Oder: Zwischen Glühwein und Krippe
Helles Strahlen erleuchtete den sonst sehr nüchternen Bamberger Maxplatz an diesem kalten Dezemberabend. Mein Blick wanderte über die XXL-Weihnachtspyramide, die sich vor uns imposant am Rand des Bamberger Weihnachtsmarktes erhob. Geschäftiges Treiben mit freudig strahlenden Menschen, die einen Glühwein erworben hatten und ihn zu den wartenden Liebsten brachten, ergoss sich von der strahlenden Pyramide aus über Teile des Marktes.
Mein Blick löste sich langsam vom Gedränge unterhalb der Pyramide und fand Halt an ihrer untersten Ebene. Dort, wo die Krippenszene aufgebaut war, wirkte alles überraschend ruhig. Maria saß still, nicht idealisiert, sondern gegenwärtig. Josef stand etwas seitlich, nicht im Zentrum, eher wachend als präsentierend. Das Kind lag zwischen ihnen, nicht herausgehoben, sondern eingebettet. Ochs und Esel rahmten die Szene, als hielten sie den Raum. Die Figuren drehten sich gemächlich, als hätten sie alle Zeit der Welt, und ich hatte den Eindruck, dass genau darin ihre Wirkung lag.
Direkt darüber erschienen die drei Weisen. Sie standen bereits nahe beim Kind, nicht mehr unterwegs, sondern angekommen. Ihre Gaben hielten sie nicht erhoben, sondern zurückhaltend, beinahe vorsichtig. Ihre Körper waren dem Geschehen unter ihnen zugewandt, ihr Blick gesammelt. Es war kein Moment des Triumphs, sondern einer des Erkennens. Ein Verweilen, das nichts forderte.
Noch eine Ebene höher veränderte sich die Wahrnehmung. Hier löste sich der Blick vom Irdischen. Schließlich blieb er beim Engel stehen. Er erhob sich über die anderen und drehte sich langsam mit der Pyramide. Seine Arme waren geöffnet wie zwei Schalen oder wie eine Geste, die abwog.
Ich musste unwillkürlich lachen. Diese Geste war gerade in aller Munde. 67, so wurde sie genannt. Entstanden aus einem kurzen Video und Meme, vielfach geteilt, kommentiert, ironisiert. Eine Bewegung zwischen Abwägen und Achselzucken, zwischen Unsicherheit und stillem Einverständnis. Dass sie mir hier begegnete, in Holz geschnitzt und der Eile entzogen, wirkte zugleich komisch und erstaunlich passend.
Beim Engel jedoch verlor diese Geste ihre Flüchtigkeit. Sie wirkte nicht beiläufig, nicht witzig, nicht resigniert. Seine geöffneten Hände hielten nichts fest. Sie zeigten auf nichts. Sie ließen Raum. Vielleicht war er ratlos. Nicht grundsätzlich, nicht existenziell, sondern auf diese leise, freundliche Weise, die entsteht, wenn alles Wesentliche da ist und sich dennoch die Frage stellt, ob es auch wahrgenommen wird.

Vielleicht galt sein Blick nicht der Darstellung unter ihm, sondern den Menschen. Dem bunten Treiben auf dem Maxplatz, dem Kommen und Gehen, dem Lachen, den Gesprächen, die sich mit Musik und Glühweinduft vermischten. Vielleicht fragte er sich, ob die Botschaft, die dort unten so klar vor Augen stand, hier auch gehört wurde. Ob sie ankam zwischen Bechern und Begegnungen. Ob das Wort, das Fleisch geworden war, Resonanz fand.
Und doch lag in seiner Haltung nichts Forderndes. Keine Ungeduld. Keine Mahnung. Vielleicht wusste dieser Engel um den Unterschied der Zeiten. Darum, dass Gottes Zeit nicht mit der unseren zusammenfällt. Dass Menschen hören, wenn sie hören wollen – nach ihrem eigenen Belieben. Und dass das göttliche Wort nicht vergeht, auch wenn es vielleicht übersehen wird.
„Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns,
Joh 1,14 (Lut 2017)
und wir sahen seine Herrlichkeit,
eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater,
voller Gnade und Wahrheit.“
Vielleicht war diese Geste deshalb so vertraut. Nicht, weil sie gerade populär war, sondern weil sie älter ist als jeder Trend. Offene Hände. Ein Abwägen ohne Ungeduld. Ein Wissen darum, dass sich Wahrheit nicht beschleunigen lässt.
Bei den Engeln, dachte ich, ist diese Bewegung zeitlos. Kein Schulterzucken. Kein Zeichen von Ratlosigkeit im menschlichen Sinn. Eher ein Aushalten dessen, was noch unterwegs ist. Ein Halten der Zwischenzeit.
Der Engel drehte sich weiter. Gelassen. Mit offenen Händen.
Ich tauchte erheitert und zugleich getröstet aus meinen Gedanken auf, als mein Mann meine Hand drückte und mich ansah. Ob wir einen Glühwein trinken wollten, fragte er, ganz selbstverständlich, als wäre nichts geschehen.
Ich nickte.
Bevor wir uns umdrehten, hob ich noch einmal den Blick. Der Engel drehte sich weiter, gelassen, die Hände offen. Ich schickte ihm ein stilles, dankbares Lächeln. Für die Erinnerung daran, dass nicht immer alles erklärt, nicht alles begriffen, nicht alles sofort klar sein musste.
Zu Gottes Zeit würde offenbar werden, was jetzt noch offen blieb.
Das Wort Gottes war längst da.
Und für diese Zwischenzeit war das genug.