Ich seufzte schwer. Unglaubliche achtundzwanzig Jahre hatte mich meine Lieblingstasse durch Dick und Dünn begleitet. Die große, bauchige Melange-Tasse hatte in Momenten der Entspannung einen See leckeren Kaffees mit Milchschaumkronen gehalten. In Zeiten erschöpfender Erkältung wärmespendenden Kräutertee mit cremigen Honig. Wenn Nachdenklichkeit auf meiner Seele lag, hielt meine Lieblingstasse britischen Schwarztee mit einem großzügigen Schuss Vollmilch und brachte meine Gedanken zur Ruhe. In diesen achtundzwanzig Jahren war viel passiert. Ich war gereift, hatte mehrfach theologische Ausbildungen in der lutherischen, reformierten und methodistischen Theologie durchlaufen und war in vielem weiser geworden.

Nun lag die geliebte handgetöpferte Begleiterin in großen Stücken zerbrochen in unserer Spülmaschine. Dank meines Mannes konnte die Tasse wieder geklebt werden- nun sollte aber vermieden werden, dass sie nochmals durch Spülmittel und Gebrauch brach. Also nahm ich mir vor, eine „jüngere“ Schwester zu kaufen. Da die Töpferei, aus der meine Tasse stammte, inzwischen geschlossen worden war, musste ich neu auf die Suche gehen. Mein Weg führte mich daher am „Tag der offenen Töpferei“ zur Töpferei „Filceramics“ im fränkischen Leutershausen.
Als wir den Laden der Töpferei betraten, strahlte uns Handwerkskunst in kräftigen Farben und harmonischen Formen entgegen. Dieses Willkommen setzte sich durch eine persönliche Führung durch die Werkstatt als dem Herzen der Töpferei fort. Mit viel Erstaunen stand ich vor dem massiven Ofen, dessen Boden herausgefahren worden war und erahnen lies, welche wunderschönen Töpferprodukte schon bald einen neuen Besitzer erfreuen würden. Der Anblick des Ofens erinnerte mich an eine Bibelstelle, die vom Erlernen der Weisheit Töpfern und den notwendigen Ofen handelte. Die Koinzidenz der Einblicke in das Töpferhandwerk und der biblischen Worte, die mir in den Sinn kamen, machten mich sprachlos:
Die Weisheit des Gelehrten braucht Zeit und Muße, und nur wer nicht geschäftig ist, wird Weisheit gewinnen. […] Ebenso geht es dem Töpfer; der muss bei seiner Arbeit sitzen und die Scheibe mit seinen Füßen drehen und muss immer um sein Werk besorgt sein und sein bestimmtes Maß an Arbeit tun. Er muss mit seinen Armen aus dem Ton sein Gefäß formen und mit den Füßen kräftig die Töpferscheibe drehen. Er muss daran denken, wie er’s fein glasiert, und früh und spät den Ofen fegen.
Sir 28,29-30




Als uns erklärt wurde, wie der Ofen verwendet würde, wie viel Zeit, Muße und Wissen angewendet werden musste, staunte ich noch mehr, denn das Buch Jesus Sirach, das zu den sogenannten Spätschriften des Alten Testaments gehört und um 190/180 v. Chr. in Jerusalem entstanden war, spiegelte unseren kleinen Besuch im fränkischen Leutershausen wieder: nicht nur durften wir zusehen, wie der Töpfer auf einer Töpferscheibe arbeitete, wir erfuhren von Brand, Glasur & Co., die wunderschöne Töpferprodukte hervorbrachten.

Achtundzwanzig ereignisreiche Jahre mit meiner treuen Begleiterin lagen hinter mir, die mich weiser werden ließen. Nun war ich bereit, eine neue Lieblingstasse an diesem biblischen Handwerksort zu finden. Als ich wenige Minuten später durch den Verkaufsraum schlenderte, strahlte mir eine bauchige, große Tasse in leuchtendem Blau entgegen und ich wusste umgehend: diese Tasse würde meine neue Begleiterin werden, und ich hoffentlich im Lauf der mir noch bevorstehenden Jahre an Weisheit zunehmen.

Möge diese neue Tasse nur Gutes in den kommenden 28 Jahre erleben.! Natürlich du auch!
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