Von biblischen Bädern, Predigtherausforderungen und Vereidigungen

Auf meinem Schreibtisch hatte sich leibgewonnene theologische Fachliteratur eingefunden, denn Wichtiges zeichnete sich am Horizont meiner beruflichen Aufgaben als Polizeiseelsorgerin ab: ich sollte an der bevorstehenden Vereidigung von 686 Polizeimeisteranwärterinnen und -anwärter predigten. In dem kurzen Gottesdienst vor der Vereidigungszeremonie waren fünf Minuten Predigtzeit vorgesehen, in denen ich den jungen Kolleginnen und Kollegen Gedanken mit auf ihren beruflichen Weg mitgeben durfte. Stärkend sollte es meiner Meinung nach sein, aber auch mit dem nötigen Anspruch an die vor ihnen liegende wichtige berufliche Aufgabe.

Nachdenklich sah ich auf den biblischen Text:

Fürchte dich nicht, ich bin mit dir; weiche nicht, denn ich bin dein Gott. Ich stärke dich, ich helfe dir auch, ich halte dich durch die rechte Hand meiner Gerechtigkeit.

Jesaja 41,10

Nach einem tiefen Seufzer der Ratlosigkeit, gab ich mir einen Ruck und tauchte in altbekannte theologische Gefilde des althebräischen Textes ab, der sich wie ein warmes Bad der Gelassenheit und Ruhe anfühlte.

אַל־תִּירָא֙ כִּ֣י עִמְּךָ־אָ֔נִי אַל־תִּשְׁתָּ֖ע כִּֽי־אֲנִ֣י אֱלֹהֶ֑יךָ אִמַּצְתִּ֨יךָ֙ אַף־עֲזַרְתִּ֔יךָ אַף־תְּמַכְתִּ֖יךָ בִּימִ֥ין צִדְקִֽי׃

Während Verben des Zuspruchs wie des Aufrufs sich nicht zu fürchten, der Zusage der Begleitung, der Stärkung und Hilfe an mir vorüber schwammen und ich an mancher Stelle tiefer in den Text und andere Bibelstellen eintauchte, die diese Worte ebenso beinhalteten, wich langsam aber sicher die Unruhe von mir. Die Frage, was ich meinen Polizeimeisteranwärterinnen und -anwärtern mitteilen wollte, wich einer Faszination des Bibeltextes, der vor allem zum Ende hin immer dichter und aussagekräftiger wurde.

ימִ֥ין – rechte Hand

צִדְקִֽי – meine Gerechtigkeit

Die letzten beiden Begriffe zogen mich magisch an und wie aus dem Dampfnebel des althebräischen Bades zeichneten sich langsam, aber sicher die Konturen einer Predigtidee ab.

Das Eintauchen in das althebräische Bad hatte mir neue Kraft und Inspiration für die anstehende Herausforderung geschenkt. Nun war es Zeit, aus dem wohltuenden Bad des Althebräischen emporzusteigen und mich der Herausforderung der Predigt zu stellen. Während ich mich an den letzten beiden Begriffen festhielt, tauchte ich vollends aus dem biblischen Urtext auf.

Wenige Zeit später glitten meine Finger flink über die Tastatur des heimischen Computers und woben mit Zuversicht Gedanken zu einem kleinen Predigttext zusammen. Nun konnte die Vereidigung kommen.


Predigt anlässlich der Vereidigung von BA 22 II und 23 I am 13.5.2023

Bamberger Dom

– es gilt das gesprochene Wort –

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.

Amen.

Hände.

Sie sind ein solch wichtiger Teil unseres Körpers.

Kein Wunder, das sie vom Anfang unserer Menschheitsgeschichte an sichtbare Spuren zum Beispiel in Architektur, Kunst und Malerei hinterließen.

Da denke ich zum Beispiel an die ersten Abbildungen der Höhlenmalerei, zu denen nicht nur als Jagdzauber gemalte Tiere gehören. Da sind auch die vielen Hände. Große und kleine. Blasser und stärker hervortretend. Spuren derer, die einst waren und die ihre Anwesenheit, ihre Gegenwart in den Fels schrieben.

Hände.

Sie spielen eine zentrale Rolle im Leben. Wer schon einmal auf eine Hand verzichten musste, weil er sie verletzt oder gebrochen hatte, weiß wovon ich rede.

Durch sie meistern wir unser Leben.

Durch Hände werden wir zu kreativen, schöpferischen Wesen.

Durch Hände lassen wir andere spüren, was uns bewegt. Manchmal schmerzhaft durch ihre Kraft. Manchmal liebevoll durch ihre Zärtlichkeit.

Durch Hände setzen wir Zeichen. Die Schwurhand ist ein visualisierter Ausdruck gewichtiger Worte.

Spätestens beim Eintritt in die Schule achten wir auf die Präferenz einer Hand.

Nun würde mich interessieren, liebe Gottesdienstbesucherinnen und -besucher, welche Hand Ihre präferierte wäre. Aber eine solche Umfrage zu starten, wäre zu zeitaufwendig. Daher greife ich heute auf eine Untersuchung des Psychological Bulletins vom Jahr 2020 zurück, an der 2,396,170 Probanden teilnahmen. Laut dieser Untersuchung sind 89,4 % aller Menschen Rechtshänder. Wie diese so geprägt wurden, ist umstritten und würde zu weit führen.

Interessant in diesem Zusammenhang finde ich, dass der biblische Spruch, den ich für die heutige Vereidigung ausgewählt habe, das Bild der rechten Hand ebenso verwendet und auf Gottes Handeln überträgt.

Gott spricht:

Fürchte dich nicht, ich bin mit dir; weiche nicht, denn ich bin dein Gott. Ich stärke dich, ich helfe dir auch, ich halte dich durch die rechte Hand meiner Gerechtigkeit.

Die rechte Hand, von der Jesaja spricht, im Hebräischen als ימִ֥ין („Jamin“) bezeichnet, meint die rechte Hand Gottes, die von Gerechtigkeit geleitet, Sie in Ihrem Dienst halten und schützen soll.

Als Seelsorgerin hoffe ich, dass Sie diese Stärkung und Hilfe spüren und erleben können, denn Ihr Dienst und Ihr Einsatz für unser Grundgesetz, das auf christlich-jüdischem Fundament ruht, ist nicht einfach.

Viele von Ihnen begleite ich im berufsethischen Unterricht und Sie haben im Rahmen des Eidunterrichtes von der wechselhaften Geschichte des Eides erfahren. Darüber diskutiert und leider auch hören müssen, wie manche Eide für politische Zwecke missbraucht wurden. Sie aber stellen sich in den Dienst unseres Grundrechtes und werden nach dem Eid dieses in praktische Taten umsetzen – immer mit dem Blick auf das eigene Gewissen.

Im Bibelvers wird Ihnen daher Mut zugesprochen. Fürchte dich nicht!, heißt es dort. 124 mal findet man diese Ermutigung in der Bibel. Dieser Ausspruch wird gerade dort laut, wo etwas Neues beginnt oder ein neuer Weg noch recht jung ist und Menschen Zuspruch benötigen.

Da denke ich zum Beispiel

an den Stammvater Abraham, der aufbricht,

an Mose, der das Volk aus der Sklaverei führen sollte,

an Ruth, die ihre Schwiegermutter begleitete,

an die vielen Propheten, deren Aufgabe es war, Gottes Gerechtigkeit in dieser Welt stark zu machen,

an die Geschichte der Maria oder die Hirten auf dem Feld.

Das erklungene „Fürchte dich nicht“ deckt natürlich nicht irgendwelche utopische Vorstellungen ab. Es ist vielmehr ein göttlicher Mutmacher.

Denn ein Einsatz für Recht und Gerechtigkeit ist eine große Herausforderung. Der heutige Bibeltext Ihrer Vereidigung spricht im Hebräischen von צדקי („Zedakah“), der Gerechtigkeit, die ihren Ursprung und Auftrag in Gott hat.

Sich für Recht und Gerechtigkeit einzusetzen, fordert die Bibel, nein besser: gehört der Bibel nach zum selbstverständlichen menschlichen Handeln. Die biblischen Propheten klagen Gerechtigkeit immer wieder ein. Dabei ist es ihnen egal, ob sie einem Herrscher, König, Bürgermeister oder einer anderen hochgestellten Person gegenüber treten. Ihr Gewissen, das ausgerichtet ist an Gottes Gerechtigkeit, gibt ihnen den Mut und Auftrag, dies zu tun. Wer sich für Gerechtigkeit und Menschenrechte einsetzt, ist in guter biblischer Gesellschaft.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute werden Sie Ihren Eid sprechen und sich verpflichten, unser Grundgesetz und die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland zu schützen, die im Herzen die Menschenwürde als Dreh- und Angelpunkt tragen. Immer mit dem Blick auf das eigene Gewissen.

Der heutige Bibeltext möge Sie in Ihrer Tätigkeit begleiten – in Zuspruch und Anspruch zugleich:

Denn Gott spricht:

Fürchte dich nicht, ich bin mit dir; weiche nicht, denn ich bin dein Gott. Ich stärke dich, ich helfe dir auch, ich halte dich durch die rechte Hand meiner Gerechtigkeit.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen.

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