Vertrauensvoll folgte ich einer durch mehrere Telefonate und Online-Meetings bekannten Stimme, die mich durch den Beton-Dschungle des hannoverschen Messegelände lotste. Zugegebenermaßen aufgeregt öffnete ich die schwere Glastür zu einem langen lichtdurchfluteten Gang, von dem in pragmatischer Weise verschiedene Büroräume betretbar waren. Am Ende des Ganges kam mir Lea D. lächelnd entgegen und begrüßte mich herzlich. Endlich war ich am Kirchentag angekommen.

Ende April war ich aufgebrochen, um als Teil der Gruppe „Schutz und Fürsorge“ mit anderen Fachkräften am Kirchentag ehrenamtlich mitzuarbeiten. 1949 war der Deutsche Evangelische Kirchentag (DEKT) als Reaktion auf die Zeit des Nationalsozialismus und den fehlenden Widerstand der Amtskirche in seiner jetzigen Form gegründet worden. Mit dieser Gruppe begann bereits am vorhergehenden 38. Kirchentag in Nürnberg in kleiner, engagierten Weise, nun aber noch mutiger, starker und beherzter am 39. DEKT in Hannover eine aus meiner Sicht längst überfällige Reaktion auf ein schlimmes kirchliches und gesellschaftliches Thema, das viel zu lange verschwiegen, verdrängt und tabuisiert wurde: Straftaten sexualisierter Gewalt fanden und finden in Schutzumgebungen wie Kirche und Gemeinde statt. Hiergegen muss rigoros vorgegangen und Betroffene mit Schutz und Fürsorge umgeben werden. Ich bin dankbar, dass Detlev Zander mit solcher Kraft auf die bittere Realität sexualisierter Gewalt hinweist, mahnt und trotz vieler schmerzhafter Gegenreaktionen nicht müde wird, dagegen seine Stimme zu erheben.
Das nunmehr zweite Mal war diese besondere Gruppe unter der Leitung von Lea D. als hauptamtliche, sowie Alina und Ari als ehrenamtliche Leitungspersonen an diesem besonderen kirchlichen Ereignis für Betroffene sexualisierter Gewalt da. In diesem Jahr in Hannover mit einem größeren Team von Fachkräften aus unterschiedlichen kirchlichen, sozialen und staatlichen Bereichen, die sie zusammengerufen hatten.
Als ich unsere Einsatzräumlichkeiten betrat, begrüßten mich die anwesenden Kolleginnen und Kollegen herzlich. Die liebevolle Dekoration an unseren Arbeitsplätzen strahlte so viel Liebe und Fürsorge aus.

Umgehend wusste ich, dass nach Jahren als Teilnehmerin nun mein Ort „hinter den Kulissen“ als Einsatzkraft für „Schutz und Fürsorge“ der richtige war. Meine Aufregung ebbte langsam ab und machte großer Dankbarkeit Raum während ich den Erklärungen und der Einführung in Dienst und Technik folgte.
Das Motto des Kirchentages – mutig, stark, beherzt – war spürbar das Motto dieser besonderen Gruppe, die Personen während der Veranstaltungstage mit Schutz und Fürsorge umgaben. Ob 24/7-Hotline, Schutzraum, Veranstaltungsbegleitung, Einzelgespräche oder Einsatz – in allem atmeten diese intensiven Tage das biblische Wort, unter dem der 39. DEKT stand:
Wachet, steht im Glauben, seid mutig und seid stark! Alle eure Dinge lasst in der Liebe geschehen!
1. Kor 16,13-14





Während ich in diese besondere ehrenamtliche Tätigkeit eintauchte, geschah still und unaufgeregt ein für mich einschneidender Übergang, indem die letzten offiziellen Diensttage bei der Bundespolizei verstrichen und ich wieder in den Dienst meiner Landeskirche zurückkehrte. So wurde auch ich ohne große Aufregung eingebettet in dieses Netz der Fürsorge, das meinen Schmerz über nunmehr Vergangenes linderte und meine Freude auf eine neue, besondere berufliche Aufgabe wachsen ließ. Eine tiefgreifende Erfahrung, in der ein Team nicht nur für andere sorgte, sondern füreinander da war. Dies steht und fällt mit der Leitung solcher Gruppen – durch Lea, Alina und Ari waren wir stets von fürsorglichen, engagierten Fachkräften umgeben.
Ich wünschte, es wäre auch anderorts so selbstverständlich, dass man auf Betroffene sexualisierter Gewalt achtet, sie mit Schutz und Fürsorge bei einem eventuellen Vorkommnis umgibt. Die Landeskirchen müssen noch sehr viel lernen und Schutzmaßnahmen etablieren, damit zum Selbstverständnis wird, was ich es am 39. DEKT in dieser Gruppe erleben und mit begleiten durfte.
Lasst uns mutig, stark, beherzt gegen sexualisierte Gewalt vorgehen. In Kirche, Staat und Gesellschaft. Den Opfern und den uns anvertrauten Personen sind wir dies in schuldig!
Sechs Tage später war mir der Beton-Dschungel der hannoverschen Messe sehr vertraut. Die Wege, Gebäude und Büros strahlten nach sehr geschäftigen Veranstaltungstagen ungewohnte Ruhe aus. Als eine der wenigen waren Teile unseres Teams noch im Einsatz und steuerten als eine der letzten Gruppen mit schwerem Gepäck beladen die Rückgabe der Kirchentags-Technik an. Als wir uns später verabschiedeten, erfüllte mich tiefe Dankbarkeit für eine besondere Zeit. Ich war froh, Teil eines größeren Engagements gegen sexualisierte Gewalt gewesen zu sein, dass sich hoffentlich an den darauf folgenden Kirchentagen als Selbstverständlichkeit etablieren wird. Zu verdanken ist es dem Mut unseres Dreier-Führungsteams und den inspirierenden Kolleginnen und Kollegen, die ich dort kennenlernen durfte.

Lasst uns, egal wo wir uns gerade ehren- oder hauptamtlich engagieren, mutig, stark, beherzt gegen sexualisierte Gewalt einsetzen!
Schutz und Fürsorge sollten doch in der Kirche und auch in der ganzen Gesellschaft immer selbstverständlich sein. Leider ist das nicht so. Darum ist dies pastoraler Dienst so wichtig!
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