Vom Ringen um Recht und Gerechtigkeit – eine bewegende Fahrt im Orient-Express

Gespannt hielt ich den Atem an, während der belgische Detektiv Hercule Poriot zu den Schlussworten der Inszenierung des wohl bekanntesten Romans von Agatha Christie ansetzte. Ich kannte den Verlauf dieses Krimis aufgrund seiner vielfachen Inszenierung und Verfilmung recht gut. Doch dieses Mal mitten im wunderschönen mittelfränkischen Feuchtwangen riß mich die turbulente Fahrt im Orient-Express in atemberaubender Weise mit.

Als ich wenig später neben Gerd Lukas Storzer, der die Hauptfigur des Detektivs spielte, sowie dem Intendanten Johannes Kaetzler und Dramaturgin Dr. Maria Wüstenhagen als Teil eines Diskussionspanels Platz nahm, wurde mir mulmig. Sie hatten in solch vorzüglicher Weise ein Thema mit der lockeren Heiterkeit und notwendigen Tiefe umgesetzt, das mich seit Jahrzehnten in meinem Dienst als Pfarrerin und Seelsorgerin umtreibt: das Ringen um Recht und Gerechtigkeit.

(Bilder: Barbara Becker)

Barbara Becker, MdL und Herbert Lindörfer hatten mich in meiner Funktion als Pfarrerin und Polizeiseelsorgerin an diesem Nachmittag des EKA Bayern zur Mitgestaltung der nachfolgenden Diskussion eingeladen.

Zugegebener Maßen stockte mir am Anfang die Stimme, denn mein Herz war noch ganz in der Inszenierung gefangen während mehrere dienstliche Erinnerungen gleichzeitig präsent wurden. Dass ich gegenwärtig in der Bundespolizei als einer Sicherheitsbehörde arbeite, liegt an den vielen Erfahrungen in der Begleitung von Menschen, die sich in diesem Ringen um eine bessere Gegenwart und Zukunft befinden. Privatpersonen, die von einem Mord, von Vergewaltigung und Übergriffen betroffen waren. Polizistinnen und Polizisten, Ermittlerinnen und Ermittler, die diese Situationen aus- und im Namen der Gerechtigkeit durchhalten mussten. Aber auch diejenigen, die diese schlimmen Taten vollbracht haben, waren ebenso in meiner seelsorgerlichen Betreuung gewesen. Innerhalb meines Berufsweges habe ich viele Menschen begleitet, die sich auf dem Grat von Recht und Unrecht aus dem einen oder anderen Grund bewegten. Seit meiner Rückkehr aus New York, USA tauche ich nach fünfeinhalb Jahren ehrenamtlicher Seelsorge bei der NYPD als Pfarrerin hauptamtlich in eine Sicherheitsbehörde ein. Diese Erfahrung lehrt mir Respekt und dankbare Demut. Denn vieles, was die mir anvertrauten Polizistinnen und Polizisten mit begleiten und durchleben, werden wir Bürgerinnen und Bürger kaum oder (hoffentlich) gar nicht erleben.

Recht und Gerechtigkeit. Ein heikles Thema. Durch Agatha Christies unnachahmliches Genie wird dieses Thema im Orient-Express auf eine surreal leichte Art und Weise transportiert. An diesem Nachmittag fieberte ich am traditionsreichen Festspielort mit und vergaß die Welt um mich herum während ich als blinde Passagierin unweigerlich hineingezogen wurde in eine sich vor mir entfaltenden Selbstjustiz.

Die Ermordung eines Mörders, der von der Justiz nicht belangt wurde, wurde an diesem Nachmittag in unnachahmlicher Weise mit einer leichten Prise von Humor und Witz inszeniert. Makaberer Weise handelt es sich im Kern um einen Fall von „doppelter Selbstjustiz“, denn im Verlauf nehmen nicht nur Mitreisende das Richten des Täters in die eigene Hand, sondern der Hauptdarsteller Poriot.

Was für einen Polizisten oder eine Polizistin undenkbar ist, da diese als Vertreter unseres Grundgesetzes zu rechtschaffenem Handeln verpflichtet und vereidigt sind, wird die Selbstjustiz in Agatha Christies „Mord im Orient-Express“ durch die Handelnden bewusst in die Hand genommen. Die Zuschauenden werden hierdurch zum eigenen Nachdenken gezwungen und der Frage ausgesetzt: Wie würde ich handeln? Und was ist Recht und Gerechtigkeit? Die Bibel setzt sich an vielen Stellen zentral mit diesem Thema auseinander und bietet Möglichkeiten, Antworten zu finden, wie sich dies in dem jüdischen Konzept von מִשְׁפָּט (Mishpat) und צדקה (Zedaka) niederschlägt. Die Bibel erzählt aber auch von Menschen, die Recht und Gerechtigkeit in eklatanter Weise brechen und z.B. durch das Handeln der Propheten und vor allem Jesu wieder in Gottes Auftrag zurückgerufen werden oder eine neue Chance erhalten.

Es ist ein schwerer Grad, auf dem sich diejenigen bewegen, die Recht umsetzen und für Gerechtigkeit sorgen müssen. Aber es ist auch eine Frage, derer wir alle nicht entkommen und uns stellen müssen: Sind unsere Handlungsweisen gerecht? Und als Christin ist mir das Doppelgebot der Liebe als Maßstab aufgegeben. So leicht dessen Formulierung sein mag, so schwer ist dessen tätige Umsetzung.

Ich seufzte zum einen erleichtert, zum anderen nachdenklich als Detektiv Hercule Poriot zu den letzten Sätzen des Stückes anhob:

„Mesdames et Messieurs, dieser Fall hat mich gelehrt, dass die Waage der Justizia nicht immer ausgeglichen sein kann. Und ich muss dieses eine Mal lernen, mit dem Ungleichgewicht zu leben. Es gibt hier keine Mörder, nur Menschen, die eine Chance auf Heilung verdient haben. Die Polizei hat meine erste Lösung des Falls akzeptiert, der einzelne Täter, der entkommen konnte. Ich verlasse hier den Zug für die restlichen Formalitäten. Mögen Sie hiermit Ihren Frieden schließen, mögen wir das alle.“

Während nun die Zugfahrt im Orient-Express mit diesen Worten mitten im beschaulichen mittelfränkischen Feuchtwangen beendet war, wurde ich mit einer unweigerlichen Wehmut umgeben: das Ringen um Recht und Gerechtigkeit ist so alt wie unsere Menschheit und wird weiter bestehen. So ist es wohl jeder Person aufgegeben, einer gerechteren Welt mehr Raum zu verschaffen. Ich sehe dies gegenwärtig in der Unterstützung derjenigen, die unser Grundgesetz vertreten und die Menschenwürde schützen. Ein anderer mag einen ganz anderen Ort für dies finden. Wichtig ist, dass wir uns gemeinsam für eine gerechtere Welt einsetzen. Denn das ist letztendlich Gottes Wille und Wunsch für uns.

Welch ein Segen, dass Frau Becker und Herr Lindörfer als engagierte Christen in der Politik mich und alle Teilnehmenden durch ihre Veranstaltung des EAK daran erinnerten.

(v.l.n.r.: Gerd Lukas Storzer, Miriam Groß, Barbara Becker, Johannes Kaetzler, Herbert Lindörfer; Bild: Barbara Becker)

Von Cartoons, Müllvermeidung und biblischen Geschichten

Vorsichtig trocknete ich die frisch abgespülten „Druckverschlusstüten“ ab. Aus Übersee hatten wir einige wenige Packungen dieser praktischen Haushaltshelfer mitgebracht. Nun aber gingen sie nach dreieinhalb Jahren langsam zu neige. Ich grinste in mich hinein während ich mit dem weichen Geschirrtuch die Ecken austrocknete. Meine Großmutter (Gott hab sie selig) würde jubilieren, denn was uns als Enkel vor über vierzig Jahren befremdlich vorkam, war nun Teil meiner Haushaltsroutine geworden: Plastiktüten, erst recht die wertvollen Druckverschlusstüten, mehrfach zu verwenden. Damals kugelten wir Enkel uns heimlich vor Lachen, denn wozu sollte man sich solche Mühe um eine gebrauchte Plastiktüte machen? Sie gehörte in den Müll – es gab ja schließlich genug neue zu kaufen. Müllvermeidung war damals, so bitter dies nun zu lesen ist, noch kein großes gesellschaftliches Thema.

Nicht schlecht staunte ich bei der Eröffnung der Ausstellung „Jetzt noch die Kurve kriegen“ der Stadt Bamberg als mir zum Thema Plastikmüll eine sehr eindrückliche Visualisierung entgegentrat, die mir mahnend vor Augen führte, wie wichtig Vermeidung von Müll ist:

Ein völlig verärgerter Jesus geht über ein verschmutzte Wasseroberfläche und tritt dabei eine alte Dose wütend in die Luft. Eine weiße Gedankenblase gibt dabei Einblicke in seine Gedanken: „Wenn kein Wunder geschieht, kann bald jeder übers Wasser laufen…“

Rainer Unsinn

Als Theologin und Familienfrau hat es mir dieser Cartoon von Rainer Unsinn angetan, denn für mich klingt im Cartoon eine biblische Geschichte an, die mir sehr am Herzen liegt:

Aber in der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen und ging auf dem Meer. Und da ihn die Jünger sahen auf dem Meer gehen, erschraken sie und riefen: Es ist ein Gespenst!, und schrien vor Furcht. Aber sogleich redete Jesus mit ihnen und sprach: Seid getrost, ich bin’s; fürchtet euch nicht!
Petrus aber antwortete ihm und sprach: Herr, bist du es, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf dem Wasser. Und er sprach: Komm her! Und Petrus stieg aus dem Boot und ging auf dem Wasser und kam auf Jesus zu. Als er aber den starken Wind sah, erschrak er und begann zu sinken und schrie: Herr, rette mich! Jesus aber streckte sogleich die Hand aus und ergriff ihn und sprach zu ihm: Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?

Mt 14,25-31 LUT

Übers Wasser gehen. Ein Wunsch, den Petrus hegte. Ob wir das wirklich wollen? Unsere Meere und Gewässer so lange „zumüllen“ bis wir selbst als Menschen darauf laufen können? Schon jetzt befinden sich in unseren Weltmeeren gefährliche Ansammlungen an Müll. Griechische Fischer ziehen jedes Jahr unglaubliche 50 Millionen Tonnen Müll als „Beifang“ aus dem Meer.

Wird uns nicht dabei wie Petrus damals Angst und Bang? Während all der Müll unsere Meere verstopft und unsere Umwelt mit Makro- und Mikropartikel vergiftet werden? Ja, irgendwie sind wir doch Kleingläubige – kleinkariert bedacht auf unseren Vorteil, unsere Bequemlichkeit. Lieber keine Arbeit. Wo das Plastik dann letztendlich hinkommt, verliert sich im gedanklichen Nebel der eigenen Komodität.

Ich sah auf meine inzwischen handtuchtrockenen Druckverschlusstüten, die ich über die daneben stehenden Trinkgläser stülpte, damit sie vollständig austrocknen würden. Ganz Müll vermeiden würde in unserem Haushalt schwierig werden, aber ein wenig mehr Achtsamkeit, das würde sich lohnen und ganz nebenbei Erinnerungen an meine verstorbene Oma wecken.


Ausstellungstipp

Noch bis zum 22. Juli ist die Karikaturenausstellung im Eingangsbereich des Klinikum Bambergs für alle Besucherinnen und Besucher geöffnet. Es lohnt sich sehr und hilft, dass wir uns und unser Umweltengagement hinterfragen!

Anbei noch einige andere Impressionen: