Ausgang und Eingang – Gedanken in der Karwoche

Endlich hatte ich die Osterkrippe aufgebaut. Zwei Tage zu spät. Nach Palmsonntag war mir nicht gewesen, noch hatte ich die Kraft dazu. Traurigkeit, Verärgerung und Fieber hatten in den letzten Tagen das erste Mal in vielen, vielen Jahren ihren Tribut gefordert: das erste Mal brach ich mit der über Jahrzehnte lieb gewonnenen Tradition unsere Osterkrippe mit unseren Kindern an Palmsonntag feierlich aufzubauen.

Heute früh aber war es Zeit dafür geworden. In der Stille der Morgenstunden platzierte ich vorsichtig die fragilen Figuren auf dem Untergrund der Osterkrippe. Flugs hatte sich eine Menge vor den Toren der aus Holz bestehenden Stadt Jerusalem versammelt, die sich Jesus auf dem Eselsfüllen zugewandt hatte und ihm freudig entgegen jubelten. Dabei summte ich leise einen wohlbekannte Kanon vor mich hin.

Ausgang und Eingang. Anfang und Ende.

Mein Blick fiel auf den Weihnachtsstern, der nichts besseres zu tun hatte, als ausgerechnet zum herannahenden Osterfest zu blühen. Ich schüttelte den Kopf über die Launen der Natur, musste aber auch Lächeln. Irgendwie hatte er ja recht, dieser störrische Weihnachtsstern, denn Ausgang und Eingang lagen so nah beieinander. Weihnachten und Ostern. Der Einzug Jesu und sein Tod.

In diesem Jahr fehlte etwas, das sonst nie Platz in unserer Osterkrippe hatte: Weihnachten. Also suchte ich unsere kleine, übersichtliche Krippe mit ihren zarten Figuren und stellte sie auf die andere Seite des Weihnachtssterns.

Ausgang und Eingang. Anfang und Ende.

Ich musste schlucken. Heute würde die Trauerfeier eines Kollegen der Bundespolizei stattfinden. Als Seelsorgerin begleitete ich meine Polizeischülerinnen und -schüler, die ihn kannten und um ihn trauerten, dorthin. Viel zu jung wurde er in Gottes Ewigkeit gerufen und hinterließ eine Witwe, die ihr ungeborenes Kind unter ihrem Herzen trug. Auf einmal waren Ausgang und Eingang so schmerzhaft nah, dass es ein Beben in unserem Innersten auslöste. Sterben und neues Leben. Weihnachten und Ostern. Alles kam an diesem Tag in einem Menschenschicksal zusammen.

Im Psalm heißt es vorher:

Der HERR behüte dich vor allem Übel,
er behüte deine Seele.

Psalm 121,7

Vor allem Übel hatte der Herr den Kollegen nicht bewahrt, aber seine Seele war nun in Gott geborgen. Ostern würde in einigen Tagen anbrechen und hoffentlich die österliche Botschaft, dass der Tod nicht das letzte Wort hat, auch die Betroffenen mit Zuversicht mitten in dieser schweren Zeit erfüllen.

Denn auch wenn wir es als Menschen kaum ergründen können:

Ausgang und Eingang, Anfang und Ende, liegen bei dir, Herr, füll uns die Hände.

4 Gedanken zu “Ausgang und Eingang – Gedanken in der Karwoche

  1. Avatar von Manuela Brenzinger Manuela Brenzinger

    Liebe Frau Gross,

    vielen Dank für Ihr wunderbaren Worte und Gedanken. Eine Osterkrippe kannte ich bisher nicht. Das habe ich jetzt also auch noch etwas dazugelernt. 
    Herzliche Grüße aus München und eine frohes Osterfest. 
    Manuela Brenzinger

    <

    div>

    <

    div dir=“ltr“>V

    Gefällt 1 Person

    1. Liebe Frau Brenzinger,
      eine Osterkrippe ist solch eine Bereicherung. Leider sind sie inzwischen sehr schwer erhältlich. Für uns ist sie eine verlässliche Begleiterin im Osterfestkreis.
      Herzliche Grüße
      Miriam Groß

      Like

  2. Avatar von Arthur Turfa aturfa

    Hallo Miriam!    Hoffentlich geht es dir heute etwas besser. Da du über „Ausgang“ geschrieben hast, fiel mir diese Reiseerrinerung ein.Da es auf Englisch geschehen ist, schreib ich auf diese Sprache.     June 1973- my first trip to Europe. I had a EURAIL Pass. Flew Icelandic to Luxembourg, then to Cologne to see friends. Then off to Hamburg. I was in a compartment with a retired couple from Florida, who told me they were going to Hamburg, and their hotel was right across from the train station. The next day they were on a Baltic cruise.     I was bearded and long-haired. They sat near the windows. When I asked where we were, she said „Ausgang.“ I explained that meant „Exit“. She told me that railroad stations had signs with the names of the stations on them. I was going to mention I had been on commuter trains to Philly many times, but figured they had already written me off as a hippy.    After another few „Ausgang“ signs I said it must be a popular name. Then I dozed off. After some time I was awakened by shouts of „We’re in Hamburg!“ and huge suitcases being taken down from overhead. I got my two light bags and followed them out of the train, only to see a sign saying „Hamburg-Harburg“. I tried to get their attention to tell them we were not at „Hamburg Hbf“, but they were already in a crowd going down the steps. I look at the schedule and within 10 minutes was on a local train.    In 1973 I do not believe you were in the world!    Gott segne dich und die Deinen!    LG

    Gefällt 1 Person

Hinterlasse eine Antwort zu aturfa Antwort abbrechen