Von Zeiten des Umbruchs und Amtskleidungen

Meine Hand glitt an den verschiedenen Kleidungsstücken entlang. Der weiche Samt meines bayerischen Talars schmeichelte meiner Hand und rief augenblicklich Erinnerungen an längst vergangene Dienstzeiten hervor. Bei meiner Ordination vor eineinhalb Jahrzehnten war es die segnende Hand des Regionalbischofs Helmut Völkel, der Kollegen und einer Freundin, die mich in den schottischen Norden unter Gottes Segen entsandten. Wohlige Wärme floß durch meine Hand während sie bereits über mein schwarzes Kollarkleid strich, dessen Baumwollstoff eine versichernde gerade Oberfläche ausstrahlte. Dieses Amtskleid war während meiner Tätigkeit in New Yorker ein treuer Begleiter in Zeiten der Freude, der Begeisterung, aber auch des Erschreckens und der Arbeit an einem sozialen und gesellschaftlichen Hotspot im turbulenten Coronajahr 2020 gewesen. Am Kollarkleid vorbei griff ich mit einer entschlossenen Geste nach meiner Dienstuniform und zog sie aus dem Schrank. Ein goldenes Kreuz war auf den Schulterstücken aufgestickt und begleitete schützend das Bundeswappen der Bundesrepublik Deutschland. Vorsichtig strich ich mit dem Daumen über die Struktur des Kreuzes. Verschiedene Amts- und Berufskleidungen durfte ich in meiner beruflichen Laufbahn tragen – die Dienstbekleidung der Flugbegleiterinnen bei Japan Airlines (JAL), den bayerischen Talar, das Kollarkleid bzw. die Kollarbluse, aber eine solch besondere und folgenreiche Kleidung hatte ich vor meinem Dienstbeginn bei der Bundespolizei noch nie getragen.

Kleidung. Sie erfüllt zuallererst Grundfunktionen wie Schutz, manchmal ist sie ein Dekor oder sogar nach der enhancement-Strategie eine Art „technische Erweiterung natürlicher Ressourcen des Einzelnen“, wo Technologie und Körper miteinander verschmelzen können. 

Aber Kleidung ist noch so viel mehr: Sie ist wie eine Sprache, die wir ohne ein Wort zu sagen, artikulieren. Institutionen, Funktionen und auch soziale Orientierungsmöglichkeiten werden durch sie sichtbar. 

Dabei ist es der dritte Aspekt von Kleidung, der ebenso wichtig ist: In den jeweiligen Interaktionsprozessen zwischen Individuum und Gesellschaft werden kulturelle Codes und Normen übermittelt, die für eine Institution oder eine Einrichtung stehen. Im Fall meiner Dienstuniform die Normen und Werte der Bundespolizei und damit der Bundesrepublik Deutschland, in deren Dienst ich gegenwärtig als Pfarrerin stehe.

Auch wenn für uns Kleidung oft alltäglich erscheint, so ist sie viel mehr als nur ein Stück Stoff. Sie erzählt oftmals eine Geschichte. Sie macht sichtbar, was wir vielleicht nicht direkt aussprechen, aber bewusst oder unbewusst an andere übermitteln (wollen).

Mein dienstlicher Kleiderschrank reflektiert meine Berufungsgeschichte, in der ich an besonderen und gesegneten Orten meinen Dienst ausführen durfte. Jedes Mal, wenn ich ihn öffne, erinnert mich das eine oder andere Kleidungsstück an ein besonderes Erlebnis in meiner Berufung als Pfarrerin.

Während ich Knopf um Knopf die Bluse meiner Dienstuniform schloss, hielt ich plötzlich inne. Was befand sich eigentlich unter all diesen verschiedenen Dienstkleidungen? War ich jeweils eine andere gewesen? Veränderte ich mich Mal um Mal? Während ich nachdenklich die letzten Knöpfe schloss und das Hemd ordentlich in den Saum der Amtshose steckte, war es die Aussage des Völkerapostel Paulus, die mich an den Kern meines Seins und meiner Berufung erinnerte. Paulus sagte: „[Denn] ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen.“ (Gal 3,26f.) Die Amtskleidung einer Christin gehört für mich wie eine zweite Haut zu meinem Sein. Die unwiderruflich seit dem Tag meiner Taufe zu mir gehört. Sie ist es, die durch die verschiedenen Amtskleidungen und Bekleidungen hindurchschienen wird. Sei dies ein Talar, ein Kollarkleid oder die Dienstuniform der Bundespolizei.

Sicherlich wird es noch eine Weile dauern, bis ich in die Uniform und den mit ihr verbundenen Auftrag hineingewachsen bin. Die Verantwortung ist groß und die Herausforderungen vielfältig. Aber mit Christus als meiner durch die Taufe angelegten „Dienstkleidung“ einer Christin, die hoffentlich in meinen Handlungen und Taten sichtbar werden wird, werde ich mein Bestes im Rahmen meiner Tätigkeit als Polizeiseelsorgerin geben.

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