Ich bin dankbar um diese wichtigen Zeichen der Demokratie – denn mit dem Grundgesetz ist das Demonstrationsrecht in Art. 8 GG gesichert. Ich kenne eine Reihe von Pfarrkolleginnen und -kollegen, die das erste Mal dieses Recht in Anspruch nahmen und an einer der Demonstrationen gegen rechts teilnahmen. Auch ich war selbstverständlich Teil dieser Zeichensetzung, so wie ich es in meiner New Yorker Zeit gegen Antisemitismus, Rassismus und andere Formen des Hasses war. Noch gut erinnere ich mich an eine Demonstration, wo wir zu hunderttausenden über die Brooklyn Bridge marschierten, um gegen den unverhohlenen Antisemitismus, der in der Amerikanischen Gesellschaft zu Tage getreten war, mit meiner Partnerorganisation American Jewish Committee ein unübersehbares Zeichen zu setzen: wir sind viele und eine Mauer gegen Hass! Was damals so war, erlebte ich nun hier in Bamberg ebenso.
Dennoch bin ich als Pädagogin, Ethikerin und Pfarrerin der Meinung, dass es mehr bedarf als Zeichen der Solidarität. Bildung ist die wichtigste Waffe, die wir haben, um die gegenwärtigen und kommenden Generationen zu stärken und für unseren Kampf um Demokratie, Menschenrechte und ein Grundgesetz, das alle schützt, zu gewinnen.
Nie wieder darf geschehen, was im damaligen mörderischen NS-Regime geschah. Über 6 Millionen Menschen wurden brutal ermordet. Aber auch dies ist nicht nur das dunkelste Kapitel unserer Menschheitsgeschichte, sondern es wird seit dem 7. Oktober weitergeschrieben!
Nie wieder darf geschehen, was am 7. Oktober durch den brutalen Überfall der Hamas und deren Morden geschehen ist. Ich habe keine Worte für diese Geschehnisse – aber für mich sind sie eine Fortsetzung des Holocaust und zwar auf dem Boden des Heiligen Landes, das eigentlich ein Schutzort und eine sichere Heimat für Jüdinnen und Juden sein soll.
Die evangelische Seelsorge in der Bundespolizei steht mit ihren Seelsorgerinnen und Seelsorgerinnen im gesamten Bundesgebiet und wir als Bundespolizeiaus- und -fortbildungszentrum vor Ort hier in Bamberg dafür ein,
dass Menschenhass mit keinem Wimpernschlag, keiner Geste geduldet wird,
dass Mord und Qual aufgrund von Religion, Abstammung und Nationalität keinen Ort in unserem Land hat,
dass unser Grundgesetz, das zum Mittelpunkt die Menschenwürde hat, geschützt und als für alle gleichermaßen gültig umgesetzt wird.
Dies habe ich nicht nur damals als ich New York verließ, meiner jüdischen Freundin versprochen, sondern dem bin ich als deutsche Staatsbürgerin zutiefst verpflichtet. Wir stehen mit Israel und verurteilen jegliche Form des Antisemitismus, Rassismus und Extremismus. Unsere Hauptwaffe hierbei ist Bildung, die jeder angehende Polizist und Polizistin erhält.
Lassen Sie uns daher zusammenstehen – Zeichen der Solidarität und der aktiven Geschwisterlichkeit nicht nur punktuell setzen, sondern es durch unser Leben und Handeln weben.
Am Israel Chai.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Pfarrerin Miriam Groß, IKG Bamberg, 28.1.2024


















