Von Charlie Brown und Schutzhelmen

Voller Begeisterung schlug ich das kleine gelbe Reclams-Buch im voll besetzten Regionalexpress auf und tauchte nach einem durchaus nachdenklich stimmenden Arbeitstag in die wohltuende Welt von Charlie Brown ein.

Charlie Brown, Snoopy und Co. haben es mir wirklich angetan. Schon früh habe ich die Freunde gerne bei ihren immer wiederkehrenden Abenteuern mit ähnlichem Ausgang begleitet. Dabei ist Charlie Brown kein Gewinnertyp. Er steht nicht auf einem Siegertreppchen und wird von Medaillen übersät. Vielmehr coacht er ausdauernd, aber erfolglos eine Baseballmannschaft, der einfach kein Sieg zuteil wird.

Charlie Browns Ausdauer und seine Leidensfähigkeit üben auf mich eine besondere Faszination aus. Er nimmtNiederlagen fast stoisch hin und lässt trotz allem nicht ab, um die stets um die Zuneigung von Lucy zu werben.

An diesem Spätnachmittag im Regionalexpress erfreute ich mich dieses behutsamen Eintauchens in eine altbekannte Welt und blieb erstaunt an einem Comic gedanklich hängen, in dem er sich mit Linus an ihrem Mauervorsprung befindet:

Charlie Brown offenbart nicht nur, dass er wieder einen Schicksalsschlag erlebt hat, sondern findet in Linus einen emphatischen Freund. Beide teilen diese Erfahrung, aber wie fast immer hat Linus eine sehr pragmatische Lösung parat: Die Idee Schutzhelme zu tragen.

Mein Theologinnenherz schlug beim mehrmaligen Lesen des kurzen Comics sofort höher, denn ich fühlte mich von diesen beiden Comic-Helden meiner Kindheit und Jugend verstanden. Das Leben ist voller Niederlagen, Tiefpunkten und schweren Herausforderungen. Der Hinweis auf einen Schutzhelm erinnerte mich umgehend an einen besonderen Ratschlag des Apostel Paulus:

Vor allen Dingen aber ergreift den Schild des Glaubens, mit dem ihr auslöschen könnt alle feurigen Pfeile des Bösen, und nehmt den Helm des Heils und das Schwert des Geistes, welches ist das Wort Gottes.

Epheser 6,16-17

Christen und Christinnen haben neben anderen erwähnten Bestandteilen einer Waffenrüstung einen besonderen Schutzhelm – nämlich den „Helm des Heils“, den sie tragen. Der Helm schützt sie in schweren Lebenslagen mit der Gewissheit, dass durch Jesus eine Perspektive bis in die Ewigkeit geschaffen ist.

Charles Schulz hätte man dies nicht erklären müssen, denn er war in einer lutherischen Gemeinde im mittleren Westen der USA aufgewachsen, dann zum Methodismus konvertiert. Gott und Glaube waren für Schulz nicht einfach nur „Nebengedanken“, vielmehr atmen seine Comics den Versuch, die Welt durch die Augen des Glaubens zu ergründen. Dabei spielen für ihn die Themen von Leid (wie fehlender Sieg seiner Baseballmannschaft oder andauernder Verlust seines Drachens im Baum) und Barmherzigkeit (schwierige Beziehung zu Lucy) eine wichtige Rolle.

Mit einem Seufzer schloss ich das kleine Reclams-Buch während mein Blick den herannahenden Bahnhof und damit meinen Ausstieg fixierte. Ob Schulz bei besagtem Comic an den Ausschnitt aus dem Epheserbrief beim Zeichnen dachte und ihn anklingen ließ, werde ich wohl nie erfahren. Aber Charlie Brown und seine Gang werden mir immer wieder Anregung und Trost schenken.

Das wunderbar trotzige Prinzip Hoffnung

Mein schwarzes Schälmesser trennte die dünne Schale vom frisch erworbenen Ingwer. Die Knolle dieses besonderen Gewächses, das seit Jahrhunderten als Gewürz und Arznei Verwendung findet, stammte aus dem fränkischen Knoblauchsland und hatte nicht, wie die meisten Ingwerknollen einen meilenweiten Weg hinter sich. Lokal. Frisch. Gesund. Einen Ingwer-Shot hatte ich heute sehr nötig, um die in mir aufsteigende Übelkeit an diesem Sonntagmorgen zu bekämpfen.

Flutkatastrophe in Valencia, Spanien.

Bevorstehende US-Wahlen voller Streit und Entzweiung.

Eine zerrissene deutsche Politik.

Krieg in der Ukraine.

Nordkoreanische Truppen in Russland.

Krieg im Heiligen Land.

Moldaus Ringen um Demokratie.

Machtkampf in Bolivien.

Beim Hören der Nachrichten war mir schlecht geworden. Trotz des strahlenden Novembermorgens hatten sich trübe Gedanken in den Vordergrund geschlichen. An der Hoffnung an solch einem Morgen festzuhalten, war gar nicht so einfach. Die Nachrichten überfluteten meine Gedanken und machten einem grollenden Bauchweh Platz.

Ich schnitt den geschälten Ingwer in kleine Stücke, ließ sie in den Zerkleinerer fallen und zerkleinerte das Ganze mit Zitronensaft und Honig angereichert zu einem dickflüssigen Getränk.

Die Gemüsebetriebe, die diesen Ingwer erfolgreich im Nürnberger Knoblauchsland angebaut hatten, hatten die Hoffnung nicht aufgegeben. Trotz spürbaren Klimawandel und massiven Herausforderungen stellten sie sich den neuen Gegebenheiten. Eigentlich wäre es so leicht, die Hände in den Schoß zu legen und nach einer Betriebsamkeit voller Tradition alles aufzugeben, weil die seit langem gewohnten Gemüsesorten nicht mehr oder schlechter reifen, die Energiepreise massiv angestiegen und Fachkräfte nur schwer zu finden waren. Aber sechzehn landwirtschaftliche Betriebe aus dem Nürnberger Norden gehen andere, innovative Wege, denn Gemüseanbau ist ihre Berufung. Ein aktiver und bewusster Schritt, der das Gewohnte an vielen Stellen verlässt, um neue Wege zu finden, die in die Zukunft weisen. Innovation gekoppelt mit Exnovation („Aktives Aufhören einer Tätigkeit“).

Eine exnovierende Grundhaltung hilft, das System auszumisten und dadurch handlungsfähig zu bleiben.

Bils/Töpfer: Exnovation und Innovation, S. 137.

Loslassen macht Platz für Neues. Dieser Prozess setzt die notwendige Energie frei, die Hoffnung und Mut für Gegenwart und Zukunft schenkt. Das zeigen die neuesten Studien zu systemischen Management. Der fränkische Ingwer ist ein solches hoffnungsvolles Produkt im Angesicht massiver Veränderungen, die wir uns alle nicht wünschen, aber in bitterer Weise unumgänglich sind. Der fränkische Ingwer ist umweltfreundlicher, frischer und bekömmlicher als jeglicher Ingwer aus Fernost, der tausende von Transportkilometern und so manches nicht kontrollierbares Spritzmittel mit im Gepäck hat.

Mich hat der Nürnberger Ingwer angesichts der Herausforderungen in Kirche sehr nachdenklich gemacht, denn auch die Kirchen stehen vor großen Herausforderungen. Der sonntägliche Gottesdienst wird zunehmend weniger besucht, die Mitgliedszahlen sind massiv am sinken und selbst zentrale Angebote stehen vielleicht schon bald aufgrund fehlender finanzieller Mittel auf dem Prüfstand. Was können wir als Kirche der Gesellschaft anbieten, das zeitgemäß und gleichzeitig relevant ist?

Was also können wir im kirchlichen Bereich an Exnovationen vornehmen, damit eine Gegenwart und Zukunft möglich wird? Sandra Bils schreibt weiter:

Im kirchlichen Bereich könnte sie [die Exnovation] unterstützen, dem traditionellen Erbe gerecht zu werden, indem durch Läuterungsprozesse eine gewisse Patina an Folklore und Gewohnheit kritisch hinterfragt wird und dadurch eine spezifischere Profilierung möglich wäre. Die zusätzlich damit einhergehende Ressourcenersparnis wird in den anstehenden Veränderungsprozessen dringend benötigt. (Bils, ebd.)

Unser Erbe und kostbare Verantwortung als Kirche liegt tief im Evangelium Jesu Christi verankert, das hoffnungsvoll durch Tod und Auferstehung über sich hinausweist. Ich würde es als das wunderbar trotzige Prinzip Hoffnung bezeichnen, das wir leben und anderen schenken können. 117 mal kommt „Hoffnung“ in der Bibel vor. Es gibt eine diesseitige, aber auch eine über das irdische Leben hinausragende Hoffnung, die in den Schmerzen der Zeit über die gegenwärtige Situation hinausweist. Wahlen. Kriege. Streit. Zwist. Sie alle werden nicht das letzte Wort haben, sagt uns der christliche Glaube.

Darum sollten wir als Kirchen eben nicht aufgeben oder die Situation eines Rückganges einfach resigniert annehmen, sondern wie die Gemüseanbaubetriebe des fränkischen Knoblauchslandes uns auf unsere Berufung konzentrieren und neue Wege suchen. Für mich ist dies das wunderbar trotzige Prinzip Hoffnung, das uns durch Jesus Christus geschenkt wurde, das wir weitergeben und durch Wort und Tat weiterschenken können. Darum:

Lasst uns festhalten an dem Bekenntnis der Hoffnung und nicht wanken; denn er ist treu, der sie verheißen hat.

Heb 10,23

Die Gemüsebauer im Knoblauchsland halten an ihrer Berufung zum Gemüseanbau fest, der eine Region stärken und gesund nähren soll. Wir als Kirche sollten an dem Bekenntnis der Hoffnung festhalten. Auch oder gerade im Angesicht massiver Veränderungen, in denen wir so manches vielleicht Liebgewonnenes oder traditionell Gewohntes hinter uns lassen müssen. Bleibt für mich die Frage: Was könnte für uns als Kirche der scharfe, gesundmachende Ingwer als Vehikel unserer Kernbotschaft sein, den wir anbauen, ernten und weitergeben? Das kann wohl nur jeweils lokal entschieden werden. Was dem Knoblauchsland der ungewohnt neue Ingwer ist, mag im Bamberger Zwiebelland etwas ganz anderes, vielleicht die Süßkartoffel (?) sein. Was durch die MUT-Projekte im Münchner Raum der Flughafen Chor ist, mag im Dekanat Naila „OVERFLOW – die junge Kirche im Frankenwald“ sein.

Ein erster Schluck des Ingwer-Shots ran in meiner Kehle süß und scharf hinunter. Im Nu war mein von Bauchweh geplagter Leib von einem wohlig warmen Gefühl erfüllt. Gedankt sei es dem wunderbar trotzigen Prinzip Hoffnung.


Unbedingte Literaturempfehlung:

Sandra Bils und Gudrun Töpfer: Exnovation und Innovation: Synergie von Ende und Anfang in Veränderungen (Systemisches Management)

Das trotzige Prinzip des Osterwunders – oder: Die Osterkerze, die nicht aufgeben wollte

Der Ostermorgen war endlich angebrochen. Auf unserem Rückweg von der Osternacht tauchten wir in den Gesang der Vögel ein – fast fühlte es sich so an, als ob sie für uns frühe Gottesdienstbesucherinnen und -besucher einen vielstimmigen Osterjubel angestimmt hatten. Unsere vier Kinder hatten ihre Osterkerzen in die Fahrradkörbe gestellt und waren voraus gefahren. Trotz des alljährlichen Wettbewerbs, wessen Osterlicht erfolgreich leuchtend nach Hause kam, spurteten sie eilig voraus. Schließlich wartete nach der langen Fastenzeit ein buntes Osterfrühstück mit allerlei Leckereien, auf die sie viele Wochen verzichtet hatten.

Ich lief mit dem Osterlicht in der einen und dem Fahrradlenker in der anderen Hand hinter ihnen her und war einfach nur froh, dass endlich Ostern war. Nach mehreren Wochen durchzogen mit vielen dienstlichen Herausforderungen und einer Erkrankung, der ich nicht die Aufmerksamkeit schenken konnte, die sie eigentlich gebraucht hätte, waren das Wunder des Osterfestes das, was meine Seele brauchte.

Unser ältester Sohn wartete lachend auf mich während er auf seinen Fahrradkorb nebst Schutzblech deutete. „Schau mal, Mama!“, er schüttelte den Kopf, „Die Kerze war umgekippt, aber hat noch gebrannt.“ Auch ich musste das Lachen anfangen, denn das Schutzblech sah aus als ob Vögel im Tiefflug sich fleissig erleichtert hatten. „Das sieht ja aus als ob dein Fahrrad direkt unter einem beliebten Baum für Vögel stand.“

Von Vögeln schrieb auch Hilde Domin in einem Gedicht, das für mich in vielerlei Weise emotional mit Ostern verbunden ist und für mich fast wie eine kleine Anleitung darstellt, wie ich dem Osterwunder gegenübertreten sollte:

Nicht müde werden /

sondern dem Wunder /

leise wie einem Vogel /

die Hand hinhalten

Hilde Domin

Nicht müde werden in Herausforderungen. In Trübsal. Krankheit. Tod. Das ist schwer. Und manchmal will man vielleicht auch gar nicht mehr die Hand hinhalten, weil die Muskeln aufgrund des Widerstands und der vielfach wiederholten Bewegung schmerzen, die Knochen sich anfühlen als ob sie unter dem Druck brechen.

Doch das Osterfest spricht mitten hinein in solche Situationen ein trotziges Trotzdem und streckt Herausforderungen, Trübsal, Krankheit und Tod mutig die Stirn entgegen. Denn Jesus verspricht uns, auch in den Dunkelheiten des Lebens präsent zu sein und die Finsternis als Licht des Lebens zu erleuchten.

Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.

Joh 8,13

Dieses Versprechen Jesu nimmt kaum die uns umgebende Finsternis weg, aber so wie ein einziges Licht in der Dunkelheit Orientierung schenkt, so hält er die Situation mit aus und schenkt trotz allem Hoffnung.

Das trotzige Prinzip des Osterwunders.

Die Osterkerze, die nicht aufgeben wollte, hatte mich daran erinnert. Diese Hoffnung ist nicht immer wunderschön, sondern kommt manchmal wie ein unkontrollierter Ansturm von Vögeln und deren erleichternder Spuren einher. Ein wunderbar unlogisches Trotzdem im Chaos des menschlichen Lebens.

Ausgang und Eingang – Gedanken in der Karwoche

Endlich hatte ich die Osterkrippe aufgebaut. Zwei Tage zu spät. Nach Palmsonntag war mir nicht gewesen, noch hatte ich die Kraft dazu. Traurigkeit, Verärgerung und Fieber hatten in den letzten Tagen das erste Mal in vielen, vielen Jahren ihren Tribut gefordert: das erste Mal brach ich mit der über Jahrzehnte lieb gewonnenen Tradition unsere Osterkrippe mit unseren Kindern an Palmsonntag feierlich aufzubauen.

Heute früh aber war es Zeit dafür geworden. In der Stille der Morgenstunden platzierte ich vorsichtig die fragilen Figuren auf dem Untergrund der Osterkrippe. Flugs hatte sich eine Menge vor den Toren der aus Holz bestehenden Stadt Jerusalem versammelt, die sich Jesus auf dem Eselsfüllen zugewandt hatte und ihm freudig entgegen jubelten. Dabei summte ich leise einen wohlbekannte Kanon vor mich hin.

Ausgang und Eingang. Anfang und Ende.

Mein Blick fiel auf den Weihnachtsstern, der nichts besseres zu tun hatte, als ausgerechnet zum herannahenden Osterfest zu blühen. Ich schüttelte den Kopf über die Launen der Natur, musste aber auch Lächeln. Irgendwie hatte er ja recht, dieser störrische Weihnachtsstern, denn Ausgang und Eingang lagen so nah beieinander. Weihnachten und Ostern. Der Einzug Jesu und sein Tod.

In diesem Jahr fehlte etwas, das sonst nie Platz in unserer Osterkrippe hatte: Weihnachten. Also suchte ich unsere kleine, übersichtliche Krippe mit ihren zarten Figuren und stellte sie auf die andere Seite des Weihnachtssterns.

Ausgang und Eingang. Anfang und Ende.

Ich musste schlucken. Heute würde die Trauerfeier eines Kollegen der Bundespolizei stattfinden. Als Seelsorgerin begleitete ich meine Polizeischülerinnen und -schüler, die ihn kannten und um ihn trauerten, dorthin. Viel zu jung wurde er in Gottes Ewigkeit gerufen und hinterließ eine Witwe, die ihr ungeborenes Kind unter ihrem Herzen trug. Auf einmal waren Ausgang und Eingang so schmerzhaft nah, dass es ein Beben in unserem Innersten auslöste. Sterben und neues Leben. Weihnachten und Ostern. Alles kam an diesem Tag in einem Menschenschicksal zusammen.

Im Psalm heißt es vorher:

Der HERR behüte dich vor allem Übel,
er behüte deine Seele.

Psalm 121,7

Vor allem Übel hatte der Herr den Kollegen nicht bewahrt, aber seine Seele war nun in Gott geborgen. Ostern würde in einigen Tagen anbrechen und hoffentlich die österliche Botschaft, dass der Tod nicht das letzte Wort hat, auch die Betroffenen mit Zuversicht mitten in dieser schweren Zeit erfüllen.

Denn auch wenn wir es als Menschen kaum ergründen können:

Ausgang und Eingang, Anfang und Ende, liegen bei dir, Herr, füll uns die Hände.

Ein Regen an Segen

Als Polizeiseelsorgerin am größten bundespolizeilichen Aus- und -fortbildungszentrum unterrichte ich nicht nur das Fach „Berufsethik“, sondern begleite die Polizeimeisteranwärterinnen und -anwärter sowie das Stamm- und Abordnungspersonal, das diese große Ausbildungseinrichtung und die komplexe Ausbildung betreut. Ein offenes Ohr zu haben, die zu begleiten, die hier lernen und arbeiten, ist ein wichtiger Bestandteil meiner Tätigkeit.

Durch Andachten darf ich Gottes Wort als Stärkung und Ermutigung weitergeben – dienstags durch einen kleinen Bibelvers, freitags als Segen für das Wochenende, sowie einmal monatlich durch eine Mittagsandacht.

Zur Sommerpause habe ich einen „Regen an Segen“ als kleines Video mit den schönsten Segensworten erstellt. Beides, das Segensvideo sowie die dort verwendeten Segensworte, füge ich hier an. Solltet ihr diese verwenden, würde ich mich freuen, von euch zu hören. Möge Gottes Wort durch euch als Zeichen der Stärkung, Hoffnung und Ermutigung in unsere Welt gesprochen werden.

Habt einen gesegneten Sommer!

Eure Miriam Groß

Church of Scotland: Eine Kirche im freien Fall

Die Sonnenstrahlen tauchten das große Symbol der Church of Scotland in gleißendes, helles Licht. In einem senkrechten Oval war ein brennender Dornbusch abgebildet, hinter dem die schottische Flagge ersichtlich war. Der weiße Rahmen mit der Aufschrift „Nec tamen consumebatur“ („und er wurde nicht verzehrt“) unterstrich die Abbildung der biblischen Berufungsgeschichte des Mose (Ex 3,2).

Ich stand vor dem Kirchenamt der reformierten Church of Scotland und betrachtete das Symbol mit gemischten Gefühlen. Seit meiner ersten Auslandsverwendung (2007-2010) als Pfarrerin in Orkney, einer kleinen schottischen Inselgruppe, war mir die reformierte Kirche sehr ans Herz gewachsen. Das Symbol begleitet mich seitdem als Erinnerung an wichtige Erfahrungen, die mich beruflich und privat tief geprägt haben. Doch heute sah ich zum ersten Mal mit großer Sorge auf das wunderschöne Emblem der schottischen reformierten Kirche, während die soeben gehörten Worte einer Kollegin in meinen Ohren widerhallten. In ihnen schwang viel Trauer und gleichzeitig Wehmut als wir uns über die vergangene gemeinsame Zeit unterhielten. Und fast hatte ich den Eindruck als ob kirchliche Dornbusch lichterloh brannte…

„New tamen consumebatur“ – „und er wurde nicht verzehrt“

Das im Emblem der Church of Scotland verwendet Symbol des brennenden Busches führt uns zum Buch Exodus und der Geschichte von Moses. Moses war einem Leben in unvorstellbarem Luxus und Wohlstand in Ägypten entflohen, nachdem er einen ägyptischen Sklaventreiber aus Empörung über dessen Brutalität getötet hatte. Nun war er Schafhirte in der Wildnis. Der biblischen Geschichte zufolge trifft Moses eines Tages beim Hüten seiner Schafe auf einen Busch, der seine Aufmerksamkeit erregt, weil er zu brennen scheint, aber noch nicht verzehrt ist. Als er näher kommt, hört er eine Stimme, die ihm sagt, er solle seine Schuhe ausziehen, weil er auf heiligem Boden stehe. Dort vor dem brennenden Dornbusch begegnet er dem lebendigen Gott, der ihm den göttlichen Namen offenbart und Moses in eine neue Berufung ruft: er soll die hebräischen Sklaven Ägyptens in die Freiheit führen.

Diese biblische Geschichte ist von solch großer Faszination und Kraft, das sie viele Menschen inspiriert hat.

„New tamen consumebatur“ – „und er wurde nicht verzehrt“

So kam es mit der Reformation zu einer Neuinterpretation des Bildes vom brennenden Dornbusch. Insbesondere Johannes Calvin interpretierte das Bild des brennenden Dornbuschs als Symbol der Kirche auf Erden, die mit vielen Schwierigkeiten und Nöten konfrontiert war und dennoch vom Geist Gottes getragen und am Leben erhalten wurde. In diesem Sinne glaubte er, dass die Kirche für immer brannte und doch nicht vom Feuer verzehrt wurde.

Als die Verfolgung reformierter Christen, insbesondere in Frankreich, zuzunehmen begann, wurde dieses Bild des brennenden Dornbuschs immer deutlicher. Die französisch-reformierte Kirche der Hugenotten war im 16. Jahrhundert unter besonderem Druck, und doch eine Kirche, die nicht ausgelöscht, sondern, wie sie glaubten, von Gottes Gegenwart getragen und ihr Glaube an Gottes Gnade kundgetan werden konnte Christus.

Eines der größten Massaker der Reformation fand in Frankreich statt, bekannt als das Massaker am Tag des Heiligen Bartholomäus am 24. August 1572. Es fand während der Feierlichkeiten zur Hochzeit der Schwester des Königs, Margarete, mit dem protestantischen Heinrich von Navarra (dem späteren Heinrich IV. von Frankreich) statt. Viele der reichsten und prominentesten Hugenotten hatten sich im weitgehend katholischen Paris versammelt, um an der Hochzeit teilzunehmen. In der darauf folgenden Tragödie wurden etwa 2000 Protestanten auf den Straßen von Paris ermordet. Diesem Massaker folgten unzählige weitere in anderen französischen Städten.

Das Massaker am Tag des heiligen Bartholomäus im Jahr 1572 erschütterte die reformierte Kirche Frankreichs zitierst und verursachte Auswanderungswellen von Hugenotten in andere umliegende Länder, aber auch Nordirland und Schottland bis hin nach Südafrika.

Die reformierte Kirche war unglaublichem Leid ausgesetzt worden, doch die Botschaft Gottes war weitergetragen und diese Kirchengemeinschaft vom politischen Feuer und Hass nicht verzehrt worden.

„New tamen consumebatur“ – „und er wurde nicht verzehrt“

Das Emblem des Dornbusches fand erstmals 1685 durch William Mure auf der Titelseite seines Buches „The Joy of Tears“ Verwendung, das die Probleme der schottischen Kirche thematisierte. Ab 1691 fand man es auf offiziellen Dokumenten der Church of Scotland und ist seitdem in Verwendung. Das Symbol hat nichts von seiner Aktualität verloren. Im Gegenteil, denn die schottische Kirche befindet sich unter hohem Druck und dessen Zukunft steht massiv auf dem Spiel.

Als ich 2007 nach Orkney entsandt wurde, um die damals neue ökumenische Partnerschaft zwischen der Evangelischen Kirche in Bayern (ELKB) und der Church of Scotland (CoS) einen praktischen Ausdruck zu verleihen und in einigen Jahren Impulse für meine Heimatkirche mit nach Hause zu bringen, erlebte ich die ersten großen Wellen dieser massiven Veränderung. Damals verstand sich die Church of Scotland noch als Nationalkirche. Doch bereits in meiner dreijährigen Amtszeit war diese aufgrund der Bankenkrise, die von Amerika aus auch Europa und damit Schottland erschüttert hatte, vor große finanzielle Probleme gestellt worden. Die finanzielle Verflochtenheit mit Übersee hatte der CoS viel finanziellen Schaden eingebracht, der nun eingespart werden musste. Neben Pfarrstellenkürzungen waren es besonders Kirchengebäude und Pfarrhäuser, die veräußert werden mussten, um die schlimmsten Auswirkungen zu lindern. Ich selbst habe im Auftrag meiner damaligen Gemeinde drei Kirchengebäude veräußert – eine diffizile Aufgabe, die bis dorthin nicht auf dem Horizont meiner Vorstellungen von pfarramtlichen Tätigkeiten gewesen war. Nun musste ich als junge Pfarrerin meine Gemeinde durch diesen Trauerprozess und durch juristische Tiefen begleiten, während ich gleichzeitig versuchte, ihnen beim Heilen und Zusammenwachsen zu helfen.

„New tamen consumebatur“ – „und er wurde nicht verzehrt“

An diesem Apriltag in 2023 war ich erschüttert wieder vor die Türe des Kirchenamtes in Edinburgh getreten. Die gehörten Worte mussten verarbeitet werden. Seit meines Weggangs in 2010 hatten sich die Mitgliedszahlen in dramatischer Weise verändert. Seit 2011 waren die Mitgliederzahlen laut des Berichts der General Assembly von 2022 um 34% gefallen. Ab 2017 befand sich die CoS im freien Fall.

“See, I make all things new”: Report Church of Scotland General Assembly 2022, S. 08 Supplementary Report of the Assembly Trustees, S. 14.

Dr. John Chalmers, Moderator der Church of Scotland 2022, sieht laut Glasgow Times den Grund vor allem im Kontaktverlust mit Millenials bis Generation Z. Diese seien weiterhin auf der Suche nach spiritueller Heimat, würden aber nicht in der Kirche fündig. Daher würde viel Engagement nun in diesen Bereich investiert werden, um die Kirche wieder zukunftsfähig machen zu können.

„Our contact with children and our reach to millennials and Generation Z are marginal. These missing generations are our children and our children’s children. They are not without a desire for spiritual nourishment. They are still in search for meaning and they share many of our values. But all evidence suggests the ways in which these generations will pursue their search for meaning will not be through a top-heavy religious institution. We must invest seriously in new ventures, pioneer ministry and church planting. The time has come for us to cast our bread upon the water before the last one of us finds it is time to switch off the lights and redistribute what is left to other charities with similar aims.“

The Very Rev. Dr. John Chalmers

Meine Kollegin berichtete mir von schmerzhaften Zusammenlegungen, Stellenstreichungen und harten Sparmaßnahmen, die die gesamte Kirche in Sorge um die Zukunft versetzte. Die schiere Zahl an zum Kauf zur Verfügung stehende Kirchen erschreckte mich in den kommenden Tagen meines Schottlandaufenthaltes. Und hinterließ einen bitteren Geschmack beim Betrachten des Emblems. Würde der Dornbusch doch dem Austritts- und Finanzfeuer nicht mehr standhalten können und bald nichts mehr als etwas Asche von der einst so stolzen Nationalkirche, die ich am Beginn meiner Amtszeit kennenlernen durfte, übrig bleiben?

Es sind solche Erfahrungen, die uns in Deutschland hellhörig machen sollten, wenn wir die eigene Mitgliederentwicklung betrachten. Auch hier stehen schmerzhafte Einsparungen an und ein spürbarer Mitgliederschwund wird schon bald nicht nur in Verkäufen von Gebäuden, Schließungen von Einrichtungen und Zusammenlegungen von Gemeinden resultieren. Vielmehr sehe ich auch hier die Zukunft unserer Kirche schneller als gedacht in Frage gestellt. Wenn wir hierauf nicht mit unseren Kernkompetenzen wie Seelsorge und Diakonie auf der einen Seite, und einem Bemühen um die jüngeren Generationen auf der anderen Seite reagieren, fürchte ich um einen ähnlichen Verlauf wie in der Church of Scotland.

Trotz des gleißenden Sonnenlichts war es mir an diesem sonnigen Apriltag eiskalt über den Rücken gelaufen. Bei meinem Besuch hatte ich mit vielem gerechnet, aber nicht damit, eine einst stolze Kirche als eine Kirche in Not wieder aufzufinden. Ich hoffe sehr, dass die inzwischen kleine Church of Scotland Wege aus dieser Not mit Gottvertrauen und Engagement finden wird.

Was uns im Inneren zusammenhält…

Nachdenklich wog ich den kleinen Beutel in meiner Hand. Die Platte nebst sieben Schrauben hatte sich in den letzten zehn Monaten in meiner Hand befunden und den zerschmetterten Knochen zusammengehalten, damit, was vorher eins, nun aber zerbrochen, wieder zusammenwachsen konnte. Die medizinische Prothese nebst Hilfsmittel fühlte sich ungewöhnlich leicht an. Kein Wunder, denn Titan weißt eine hohe Korrosionsbeständigkeit, Festigkeit und geringes Gewicht auf und wird daher vielfach in der Medizin für Implantate, Prothesen und ähnliches verwendet.

Für mich war es ein Geschenk, dass nun der Knochen geheilt war. Doch während ich den kleinen Beutel in meinen Händen hielt, Platten und Schrauben bewundernd betrachtete, wurde eine Frage immer lauter: Was hält uns Menschen im Inneren zusammen, wenn wir drohen zu zerbrechen? Nicht selten war ich in meinem Leben vor schweren Fragen und komplexen Herausforderungen gestanden. Die Verletzung war nicht nur eine physische Herausforderung, sondern hat mich gezwungen dem auf die Spur zu kommen.

Fündig wurde ich in den alten Geschichten, die uns die Bibel überliefert. Trotz der zeitlichen Ferne sind sie in vielem wie aus dem Leben gegriffen. Es sind Erzählungen von Menschen, die drohten zu zerbrechen. Manche hatten sogar Todesangst. Besonders faszinierend fand ich bei meiner Suche nach Antworten die Geschichten, die von maximalen menschlichen Fehlverhalten und tiefen Krisen erzählten. Es sind Geschichten, die uns von einer anderen, einer göttlichen Logik erzählen, die uns Hoffnung und Zuversicht im eigenen Versagen, gerade dann, wenn wir drohen zu zerbrechen, schenken wollen. Sie sind manchmal sperrig. Lassen unsere Gedanken anecken und unsere menschliche Logik an Grenzen stoßen. Die Botschaften sind so etwas wie „biblisches Titan“, das uns vielleicht in einer anderen Extremsituation hilft, wieder zusammenzuwachsen, zu heilen und neue Perspektiven für unser Leben zu finden.

Mitten hinein in diese Angst – vielleicht während wir vom Schmerz eines Bruches, einer Verletzung, eines Verlustes, eines schlimmen Fehlers fast erstickt werden, spricht Gott:

„Ich habe dich je und je geliebt, darum habe ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte.“

Jer 31,3

Sehen wir doch einmal auf die Erzählung um Kain und Abel (Gen 4). Kain hatte aus lauter Eifersucht seinen jüngeren Bruder Abel erschlagen. Eine durch und durch widerliche Tat. Doch statt ihn der nach menschlicher Logik ausstehenden Konsequenz eines Totschlags auszuliefern, wird Kain ein wenn auch ruheloses Leben geschenkt und durch ein Zeichen geschützt. Ihm sollte das Unrecht nicht widerfahren, das er seinem eigenen Bruder angetan hatte. So wurde in letzter Konsequenz durch die göttliche Zusage eine Kette von Gewalt und Gegengewalt durchbrochen.

„Ich habe dich je und je geliebt, darum habe ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte.“

Da ist Rahab, die in der Bibel als Prostituierte in Jericho arbeitet (Jos 2). Ihre Tätigkeit sei hier nicht weiter eruiert. Trotz ihres gesellschaftlich diskutiertem Broterwerbs versprachen ihr die Männer, die sie schützte, das gleiche Recht zu. Als Jericho erobert wurde, hing sie wie vereinbart als Zeichen ein rotes Seil aus ihrem Fenster und wurde zusammen mit ihrer Familie verschont. Nicht immer handeln wir in unserem Leben ethisch korrekt. Der Beruf Rahabs steht für mich als Platzhalter für unsere eigene Gebrochenheit, die anderen und uns vielleicht schwieriges zumutet. Dennoch werden wir vor dem Schlimmsten bewahrt und erhalten die Möglichkeit eines Neubeginns.

„Ich habe dich je und je geliebt, darum habe ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte.“

Zwei schwerfällige Geschichten, die von Menschen, die in Gefahr stehen zu zerbrechen, erzählen und von Gottes Güte, die sie zusammenhält. Es sind Extremgeschichten des Lebens. Wie oft stehen wir vor eigenen verheerenden Situationen. Die Titanplatte nebst Schrauben werden mich an beides erinnern: an einen schmerzhaften Unfall, aber auch die Möglichkeit wieder heilen und mit „neuer“ Hand zuversichtlich mein Leben unter Gottes Schutz und Begleitung weiter gehen zu dürfen.

Das wünsche ich Ihnen, lieber Blogleser, liebe Blogleserin, ebenso. Denn die Situation mag noch so verheerend sein, Gott liebt uns und zieht uns mitten in all dem Schlimmen zu sich aus lauter Güte.