„Der Mensch lebt nicht vom Brot allein“

Von Tafeln, Grundsicherung und aufbauenden Worten

Das Toastbrot reihte sich in ordentlichen Reihen und unterschiedlichen Geschmacksrichtungen aneinander. Die Donuts in Erdbeer-Rosa wechselten sich mit denen in dunklem Schokoladen-Braun ab. Den saftigen Blattspinat hatte ich in Tüten portioniert und ebenso auf dem großen Tisch platziert als mir die Leiterin unserer Tafel eine großes Packet mit Bibeln in Ukrainisch entgegenstreckte, die uns von der Bamberger Gruppe des Gideonbundes geschenkt worden war. Als diese ihren Ort auf dem großen Tisch erhalten hatten, war es bereits Zeit für die Ausgabe. Wir eilten alle nach einem kleinen Briefing zurück an unseren Ausgabeort. Meine Hand strich leicht über die bereitgestellten Bibeln, die in einer mir fremden und so wichtigen Sprache gedruckt worden waren. „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein“, schoß es mir heiß und kalt durch den Kopf. Doch nun war keine Zeit zum Einhalten. Die ersten Kunden warteten bereits an meinem Tisch darauf, die bereitgestellten Waren erhalten zu können.

Die Ausgabe war schon zur Hälfte verstrichen, als eine ukrainische Kundin mit ihren zwei Töchtern Toastbrote entgegennahm. Während ich der Mutter mit Händen und Füßen den Unterschied zwischen Vollkorn- und Buttertoastbrot erklären wollte, glitt die ältere, ungefähr zwölfjährige Tochter leise am Tisch entlang und strich vorsichtig über die ukrainischen Bibeln. Sie sah mich fragend mit ihren großen dunklen Augen an. Ich nickte aufmunternd und schob ihr lächelnd eine Bibel zu. Schnell nahm sie das dunkle Buch wie eine wertvolle Fracht entgegen und barg sie in einer zärtlichen Umarmung in ihren Händen. „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht,“ sagt Jesus in Mt 4 und verweist hierbei auf ein Schriftstück in der Thora (Den 8), die zum Mittelpunkt die Dankbarkeit gegenüber Gott hat, der trotz all der Herausforderungen für Speise gesorgt hat.

Das junge ukrainische Flüchtlingsmädchen verstand diese Anspielung Jesu intuitiv und hatte daher nicht nur dankbar Essen, das zur Grundsicherung half, entgegengenommen, sondern das Wort Gottes mit in ihr vorübergehendes deutsches Zuhause genommen. So half die Tafel durch den Gideonbund die aufbauenden und mutmachenden Worte Gottes weiter zuschenken. Ihr Strahlen und die zärtliche Umarmung der Bibel haben sich in mein Gedächtnis eingebrannt. Ein wunderbares Geschenk, das ich an diesem Samstag erhielt und auf das verwies, was wichtig ist: das Brot des Lebens – literal durch die Grundsicherung, die die Tafel schenkt, und übertragen durch die Bibeln, die nun nach und nach ihren Weg zu ukrainischen Flüchtlingsfamilien finden werden.

Von Tafeln, steigender Bedürftigkeit und Gottesbegegnungen

Hektisch tippte ich auf meinem Mobiltelefon das Wort „Kaffee“ ein. Hinter der ukrainischen Kundin hatte sich inzwischen eine ungeduldig drein blickende Schlange gebildet. Viele Personen kannten den Ablauf bei unserer Tafel sehr gut und wollten aufgrund des strahlenden Wetters zügig ihre Einkäufe erledigen, um dann die wunderschönen Sonnenstrahlen am freien Samstagnachmittag zu genießen. Als nach einer gefühlten Ewigkeit endlich aufgrund der schlechten Verbindung die ersehnte Übersetzung auf meinem Handy erschien, hielt ich sie ihr entgegen. Sie nickte kurz und sprach dann in Ukrainisch weiter. Wieder versuchten wir über das Handy zu kommunizieren. Bis dato konnte ich mich zumeist aufgrund meiner Englischkenntnisse mit den meisten Personen gut verständigen. Nun aber war ich an meine Sprachgrenzen gestoßen. Ich lächelte sie unsicher an und bot ihr eine Auswahl an verschiedenen Lebensmitteln an. Auch sie zuckte kurz mit den Schultern, nahm nickend einiges davon entgegen und verließ die Tafel mit mehreren prall gefüllten Tüten.

Auch in Bamberg wird der Ukrainekrieg nun deutlich sichtbar und für mich in meinem Engagement bei der Tafel erfahrbar. Stetig steigen die Zahlen unserer Kunden, die aufgrund der rasant steigenden Lebenshaltungskosten immer mehr auf die Einrichtung der Tafel angewiesen sind. Aber auch ukrainische Flüchtlinge erhalten hier die notwendige Unterstützung an Lebensmitteln, damit ihre Not so gut wie möglich gelindert wird. Herr Dorsch und Frau Relevant als Leiter und Leiterin der Bamberger Tafel leisten mit einem engagierten Team an Ehrenamtlichen und Sozialstundenleistenden Erstaunliches.

Seit Wochen ist für mich die Tafel ein Ort geworden, an dem ich Gott begegnen kann. Und zwar im Angesicht der bedürftigen und zu unterstützenden Personen, die Woche um Woche dort Hilfe suchen und deren finanzielle Not durch umfangreiche Lebensmittelspenden gelindert wird. Für mich ist Gott so vielgestaltig wie die Menschen, die diese Erde bereichern. Nicht umsonst heißt es im Schöpfungsbericht: „Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum dem Bilde Gottes schuf er ihn.“ (Gen 1,27a) So ist für mich Samstag für Samstag die Tafel ein Ort der vielfältigen Gottesbegegnung, die ich durch die erleben darf, die am Rande unserer Gesellschaft sind.

Ich habe versucht, meine Erfahrungen in ein kleines Gedicht zu fassen, das Mt 25,31-40, eine der für mich wichtigen biblischen Textstellen mit meinen Erfahrungen verknüpft.

Gottesbegegnungen in der Tafel

Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben.

Gott kommt mir nah im müde lächelnden älteren Kunden, dessen Augen trotz der tiefen Schatten in seinem Gesicht strahlen während er sich ein Stück frische Torte an der Kuchentheke auswählen darf.

Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir zu trinken gegeben.

Gott kommt mir nah im freudig jubilierenden Jugendlichen, der einen „hippen“ und sonst zu teuren Eistee mit nach Hause tragen darf.

Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen.

Gott kommt mir nah in der nur gebrochen Deutsch sprechenden Kundin, die mich bittend ansieht und „Chocolata“ beim Betrachten der Gebäckstücke so zärtlich ausspricht, dass sich Schokolade wie Streicheleinheiten anhört und mein Herz dahinschmilzt.

Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich gekleidet.

Gott kommt mir nah, wenn ich im kleinen Gebrauchtwarenladen der Tafel die Mutter beobachte, die Strampler genau überlegend nebeneinander legt und vorsichtig abwägt, welcher ihr schmales Budget für das sich ankündigende Kind erlauben würde.

Ich bin krank gewesen und ihr habt mich besucht.

Gott kommt mir nah während die Leiterin davon erzählt, dass sie langjährigen Kundinnen und Kunden, die dauerhaft schwer erkrankt sind und sich aufgrund von COVID nicht mehr zur Tafel trauen, Essenspakete trotz der vielen geleisteten Stunden nach Hause liefert.

Ich bin im Gefängnis gewesen und ihr seid zu mir gekommen.

Gott kommt mir nah in den Sozialstundenleistenden. Einige sind bereits jungen Jahren im eigenen Gefängnis und der Spirale von Kriminalität gefangen. Durch ihre Tätigkeit bei der Tafel hoffe ich, dass sie sich aus diesen Fesseln befreiten.

Denn: Was wir unseren geringsten Brüdern und Schwestern getan haben, das haben wir Jesus selbst getan.

Von einem wertvollen Centstück und dem Scherflein der armen Frau

Hektisch hatte ich die Taschen meiner Winterjacke, dann meiner Lieblings-Fleecejacke durchsucht. Doch nirgends war das Centstück zu finden. Ich schüttelte leise vor mich hinmurmelnd den Kopf und dachte nochmals scharf nach als mir plötzlich die Idee kam, in meiner Jeanshose nachzusehen. Ich griff in die rechte Hosentasche der in die Jahre gekommenen Jeans und spürte das kühle, kleine runde Glatt der Münze in meiner Hand. Ein tiefer Seufzer der Erleichterung entwich mir. Endlich hatte ich das Centstück wieder gefunden.

Während ich die glänzende Münze in meiner Hand hin und her drehte, musste ich an die liebe Kundin denken, die mir diese vor einigen Wochen geschenkt hatte. Über die Kuchentheke der Tafel hinweg hatte sie mir freudestrahlend ein mit Centstücken gefülltes Glas hingehalten. „Ich habe Ihnen etwas mitgebracht! Nehmen Sie als kleines Geschenk einen Cent heraus. Der soll Ihnen Glück bringen und Sie an mich erinnern. Durch Ihre Arbeit hier bei der Tafel helfen Sie mir und meiner Familie über die Runden zu kommen.“ Ich schluckte schwer während ich spürte, wie meine Augen sich mit Tränen füllten. Daher griff ich schnell in das Glas und lies das Centstück in die rechte Hosentasche meiner Jeans verschwinden. „Herzlichen Dank! Der Cent wird mich immer an Sie erinnern. … Was kann ich heute Gutes für Sie tun? … Wie immer etwas mit Schokolade für Ihre Kinder?“ Die Frau strahlte zurück und nickte während ich ihr ein schokoladiges Kuchenpaket zusammenstellte.

Das Centstück wurde ab diesem Tag zu einem wertvollen Erinnerungsstück an eine besondere Frau, die unverschuldet in eine schwere Notlage geraten war und ihre Familie mit der Hilfe der Bamberger Tafel über die Runden brachte. An diesem Nachmittag war ich sehr erleichtert, die wertvolle Münze wieder in meinen Händen zu halten.

Immer wieder erinnert mich das besondere Geschenk an die biblische Geschichte, die als „Das Scherflein der Witwe“ bezeichnet wird:

Und er [Jesus] lehrte sie und sprach: Seht euch vor vor den Schriftgelehrten, die gern in langen Gewändern umhergehen und sich auf dem Markt grüßen lassen und sitzen gern obenan in den Synagogen und beim Gastmahl; sie fressen die Häuser der Witwen und verrichten zum Schein lange Gebete. Die werden ein umso härteres Urteil empfangen.

Und Jesus setzte sich dem Gotteskasten gegenüber und sah zu, wie das Volk Geld einlegte in den Gotteskasten. Und viele Reiche legten viel ein. Und es kam eine arme Witwe und legte zwei Scherflein ein; das ist ein Heller. Und er rief seine Jünger zu sich und sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr in den Gotteskasten gelegt als alle, die etwas eingelegt haben. Denn sie haben alle von ihrem Überfluss eingelegt; diese aber hat von ihrer Armut ihre ganze Habe eingelegt, alles, was sie zum Leben hatte.

Mk 12,38-44

Das Wort „Scherf“ oder Mittelhochdeutsch „scherben“, „scharben“, „einschneiden“ ist mit der dem Begriff der Scherbe verwandt. Früher hatten Silberpfennige Sollbruchstellen, damit sie für kleinere Werte geteilt werden konnten. Nach dem Brechen wurden sie als „Scherben“ bezeichnet. (1) Das Scherflein ist die Verkleinerungsform von Scherf. Martin Luther hatte in seiner Übersetzung von Mk 12,42 das Wort mit „Scherflein“ wiedergegeben und damit einen kleinen, aber anerkennenswerten Beitrag zum Ausdruck bringen wollen.

Die junge Familienfrau hatte mich durch ihr kleines Geschenk reich beschenkt, denn trotz ihrer Armut und Angewiesenheit auf Hilfe wie die der Tafel gab sie uns Helferinnen und Helfern von Herzen etwas von ihrem wenigen Hab und Gut. Dies mag nominell wenig sein, aber wie wir aus der biblischen Geschichte erfahren, ist es ungemein mehr als das einer reichen Person, die in Überfluss lebt.

Seit diesem Tag ist mir das kleine Centstück zu einer wichtigen Erinnerung und einem Ansporn geworden, den Segen, den Gott so vielfältig in mein Leben legt, mit anderen zu teilen, die im wahrsten Sinn des Wortes jeden Cent umdrehen müssen, um über die Runden zu kommen.


(1) Siehe: Kluge. Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Bearbeitet von Elmar Seebold. 25., durchgesehene und erweiterte Auflage. De Gruyter, Berlin/Boston 2001; Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. Erarbeitet unter der Leitung von Wolfgang Pfeifer. 2., durchgesehene, verbesserte und ergänzte Auflage. Akademie, Berlin 1993; unter Scherflein.