Was uns im Inneren zusammenhält…

Nachdenklich wog ich den kleinen Beutel in meiner Hand. Die Platte nebst sieben Schrauben hatte sich in den letzten zehn Monaten in meiner Hand befunden und den zerschmetterten Knochen zusammengehalten, damit, was vorher eins, nun aber zerbrochen, wieder zusammenwachsen konnte. Die medizinische Prothese nebst Hilfsmittel fühlte sich ungewöhnlich leicht an. Kein Wunder, denn Titan weißt eine hohe Korrosionsbeständigkeit, Festigkeit und geringes Gewicht auf und wird daher vielfach in der Medizin für Implantate, Prothesen und ähnliches verwendet.

Für mich war es ein Geschenk, dass nun der Knochen geheilt war. Doch während ich den kleinen Beutel in meinen Händen hielt, Platten und Schrauben bewundernd betrachtete, wurde eine Frage immer lauter: Was hält uns Menschen im Inneren zusammen, wenn wir drohen zu zerbrechen? Nicht selten war ich in meinem Leben vor schweren Fragen und komplexen Herausforderungen gestanden. Die Verletzung war nicht nur eine physische Herausforderung, sondern hat mich gezwungen dem auf die Spur zu kommen.

Fündig wurde ich in den alten Geschichten, die uns die Bibel überliefert. Trotz der zeitlichen Ferne sind sie in vielem wie aus dem Leben gegriffen. Es sind Erzählungen von Menschen, die drohten zu zerbrechen. Manche hatten sogar Todesangst. Besonders faszinierend fand ich bei meiner Suche nach Antworten die Geschichten, die von maximalen menschlichen Fehlverhalten und tiefen Krisen erzählten. Es sind Geschichten, die uns von einer anderen, einer göttlichen Logik erzählen, die uns Hoffnung und Zuversicht im eigenen Versagen, gerade dann, wenn wir drohen zu zerbrechen, schenken wollen. Sie sind manchmal sperrig. Lassen unsere Gedanken anecken und unsere menschliche Logik an Grenzen stoßen. Die Botschaften sind so etwas wie „biblisches Titan“, das uns vielleicht in einer anderen Extremsituation hilft, wieder zusammenzuwachsen, zu heilen und neue Perspektiven für unser Leben zu finden.

Mitten hinein in diese Angst – vielleicht während wir vom Schmerz eines Bruches, einer Verletzung, eines Verlustes, eines schlimmen Fehlers fast erstickt werden, spricht Gott:

„Ich habe dich je und je geliebt, darum habe ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte.“

Jer 31,3

Sehen wir doch einmal auf die Erzählung um Kain und Abel (Gen 4). Kain hatte aus lauter Eifersucht seinen jüngeren Bruder Abel erschlagen. Eine durch und durch widerliche Tat. Doch statt ihn der nach menschlicher Logik ausstehenden Konsequenz eines Totschlags auszuliefern, wird Kain ein wenn auch ruheloses Leben geschenkt und durch ein Zeichen geschützt. Ihm sollte das Unrecht nicht widerfahren, das er seinem eigenen Bruder angetan hatte. So wurde in letzter Konsequenz durch die göttliche Zusage eine Kette von Gewalt und Gegengewalt durchbrochen.

„Ich habe dich je und je geliebt, darum habe ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte.“

Da ist Rahab, die in der Bibel als Prostituierte in Jericho arbeitet (Jos 2). Ihre Tätigkeit sei hier nicht weiter eruiert. Trotz ihres gesellschaftlich diskutiertem Broterwerbs versprachen ihr die Männer, die sie schützte, das gleiche Recht zu. Als Jericho erobert wurde, hing sie wie vereinbart als Zeichen ein rotes Seil aus ihrem Fenster und wurde zusammen mit ihrer Familie verschont. Nicht immer handeln wir in unserem Leben ethisch korrekt. Der Beruf Rahabs steht für mich als Platzhalter für unsere eigene Gebrochenheit, die anderen und uns vielleicht schwieriges zumutet. Dennoch werden wir vor dem Schlimmsten bewahrt und erhalten die Möglichkeit eines Neubeginns.

„Ich habe dich je und je geliebt, darum habe ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte.“

Zwei schwerfällige Geschichten, die von Menschen, die in Gefahr stehen zu zerbrechen, erzählen und von Gottes Güte, die sie zusammenhält. Es sind Extremgeschichten des Lebens. Wie oft stehen wir vor eigenen verheerenden Situationen. Die Titanplatte nebst Schrauben werden mich an beides erinnern: an einen schmerzhaften Unfall, aber auch die Möglichkeit wieder heilen und mit „neuer“ Hand zuversichtlich mein Leben unter Gottes Schutz und Begleitung weiter gehen zu dürfen.

Das wünsche ich Ihnen, lieber Blogleser, liebe Blogleserin, ebenso. Denn die Situation mag noch so verheerend sein, Gott liebt uns und zieht uns mitten in all dem Schlimmen zu sich aus lauter Güte.

Ein Gedanke zu “Was uns im Inneren zusammenhält…

  1. aturfa

    Vor einem Jahrhundert wären solche Heilungsmethoden unmöglich. Nach einem Unfall könnten wir nie wieder sein, wie wir vorher waren. Wie immer, ein toller und nachdenklicher Blogeintrag. Die biblischen Beispiele sind gut ausgelegt.

    Gefällt 1 Person

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