Von Pandemien und geschichtlichen Lektionen

Trotz der hochsommerlichen Temperaturen lief mir ein eiskalter Schauer den Rücken herunter während ich voller Unglauben den Worten Trumps zuhörte. Normalerweise mied ich FOX News, doch dieser Sonntag zog mich und viele andere magisch vor den Fernseher. Chris Wallace, Moderator von FOX News Sunday, befragte den Präsidenten auf viele für seine Amtszeit relevante Themen. Die Unterhaltung führte schnell auf das brennende Thema der Pandemie. Selbstbewusst äußerte Trump, dass die USA eine der niedrigsten Mortalitätsraten der Welt habe. Auf Widerspruch des Moderators hin bat Trump sein Team um einen aktuelle. Ausdruck mit den neuesten Zahlen, die dem Weißen Haus vorlagen. Innerhalb von Augenblicken händigte eine Mitarbeiterin dem Präsidenten einen in großem schwarzen Lettern gestalteten Ausdruck. „Sehen Sie!“, sagte er während er stolz mit dem Zettel wedelte, „Ich habe recht!“

Laut eines Berichtes der New York Times hingegen haben die Vereinigten Staaten von Amerika die acht höchste Mortalitätsrate aller vom Coronavirus betroffener Länder. Eine orwellianische Situation sondergleichen offenbarte sich in diesem Interview vor meinen Augen, in der Wahrheit durch die Person im höchsten US-amerikanischen Amt passend gemacht wurde.

Das Interview zeigte wie kein zweites, mit welcher Ruchlosigkeit und kalkuliertem Umgang mit falschen Informationen die gegenwärtige Regierung versuchte, ihren eigenen Fall zu verdecken und als Sieg über einen unsichtbaren Feind zu maskieren. Doch selbst der Rahmen des sonst so Trump-freundlichen TV-Senders konnte dies nun nicht mehr verdecken und war für eine noch breitere Masse offenbar geworden.

Während sich Trump im Interview nervös von einem Thema zum nächsten hangelte, wanderten meine Gedanken in ferne, längst vergangene Jahrhunderte, in der schon einmal eine Seuche das die Machtverhältnisse von Mächten verändert hatte:

Unter Kaiser Justinian (527–565) war eine Pandemie ausgebrochen, die in Ägypten ihren Ursprung genommen hatte, dann 542 Konstantinopel erreichte und sich danach im gesamten Mittelmeerraum verbreitete. Die sogenannte Justinianische Pest rief eine Hungersnot und unglaubliches soziales Elend hervor, an die mich in USA die Auswirkungen der gegenwärtigen Pandemie in besorgniserregender Weise erinnern.

Klaus Bergdolt beschreibt in seinem Buch „Der schwarze Tod Europas“ (1):

Wir wissen heute, daß die Justinianische Pest unabsehbare politische Konsequenzen hatte. […] Pest und Politik bildeten zur Zeit der Völkerwanderung zeitweise zwei Seiten einer Medaille.

Klaus Bergdolt: Der schwarze Tod Europas: Die große Pest und das Ende des Mittelalters, München 2003, 5. Auflage, S. 16.

Daher ist es für mich kaum verwunderlich, dass auch in den Vereinigten Staaten von Amerika Politik und Pandemie eine enge und durchaus makabere Verbindung eingegangen sind, indem das Agieren mancher Politiker wenig Sorge um die Betroffenen trägt als um den eigenen politischen Erfolg und das persönliche Fortkommen.

Und es geht in den USA um nichts weniger als um die Gestalt einer ganzen Nation. Ibram X. Kendi hebt hierbei hervor:

Ich denke, Amerikaner müssen entscheiden ob diese Nation eine multikulturelle Nation ist oder nicht. […] Wir haben noch nicht entschieden, als Staat, nicht einmal als Progressive und Liberale, ob wir eine multikulturelle Nation oder eine monochrome Nation sind.

Daniel Bergner, Whiteness Lessons, The New York Times Magazine, July 19, 2020, p. 50.

Das Beispiel der Justinianischen Pest zeigt deutlich, dass Pandemien Machtverhältnisse verändern und sogar Imperien, die Menschen ausbeuten und ihren Reichtum auf den Schultern anderer aufbauen, in die Knie zwingen können. Es sei an dieser Stelle deutlich hervorgehoben, dass wir gegenwärtig noch nicht das gesamte Ausmaß der Pandemie, ihre zukünftigen Auswirkungen auf die Weltwirtschaft, einzelne Länder oder die Gestaltung des globalen Machtverhältnisses absehen können. Für mich aber bleibt auf dem geschichtlichen Hintergrund ein Hoffnungsschimmer am Horizont der Pandemie: dass die wahre Agenda der jeweiligen Regierung entblösst wird und unter Umständen einem Wechsel zum Besseren weicht.

Hoffentlich ist dies nicht zu spät für eine Weltmacht, die sich über Jahrzehnte als Hüterin der Demokratie und Menschenrechte versteht, und gezwungen wird sich ehrlich mit ihrer eigenen gebrochenen Existenz auseinanderzusetzen. Es bleibt zu hoffen, dass sie dann endlich ihren selbstgegebenen Idealen von Leben, Freiheit und dem Streben nach Glück für alle gerecht wird.


(1) Klaus Bergdolt: Der schwarze Tod Europas: Die große Pest und das Ende des Mittelalters, München 2003, 5. Auflage.

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