Frauen.Taten.Werke – von mutigen Frauen und katholischen Perspektivwechseln

Gebannt starte ich auf ein Kunstwerk, auf dessen schwarz gehaltenem Untergrund sich verschiedene Konturen von Personen und Symbolen, mal dominant, mal zart, mal fast durchsichtig scheinend abhoben. Während durch ein hell erleuchtetes Fenster, dessen Sims sich bei genauerer Betrachtung fast dreidimensional abhob, gleißendes Licht auf die Mitte des Bildes fiel, sah ich wie gebannt auf das diagonal im Bild unten liegende und bekannte Antlitz Martin Luthers. Wer kannte das Gemälde des bekannten Reformators nicht, das aus der Werkstatt Lucas Cranachs des Älteren stammte und so manches Lutherbuch oder Publikation über den ehemaligen Augustinermönch und Theologieprofessor zierte, dessen Thesen die Welt und die religiöse Welt veränderten?

Gerade in dieser Ausstellung des Diözesanmuseums Bamberg, an dessen Ausstellungseröffnung ist stellvertretend für den Leiter unseres Bundespolizeiaus- und -fortbildungszentrums teilnehmen durfte, hätte ich nie das Gesicht des evangelischen Reformators vermutet. Nachdem ich vielfach durch die Welt gereist bin, andere Religionen und Kulturen kennenlernen und ergründen durfte, ist es nun die römisch-katholische Glaubens- und Religionswelt, in die ich seit kurzem in Bamberg als dem „fränkischen Rom“ eintauchen darf.

Bevor ich ins Grübeln verfallen konnte, holte mich die Künstlerin Marion Albrecht in meinen Gedanken ab, indem sie Element um Element von der bekannten Darstellung Luthers aus das Leben und Wirken Caritas Pirckheimers, der Äbtissin des Klarissenklosters ausführte. Eine völlig neue Gedankenwelt eröffnete sich mir bei dieser Ausstellungseröffnung, die Frauen, ihre Lebensgeschichten und ihre Berufung zum Mittelpunkt von Kunst und Geschichte aus katholischer Perspektive in den Mittelpunkt rückten.

In meiner Identität als Lutheranerin und Frau rührte mich die Geschichte der mutigen Äbtissin an, denn sie zeigte eine überraschende Facette der Reformationsgeschichte auf, die mir in dieser Weise erst durch das Darstellungsmittel der Kunst emotional in seiner Tiefe bewusst wurde.

Während das eine Bild mich durch das Antlitz Luthers angezogen hatte, sprach mich das zweite Bild, das aus einer Kombination von Stoff und Malerei bestand, durch einen fast brutal wirkenden Riß an.

Ein Blick in die Geschichte half mir im Nachhinein, die Vehemenz dieser Darstellung verstehen zu können. Aber erst einmal der Reihe nach:

Eine wahrlich bedrohliche Situation muss es damals gewesen sein, als die Reformation so manche (damals noch nicht als römisch-katholisch bezeichnete) kirchliche Institution ereilte. Die damals noch eine Kirche war dringend reformbedürftig und durch die Thesen Martin Luthers und seiner Mitstreiter, die Gnade als Zugang zu Glaube und Erlösung im Gegensatz zu jeglichem Werk hervorhoben, in Frage gestellt worden. Nun wankte die römisch-katholische Kirche in ihren Grundfesten und damit alle betroffenen Bereiche.

Die Einführung der neuen Lehre in Nürnberg 1525 bedeutete das Ende des mittelalterlichen Klosterwesens und brachte damit die Klarrissen in Existenznöte.

Eva Schlotheuber: Willibald und die Klosterfrauen von Sankt Klara – eine wechselhafte Beziehung, in: Willibald Pirckheimer und sein Umfeld, Pirckheimer Jahrbuch für Renaissance- und Humanismusforschung, Band 28, Wiesbaden 2014, S. 59.

Hierbei sei angemerkt, dass Nürnberg bereits ein Jahr vorher Veränderungen der Reformation umsetzen wollte. So sollten ab 1525 alle Klöster nach einer Forderung Luthers in Schulen umgewandelt werden. (1) Viele gingen dieser Veränderung wohlwollend und freiwillig nach. Doch beim Nürnberger Klarrissenkloster bot sich ein anderes Bild: Die Nonnen wollten sich dieser Forderung nicht anschließen, da sie in ihrer klösterlichen Gemeinschaft, die für sie wie eine Familie war, eine für sie stimmige Glaubens- und Lebensform gefunden hatten. Nun aber drohte die Auflösung dieser Glaubensgemeinschaft. Bei diesen Auseinandersetzungen erwies Caritas Pirckheimer unglaublichen Mut und nutzte die durch ihr familiäres und humanistisches Umfeld zugute gekommene Bildung, um zu überzeugen:

Pirckheimer verteidigte den Konvent mit allen Kräften, schrieb Eingaben und Briefe. Dabei berief sie sich – wie Luther in Worms – auf ihr gewissen und erinnerte die Evangelischen an die tolerante Haltung der Türken, die Andersgläubige unter ihrer Religion duldeten. […] In ihrer Not wandte sich Pirckheimer an ihren Bruder, den Humanisten Willibald Pirckheimer. Dieser schrieb im Frühjahr 1525 einen Brief an seinen alten Freund Melanchthon, schilderte ihm mit herzergreifenden Worten die Situation und bat ihn zu intervenieren.

Martin Jung: Philipp Melanchthon und seine Zeit, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2011, S. 41-42.

Auf die Bitten des Freundes hin besuchte Melanchthon die Klarrissinnen und als Caritas die Gnade Gottes als Mittelpunkt ihres Glaubens hervorhob, wurde zu einem ihrer Fürsprecher. Nur in der Frage des Gelübdes waren Melanchthon und die mutige Klarrissin nicht überein gekommen. Dennoch setzte Melanchthon sowie ihr Bruder Willibald sich beim Rat der Stadt für die Nonnen ein, die schließlich in der von ihnen gewählten Gestaltung des Glaubenslebens in ihrem Kloster verbleiben durften.

Kein Wunder, dass die Künstlerin Marion Albrecht aufgrund der großen Bedrohung für das Klarrissenkloster solch einen großen Riss in ihr Kunstwerk eingebracht hatte. Doch wie das Kunstwerk, hielt diese Gemeinschaft durch eine mutige, kluge Frau den negativen Auswirkungen Sturm der Reformation stand.

Als evangelische Pfarrerin, die in einer Ehe mit Kindern leben darf, ist mir der Gedanke der Ehelosigkeit fremd. Den Mut und das Opfer eines Verzichts auf Ehe und Familie, den meine katholischen Glaubensgeschwister für eine vollumfängliche Berufung leben, bewundere ich sehr. Solch ein schmerzhaften Verzicht könnte ich kaum leben.

Jenseits dessen war es der überraschende Perspektivwechsel durch die Künstlerin, die die Biografie einer standhaften Frau emotional greifbar machte und mich nachdenklich stimmte: letztgültig kämpfte Caritas Pirckheimer um eine von ihr gewählte Gestaltung ihres Glaubenslebens, die wir heute unter dem Grundrecht der Religionsfreiheit verorten würden. Dieses war damals vor über 500 Jahren durch die Reformation in Gefahr geraten. Eine düstere Facette der Reformationsgeschichte, die durch eine mutige katholische Frau mir als evangelische Pfarrerin eine andere, schmerzhafte Seite des Ursprungs meiner Konfession aufzeigt: in der Freude und Befreiung des einen kann unter Umständen der Schmerz und das Leid einer anderen liegen. Eine wichtige Mahnung aus der Zeit der Reformation, die uns verpflichtet für die im Grundgesetz verankerte Religionsfreiheit in der Gegenwart einzutreten.

Ich kann Ihnen, lieber Leser und liebe Leserin, diese Ausstellung zu einem Besuch sehr anempfehlen. Diese wird bis zum 10.10.2023 im Diözesanmuseum Bamberg angeboten. Weitere Informationen erhalten Sie auf deren Webseite. Sicherlich werde ich dort noch öfter zu Gast sein und mich als evangelische Theologin von den katholischen Perspektiven mutiger Frauen inspirieren lassen.


(1) Martin Jung: Philipp Melanchthon und seine Zeit, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2011, S. 41.

Von Schwachheit, Erfahrungen und tröstlichen Worten

Zur Tätigkeit einer Polizeiseelsorgerin gehört das geistliche Leben im dienstlichen Verantwortungsbereich zu stärken. Neben Gottesdiensten zur Vereidigung gestalte ich daher monatliche Mittagsandachten sowie kleine Andachten im Rahmen der Lagebesprechungen. Letztere werden immer von einem kleinen Andachtsbild begleitet, die in „Hostentaschenformat“ zum Mitnehmen ausgeteilt werden. Manche dieser Bilder poste ich auf meinen Social Media Accounts. Die heutige Andacht liegt mir besonders am Herzen, da sie von einer prägenden Erfahrung erzählt, die mich nach wie vor in meinem Dienst und Glauben stärkt. Daher will ich diese im Rahmen meines Blogs als kleinen Mutmacher Weiterschenken:

Vor etwas mehr als einem Jahr stand auf einmal das Leben für mich still. Von jetzt auf gleich war ich im wahrsten Sinn des Wortes durch einen Unfall und einen daraus resultierenden Armbruch „stillgelegt“ worden. Ausgerechnet drei Wochen vor dem bayerischen Kirchentag, an dem ich eigentlich hätte predigen sollen. Sie können sich vorstellen, welche Panik in mir aufstieg. Wie sollte ich diese Hürde nehmen, wenn noch eine Operation nebst Heilung vor mir stand?

Als ich kurze Zeit später nach der Operation mit einem angeschwollenen Arm zum Physiotherapeuten ging, reagierte er umgehend und schlug mir ein Tape zur Lymphdrainage vor. Es sei an dieser Stelle betont, dass mein Physiotherapeut nichts von dem Symbol des Kirchentages wusste und daher beim Anbringen des Tapes seiner Fachkompetenz und Einschätzung nachging. Ich staunte nicht schlecht, was sich wenig später an einem Arm als Kunstwerk abzeichnete: das Symbol des Kirchentagsplakates wand sich in kräftigem Rot über meine Hand und den Oberarm.

Dabei kam mir ein Bibelvers des Apostel Paulus in den Sinn, der mir tröstlich entgegensprach:

„Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft vollendet sich in der Schwachheit.“ 2. Kor 12,9

Eine gute Woche später war ich bereit für den Kirchentag. Über 9000 Menschen hatten sich versammelt. Es würde wohl die größte Ansammlung an Menschen sein, vor denen ich je predigen dürfte.

Ich will Ihnen mit dieser kleinen Geschichte, die sich über einem Jahr ereignete, Mut machen: Manchmal sind es die schwachen Momente, in denen Gott spricht. Die besonders voll Kraft sind, auch wenn wir das nicht so sehen.

Einen gesegneten „Diensttag“ wünscht Ihnen

Miriam Groß

Andacht Lagebesprechung 20. Juni 2023

Von Kreuzen auf Schultern und an Wegesrändern

Inzwischen fühlt es nach zweieinhalb Jahren fast wie Routine an, wenn ich an meiner Dienstbluse die dunklen Schulterklappen befestige, auf denen jeweils ein goldenes Kreuz abgebildet ist. So oft wie in meiner Berufung zur Polizeiseelsorgerin habe ich noch nie so öffentlich sichtbar ein Kreuz getragen. In der Freizeit hingegen gestaltet sich dies für mich dezenter – manchmal als kleiner Anhänger, manchmal als winziger Ohrring.

An diesem strahlenden Sommersonntag brach ich zu einer kleinen Erkundungstour in der fränkischen Schweiz auf, um etwas Abstand von all dem zu erlangen, was ich die Woche über als Polizeiseelsorgerin gehört und mit erlebt hatte. Kein Kreuz auf der Schulter, kein Ohrring, kein Kreuzanhänger. Dafür umgeben von meiner Familie. Ziel war eine kleine Erkundung und Wanderung vom Gügel zur Giechburg, die über dem Tal mit Blick bis nach Bamberg thront und fast wie ein Tor zur nördlichen fränkischen Schweiz wirkt.

Doch dem Kreuz an sich kann keiner entfliehen – weder im literalen, noch im übertragenen Sinn. Das wurde mir in überraschender Weise auf dieser kleinen sonntäglichen Wanderung bewusst als uns auf dem Weg zur Wallfahrtskirche und dann weiter zur Giechburg ein wunderschöner Kreuzweg Etappe um Etappe begleitete.

In meiner seelsorgerischen Tätigkeit begleite ich Menschen, ob lebensreif oder jung, berufserfahren oder Anfänger, in deren Arbeit für die Bundespolizei oder während der Ausbildung zum Polizisten und der Polizistin. Die Arbeit dort hat mich sehr demütig werden lassen in all dem, was ich höre und vertrauensvoll mit begleiten darf. Viele müssen privat oder beruflich schweres erleben und manchen stößt sogar so viel zu, dass sie drohen, daran zu zerbrechen. An diesen Kreuzen kommen sie nicht vorbei und ich stehe manchmal unter diesem Kreuz und versuche mit auszuhalten, was sie erleben müssen.

Station um Station begleitete uns der Leidensweg Jesu auf unserer Wanderung als plötzlich ein Gedicht die Gedanken in zutreffliche Worte goß. Die Weisheit des Gedichts sprach von den Erfahrungen, die ich persönlich gemacht habe, aber auch als Polizeiseelsorgerin begleitete: Ja, am Kreuz kommt keiner vorbei. Aber als Christin fühle ich mich getragen davon, dass Christus das Kreuz nicht fremd war und uns im Hadern und den Schmerzen versteht- immer mit dem Blick auf die hoffnungsvolle Ewigkeit gerichtet. Wenn wir als Christen das Leid mit aushalten, dann wird mitten in dieser schweren Situation der Hoffnung symbolisch durch die geschenkte Begleitung Raum gegeben.

  1. Am Kreuz kommt keiner vorbei,

an den vielen Feldern und Wegen,

errichtet der Dankbarkeit wegen,

als Trost in der Not uns zum Segen.

2. Am Kreuz kommt keiner vorbei,

mag mancher lästern und scherzen,

voll Zorn und Missmut im Herzen,

das Leben birgt Glück und birgt Schmerzen.

3. Am Kreuz kommt keiner vorbei,

auch wenn wir’s verstecken, verschweigen,

selbst wenn wir es fliehen und meiden,

wir reifen oft mehr noch durch Leiden.

4. Am Kreuz kommt keiner vorbei,

keiner war jemals davon ausgenommen,

woher wir auch immer kommen,

oft trifft’s grad die Guten und Frommen.

5. Am Kreuz kommt keiner vorbei,

nicht Ansehn, nicht Geld und nicht Macht

haben jemals es fertig gebracht,

dass einer im Leben nur lacht.

6. Am Kreuz kommt keiner vorbei,

und mögen wir uns drehen und winden,

wir werden das Leben nur finden,

wenn wir uns im Teilen verbünden.

7. Am Kreuz kommt keiner vorbei,

und keiner kann sich’s ersparen,

sei’s in frühen oder späteren Jahren,

im Kreuz wird das Leben erfahren.

8. Am Kreuz kommt keiner vorbei,

und niemand kann es abwehren,

nicht abwerfen, nur noch erschweren,

wenn wir nicht Mittragen lernen.

9. Am Kreuz kommt keiner vorbei,

ein Zeichen auch unseres Lebens,

ein Baum des Reifens und Segens;

denn ER starb für uns – und nicht vergebens.

10. Am Kreuz kommt keiner vorbei,

wo immer wir es verehren

solls die Hoffnung auf Leben vermehrten,

selbst der Tod kann es uns nicht verwehren.

Martin Seidenschwang

Church of Scotland: Eine Kirche im freien Fall

Die Sonnenstrahlen tauchten das große Symbol der Church of Scotland in gleißendes, helles Licht. In einem senkrechten Oval war ein brennender Dornbusch abgebildet, hinter dem die schottische Flagge ersichtlich war. Der weiße Rahmen mit der Aufschrift „Nec tamen consumebatur“ („und er wurde nicht verzehrt“) unterstrich die Abbildung der biblischen Berufungsgeschichte des Mose (Ex 3,2).

Ich stand vor dem Kirchenamt der reformierten Church of Scotland und betrachtete das Symbol mit gemischten Gefühlen. Seit meiner ersten Auslandsverwendung (2007-2010) als Pfarrerin in Orkney, einer kleinen schottischen Inselgruppe, war mir die reformierte Kirche sehr ans Herz gewachsen. Das Symbol begleitet mich seitdem als Erinnerung an wichtige Erfahrungen, die mich beruflich und privat tief geprägt haben. Doch heute sah ich zum ersten Mal mit großer Sorge auf das wunderschöne Emblem der schottischen reformierten Kirche, während die soeben gehörten Worte einer Kollegin in meinen Ohren widerhallten. In ihnen schwang viel Trauer und gleichzeitig Wehmut als wir uns über die vergangene gemeinsame Zeit unterhielten. Und fast hatte ich den Eindruck als ob kirchliche Dornbusch lichterloh brannte…

„New tamen consumebatur“ – „und er wurde nicht verzehrt“

Das im Emblem der Church of Scotland verwendet Symbol des brennenden Busches führt uns zum Buch Exodus und der Geschichte von Moses. Moses war einem Leben in unvorstellbarem Luxus und Wohlstand in Ägypten entflohen, nachdem er einen ägyptischen Sklaventreiber aus Empörung über dessen Brutalität getötet hatte. Nun war er Schafhirte in der Wildnis. Der biblischen Geschichte zufolge trifft Moses eines Tages beim Hüten seiner Schafe auf einen Busch, der seine Aufmerksamkeit erregt, weil er zu brennen scheint, aber noch nicht verzehrt ist. Als er näher kommt, hört er eine Stimme, die ihm sagt, er solle seine Schuhe ausziehen, weil er auf heiligem Boden stehe. Dort vor dem brennenden Dornbusch begegnet er dem lebendigen Gott, der ihm den göttlichen Namen offenbart und Moses in eine neue Berufung ruft: er soll die hebräischen Sklaven Ägyptens in die Freiheit führen.

Diese biblische Geschichte ist von solch großer Faszination und Kraft, das sie viele Menschen inspiriert hat.

„New tamen consumebatur“ – „und er wurde nicht verzehrt“

So kam es mit der Reformation zu einer Neuinterpretation des Bildes vom brennenden Dornbusch. Insbesondere Johannes Calvin interpretierte das Bild des brennenden Dornbuschs als Symbol der Kirche auf Erden, die mit vielen Schwierigkeiten und Nöten konfrontiert war und dennoch vom Geist Gottes getragen und am Leben erhalten wurde. In diesem Sinne glaubte er, dass die Kirche für immer brannte und doch nicht vom Feuer verzehrt wurde.

Als die Verfolgung reformierter Christen, insbesondere in Frankreich, zuzunehmen begann, wurde dieses Bild des brennenden Dornbuschs immer deutlicher. Die französisch-reformierte Kirche der Hugenotten war im 16. Jahrhundert unter besonderem Druck, und doch eine Kirche, die nicht ausgelöscht, sondern, wie sie glaubten, von Gottes Gegenwart getragen und ihr Glaube an Gottes Gnade kundgetan werden konnte Christus.

Eines der größten Massaker der Reformation fand in Frankreich statt, bekannt als das Massaker am Tag des Heiligen Bartholomäus am 24. August 1572. Es fand während der Feierlichkeiten zur Hochzeit der Schwester des Königs, Margarete, mit dem protestantischen Heinrich von Navarra (dem späteren Heinrich IV. von Frankreich) statt. Viele der reichsten und prominentesten Hugenotten hatten sich im weitgehend katholischen Paris versammelt, um an der Hochzeit teilzunehmen. In der darauf folgenden Tragödie wurden etwa 2000 Protestanten auf den Straßen von Paris ermordet. Diesem Massaker folgten unzählige weitere in anderen französischen Städten.

Das Massaker am Tag des heiligen Bartholomäus im Jahr 1572 erschütterte die reformierte Kirche Frankreichs zitierst und verursachte Auswanderungswellen von Hugenotten in andere umliegende Länder, aber auch Nordirland und Schottland bis hin nach Südafrika.

Die reformierte Kirche war unglaublichem Leid ausgesetzt worden, doch die Botschaft Gottes war weitergetragen und diese Kirchengemeinschaft vom politischen Feuer und Hass nicht verzehrt worden.

„New tamen consumebatur“ – „und er wurde nicht verzehrt“

Das Emblem des Dornbusches fand erstmals 1685 durch William Mure auf der Titelseite seines Buches „The Joy of Tears“ Verwendung, das die Probleme der schottischen Kirche thematisierte. Ab 1691 fand man es auf offiziellen Dokumenten der Church of Scotland und ist seitdem in Verwendung. Das Symbol hat nichts von seiner Aktualität verloren. Im Gegenteil, denn die schottische Kirche befindet sich unter hohem Druck und dessen Zukunft steht massiv auf dem Spiel.

Als ich 2007 nach Orkney entsandt wurde, um die damals neue ökumenische Partnerschaft zwischen der Evangelischen Kirche in Bayern (ELKB) und der Church of Scotland (CoS) einen praktischen Ausdruck zu verleihen und in einigen Jahren Impulse für meine Heimatkirche mit nach Hause zu bringen, erlebte ich die ersten großen Wellen dieser massiven Veränderung. Damals verstand sich die Church of Scotland noch als Nationalkirche. Doch bereits in meiner dreijährigen Amtszeit war diese aufgrund der Bankenkrise, die von Amerika aus auch Europa und damit Schottland erschüttert hatte, vor große finanzielle Probleme gestellt worden. Die finanzielle Verflochtenheit mit Übersee hatte der CoS viel finanziellen Schaden eingebracht, der nun eingespart werden musste. Neben Pfarrstellenkürzungen waren es besonders Kirchengebäude und Pfarrhäuser, die veräußert werden mussten, um die schlimmsten Auswirkungen zu lindern. Ich selbst habe im Auftrag meiner damaligen Gemeinde drei Kirchengebäude veräußert – eine diffizile Aufgabe, die bis dorthin nicht auf dem Horizont meiner Vorstellungen von pfarramtlichen Tätigkeiten gewesen war. Nun musste ich als junge Pfarrerin meine Gemeinde durch diesen Trauerprozess und durch juristische Tiefen begleiten, während ich gleichzeitig versuchte, ihnen beim Heilen und Zusammenwachsen zu helfen.

„New tamen consumebatur“ – „und er wurde nicht verzehrt“

An diesem Apriltag in 2023 war ich erschüttert wieder vor die Türe des Kirchenamtes in Edinburgh getreten. Die gehörten Worte mussten verarbeitet werden. Seit meines Weggangs in 2010 hatten sich die Mitgliedszahlen in dramatischer Weise verändert. Seit 2011 waren die Mitgliederzahlen laut des Berichts der General Assembly von 2022 um 34% gefallen. Ab 2017 befand sich die CoS im freien Fall.

“See, I make all things new”: Report Church of Scotland General Assembly 2022, S. 08 Supplementary Report of the Assembly Trustees, S. 14.

Dr. John Chalmers, Moderator der Church of Scotland 2022, sieht laut Glasgow Times den Grund vor allem im Kontaktverlust mit Millenials bis Generation Z. Diese seien weiterhin auf der Suche nach spiritueller Heimat, würden aber nicht in der Kirche fündig. Daher würde viel Engagement nun in diesen Bereich investiert werden, um die Kirche wieder zukunftsfähig machen zu können.

„Our contact with children and our reach to millennials and Generation Z are marginal. These missing generations are our children and our children’s children. They are not without a desire for spiritual nourishment. They are still in search for meaning and they share many of our values. But all evidence suggests the ways in which these generations will pursue their search for meaning will not be through a top-heavy religious institution. We must invest seriously in new ventures, pioneer ministry and church planting. The time has come for us to cast our bread upon the water before the last one of us finds it is time to switch off the lights and redistribute what is left to other charities with similar aims.“

The Very Rev. Dr. John Chalmers

Meine Kollegin berichtete mir von schmerzhaften Zusammenlegungen, Stellenstreichungen und harten Sparmaßnahmen, die die gesamte Kirche in Sorge um die Zukunft versetzte. Die schiere Zahl an zum Kauf zur Verfügung stehende Kirchen erschreckte mich in den kommenden Tagen meines Schottlandaufenthaltes. Und hinterließ einen bitteren Geschmack beim Betrachten des Emblems. Würde der Dornbusch doch dem Austritts- und Finanzfeuer nicht mehr standhalten können und bald nichts mehr als etwas Asche von der einst so stolzen Nationalkirche, die ich am Beginn meiner Amtszeit kennenlernen durfte, übrig bleiben?

Es sind solche Erfahrungen, die uns in Deutschland hellhörig machen sollten, wenn wir die eigene Mitgliederentwicklung betrachten. Auch hier stehen schmerzhafte Einsparungen an und ein spürbarer Mitgliederschwund wird schon bald nicht nur in Verkäufen von Gebäuden, Schließungen von Einrichtungen und Zusammenlegungen von Gemeinden resultieren. Vielmehr sehe ich auch hier die Zukunft unserer Kirche schneller als gedacht in Frage gestellt. Wenn wir hierauf nicht mit unseren Kernkompetenzen wie Seelsorge und Diakonie auf der einen Seite, und einem Bemühen um die jüngeren Generationen auf der anderen Seite reagieren, fürchte ich um einen ähnlichen Verlauf wie in der Church of Scotland.

Trotz des gleißenden Sonnenlichts war es mir an diesem sonnigen Apriltag eiskalt über den Rücken gelaufen. Bei meinem Besuch hatte ich mit vielem gerechnet, aber nicht damit, eine einst stolze Kirche als eine Kirche in Not wieder aufzufinden. Ich hoffe sehr, dass die inzwischen kleine Church of Scotland Wege aus dieser Not mit Gottvertrauen und Engagement finden wird.

Was uns im Inneren zusammenhält…

Nachdenklich wog ich den kleinen Beutel in meiner Hand. Die Platte nebst sieben Schrauben hatte sich in den letzten zehn Monaten in meiner Hand befunden und den zerschmetterten Knochen zusammengehalten, damit, was vorher eins, nun aber zerbrochen, wieder zusammenwachsen konnte. Die medizinische Prothese nebst Hilfsmittel fühlte sich ungewöhnlich leicht an. Kein Wunder, denn Titan weißt eine hohe Korrosionsbeständigkeit, Festigkeit und geringes Gewicht auf und wird daher vielfach in der Medizin für Implantate, Prothesen und ähnliches verwendet.

Für mich war es ein Geschenk, dass nun der Knochen geheilt war. Doch während ich den kleinen Beutel in meinen Händen hielt, Platten und Schrauben bewundernd betrachtete, wurde eine Frage immer lauter: Was hält uns Menschen im Inneren zusammen, wenn wir drohen zu zerbrechen? Nicht selten war ich in meinem Leben vor schweren Fragen und komplexen Herausforderungen gestanden. Die Verletzung war nicht nur eine physische Herausforderung, sondern hat mich gezwungen dem auf die Spur zu kommen.

Fündig wurde ich in den alten Geschichten, die uns die Bibel überliefert. Trotz der zeitlichen Ferne sind sie in vielem wie aus dem Leben gegriffen. Es sind Erzählungen von Menschen, die drohten zu zerbrechen. Manche hatten sogar Todesangst. Besonders faszinierend fand ich bei meiner Suche nach Antworten die Geschichten, die von maximalen menschlichen Fehlverhalten und tiefen Krisen erzählten. Es sind Geschichten, die uns von einer anderen, einer göttlichen Logik erzählen, die uns Hoffnung und Zuversicht im eigenen Versagen, gerade dann, wenn wir drohen zu zerbrechen, schenken wollen. Sie sind manchmal sperrig. Lassen unsere Gedanken anecken und unsere menschliche Logik an Grenzen stoßen. Die Botschaften sind so etwas wie „biblisches Titan“, das uns vielleicht in einer anderen Extremsituation hilft, wieder zusammenzuwachsen, zu heilen und neue Perspektiven für unser Leben zu finden.

Mitten hinein in diese Angst – vielleicht während wir vom Schmerz eines Bruches, einer Verletzung, eines Verlustes, eines schlimmen Fehlers fast erstickt werden, spricht Gott:

„Ich habe dich je und je geliebt, darum habe ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte.“

Jer 31,3

Sehen wir doch einmal auf die Erzählung um Kain und Abel (Gen 4). Kain hatte aus lauter Eifersucht seinen jüngeren Bruder Abel erschlagen. Eine durch und durch widerliche Tat. Doch statt ihn der nach menschlicher Logik ausstehenden Konsequenz eines Totschlags auszuliefern, wird Kain ein wenn auch ruheloses Leben geschenkt und durch ein Zeichen geschützt. Ihm sollte das Unrecht nicht widerfahren, das er seinem eigenen Bruder angetan hatte. So wurde in letzter Konsequenz durch die göttliche Zusage eine Kette von Gewalt und Gegengewalt durchbrochen.

„Ich habe dich je und je geliebt, darum habe ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte.“

Da ist Rahab, die in der Bibel als Prostituierte in Jericho arbeitet (Jos 2). Ihre Tätigkeit sei hier nicht weiter eruiert. Trotz ihres gesellschaftlich diskutiertem Broterwerbs versprachen ihr die Männer, die sie schützte, das gleiche Recht zu. Als Jericho erobert wurde, hing sie wie vereinbart als Zeichen ein rotes Seil aus ihrem Fenster und wurde zusammen mit ihrer Familie verschont. Nicht immer handeln wir in unserem Leben ethisch korrekt. Der Beruf Rahabs steht für mich als Platzhalter für unsere eigene Gebrochenheit, die anderen und uns vielleicht schwieriges zumutet. Dennoch werden wir vor dem Schlimmsten bewahrt und erhalten die Möglichkeit eines Neubeginns.

„Ich habe dich je und je geliebt, darum habe ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte.“

Zwei schwerfällige Geschichten, die von Menschen, die in Gefahr stehen zu zerbrechen, erzählen und von Gottes Güte, die sie zusammenhält. Es sind Extremgeschichten des Lebens. Wie oft stehen wir vor eigenen verheerenden Situationen. Die Titanplatte nebst Schrauben werden mich an beides erinnern: an einen schmerzhaften Unfall, aber auch die Möglichkeit wieder heilen und mit „neuer“ Hand zuversichtlich mein Leben unter Gottes Schutz und Begleitung weiter gehen zu dürfen.

Das wünsche ich Ihnen, lieber Blogleser, liebe Blogleserin, ebenso. Denn die Situation mag noch so verheerend sein, Gott liebt uns und zieht uns mitten in all dem Schlimmen zu sich aus lauter Güte.

Von Jahreswechsel und Segenswünschen für 2023

Das Jahr 2022 geht zu Ende. Wie sicherlich Millionen andere Menschen, gönne ich mir die Zeit zur Rückschau. Das fast vergangene Jahr zu würdigen ist für mich wie ein kleiner Abschluss dessen was war, und macht mich bereit für das Neue, das vielleicht kommen wird.

2022 war ein sehr durchwachsenes Jahr. Das erlebte Spektrum der zwölf Monate des fast vergangenen Jahres hat mich kaum zu Atem kommen lassen.

Faszinierende Höhen erleben und dunkle Tiefen meistern,

wunderbare Erfahrungen machen und tiefe Verletzungen überdauern,

neue Freunde gewinnen und liebe Menschen verlieren,

Glücksmomente auskosten und schmerzhafte Enttäuschungen verarbeiten,

nie geahnte Leistungen vollbringen und gesundheitliche Herausforderungen schultern,

geschenkte Liebe dankbar entgegennehmen und erlebten Haß stehen lassen…

All diese Geschenke und Herausforderungen des fast vergangenen Jahres seien in Gottes gute Hände zurück gelegt. Möge er alles zum Segen werden lassen.

Gebet am Altjahresabend
Pfarrerin Miriam Groß

Was wird 23 bringen? Über die Bedeutung der Zahl haben sich viele den Kopf zerbrochen.

23 ist ungerade und eine Primzahl.

Der Biorhythmus nach Swoboda/Fließ wiederholt sich alle 23 Tage.

Ein einfacher menschlicher Chromosomensatz besteht aus 23 Chromosomen.

Den Spekulationen möchte ich in meinem Blog keinen Raum einräumen. Doch tröstlich fündig bezüglich der neuen Jahreszahl wurde ich in der Bibel: Psalm 23 ist ein wunderschöner Glaubenstext, der von großem Vertrauen in Gott spricht. Die Worte haben viele Generationen getragen. Für mich steht dieses kommende Jahr unter dem Motto dieses Psalms. Aus eigener Erfahrung schätze ich die tiefe Weisheit der Worte, die in meinem Leben schon oft eine große Relevanz hatten.

Zum Jahreswechsel möchte ich euch angelehnt an Psalm 23 einen kleinen Segenswunsch weitergeben.

Ich danke euch, allen Leserinnen und Lesern meines kleinen Blogs, dass ihr meinen Worten und Gedanken Raum und Zeit geschenkt habt. Möge Gottes Segen euch in 2023 begleiten!

Eure Miriam Groß

Der HERR ist mein Hirte, Möge der HERR in diesem Jahr mit dir sein,

mir wird nichts mangeln. damit du nicht darben musst.

Er weidet mich auf einer grünen Aue Möge er für dich sorgen

und führet mich zum frischen Wasser. und dir alles Notwendige zukommen lassen.

Er erquicket meine Seele. Möge er deine Seele nähren.

Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen. Möge er dich auf rechtem Weg führen.

Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, Und solltest du durch dunkle Zeiten gehen.

fürchte ich kein Unglück; wünsche ich dir, dass du furchtlos bist;

denn du bist bei mir, denn Gott wird mit dir sein,

dein Stecken und Stab trösten mich. denn er wird dich leiten und bewahren.

Du bereitest vor mir einen Tisch Er möge für dich sorgen –

im Angesicht meiner Feinde. gerade dann, wenn Menschen es schlecht mit dir meinen.

Du salbest mein Haupt mit Öl Möge dir Gutes entgegenkommen

und schenkest mir voll ein. und mögest du ab und an Überfluss an Schönem erleben.

Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, Dein ganzes Leben sollst du wissen, dass du gesegnet bist,

und ich werde bleiben im Hause des HERRN immerdar. damit du dich traust, im Glauben Wurzeln zu schlagen.

Pfarrerin Miriam Groß

Anbei ein kleines Grußvideo mit Segenswunsch zum neuen Jahr:

Gedanken am Rand von Kirche 2: Gegenwart und Zukunft der Kirche

Schwer lag die kleine, schwere Glocke in meiner Hand. Ich wog sie nachdenklich hin und her, bevor ich sie zum Läuten brachte, um meine Familie an den reich gedeckten Abendessenstisch zu rufen. Wie unsere Familienglocke, so war es mir als ob die Institution Kirche in die Jahre gekommen war. Der Glanz ist weg und seit kurzem einem durchaus schmerzhaften Realismus gewichen. Seit gut eineinhalb Jahren arbeite ich nach vielen Jahren Gemeindedienst nicht mehr im Pfarramt und tauche nicht nur beruflich als Seelsorgerin bei der Bundespolizei in ein anderes Tätigkeitsfeld ein, sondern bin gemeinsam mit meiner Familie das erste Mal seit langer Zeit ein einfaches Gemeindeglied. Wochentag und Wochenende. Arbeitszeit und Freizeit. Es sind unbekannte Rhythmen, die mir neue, wertvolle Einblicke in die Realität eines Kirchenmitgliedes schenken. Ich sehne mich nach einer Gemeinschaft, die Freud und Leid, Höhen und Tiefen des Lebens mit uns teilt. Erleben darf ich sie an ganz anderer Stelle: im Bereich der Bundespolizei. Vereidigungen, Festtage, aber auch Tod und Trauer vereinen uns über Religions- und Konfesssionsgrenzen hinweg.

Kirchenmitgliedschaft ist dort alles andere als selbstverständlich. Durch meine Lehrtätigkeit als Polizeiseelsorgerin weiß ich, dass die meisten meiner Polizeimeisteranwärterinnen und -anwärter keiner verfassten Kirche angehören und sich sehr selten einer Religion zugehörig fühlen. Kirchenskepsis und starke Kirchenkritik prägen diese Generation von Auszubildenden, die zwischen 16 und Ende 30 sind. Der von Till Reiners kirchlich viel kritisierte Beitrag im Rahmen der „Heute-Show“ findet begeisterte Aufnahme. Man mag die Inhalte so viel diskutieren, wie man will- für viele ist das nur eine Bestätigung ihrer bereits geformten Meinung über Kirche und Glaube.

Ich erlebe nun in meiner Tätigkeit als Seelsorgerin die Zukunft dessen, was Kirchengemeinden erwarten wird: dass Kirche und Gläubige in der Minorität sein werden. Eher die Ausnahme als die Regel. Das sollte zumindest unsere evangelische Kirche wachrütteln. Für mich stellt sich angesichts meiner langjährigen Erfahrungen im In- und Ausland die Frage, was Kirche eigentlich ausmacht und wie sie trotz der bereits immanenten Krise sich als Botschafterin des Glaubens bewähren kann. Eine glaubwürdige Zeugin sollte sie wieder sein, die nach Innen und Außen wirkt und sich an ihre Berufung durch Jesus Christus orientiert. Von der Nabelschau auf unterschiedlichen kirchlichen Ebenen habe ich leider mehr als genug miterleben dürfen. Eine freudige Glaubensgemeinschaft wünsche ich mir, die in der Ambivalenz des Lebens nach Innen und Außen die hoffnungsvolle Zuversicht des Glaubens weiter schenkt.

Freude – wahre Freude. Keine durch Konsum evozierte, vergängliche, sondern eine Freude, die in den Höhen und Tiefen zusammenhält und trägt, weil sie aus der tiefen Quelle des Glaubens gespeist wird.

In New York und Bamberg durfte ich mehrere Schabbat-Gottesdienste besuchen. Ich war jedes Mal überwältigt von der Freude, die am Freitagabend in die gottesdienstlich versammelte Gemeinde einzog als der Schabbat wie eine geschmückte Braut freudig willkommen geheißen wurde. Nachdem wir aufstanden und sie symbolisch begrüßten, ging der Gesang in einen Jubel über, der uns alle erfasste. Ich vermisse solch eine überschwängliche, überfließende, sich anderen schenkende Freude in unseren lutherischen Gottesdiensten.

Die Theologin Angela Williams Gorrell hat ähnliche Erfahrungen rund um den Schabbat machen dürfen. Während ich offizielle Gottesdienste zum Beginn des Feiertages in New York und Bamberg mehrfach besucht habe, berichtet sie in ihrem Buch „The Gravity of Joy“ von einer anschließenden Einladung in einen Privathaushalt:

„After the worship service, we gathered in a dining hall that had been specially prepared for hours before sundown so that no work would be done during the dinner. The tables were set, the candles were lit, and the food had been cooked.

Our only job was to eat course after course and talk about life as we enjoyed the meal and conversation with one another.

About an hour into the dinner, a man stood up on a chair and started clapping and singing loudly – no instruments, just his energy and voice and hands sounding together. He invited everyone in the room to join hin.

We need other people to invite us to rejoice as much as we need other people to invite us to befriend anger and fear and open lament.

We need to be trained in crisis care, and we need to witness pain and respond meaningfully to suffering – but we need joy too. At different points in our lives, our capacity for joy is enhanced or restricted by what we are facing. People have different capacities of joy.“

Angela Williams Gorrell: The Gravity of Joy, Grand Rapids, Michigan, USA 2021, p. 174.

Es wäre doch schon mal ein gelingender Anfang, wenn wir diese Freude ausstrahlen würden, anstatt durch einen oftmals traditionellen Gottesdienst abzuschrecken, der nur noch von denen verstanden wird, die dessen Sprache gelernt haben zu sprechen. (Der kritische Leser wird anmerken, dass es durchaus moderne Formate gäbe. Dem kann ich nur zustimmen, wobei die meisten besuchbaren Gottesdienste klassisch gestaltet sind und moderne Formate die Ausnahme darstellen. Und welcher Jugendliche oder junge Erwachsene besucht schon gern um 9:30 Uhr oder 10 Uhr nach durchfeierter Nacht einen Gottesdienst?)

Ich läutete ungeduldig unsere kleine Essensglocke. Doch der Glockenklöppel verhakte sich immer wieder und gab nur einen dumpfen leisen Klopfton ab, der sicherlich nur schwer durch die Zimmertüren dringen würde. Ob es mir gelingen würde, meine eigenen Kinder für Kirche zu begeistern? Seit eineinhalb Jahren lag das nicht mehr in meiner Hand. Ich hatte über viele Jahre versucht, die Grundlagen dafür zu schaffen. Würde die Kirche als glaubhafte, zugewandte Glaubenszeugin, die Gemeinschaft stiftete und Sinn schenkte, zu ihnen durchdringen oder ihr Rufen vor deren Tür wie dumpfe Glockenschläge verklingen?

Von einem wertvollen Centstück und dem Scherflein der armen Frau

Hektisch hatte ich die Taschen meiner Winterjacke, dann meiner Lieblings-Fleecejacke durchsucht. Doch nirgends war das Centstück zu finden. Ich schüttelte leise vor mich hinmurmelnd den Kopf und dachte nochmals scharf nach als mir plötzlich die Idee kam, in meiner Jeanshose nachzusehen. Ich griff in die rechte Hosentasche der in die Jahre gekommenen Jeans und spürte das kühle, kleine runde Glatt der Münze in meiner Hand. Ein tiefer Seufzer der Erleichterung entwich mir. Endlich hatte ich das Centstück wieder gefunden.

Während ich die glänzende Münze in meiner Hand hin und her drehte, musste ich an die liebe Kundin denken, die mir diese vor einigen Wochen geschenkt hatte. Über die Kuchentheke der Tafel hinweg hatte sie mir freudestrahlend ein mit Centstücken gefülltes Glas hingehalten. „Ich habe Ihnen etwas mitgebracht! Nehmen Sie als kleines Geschenk einen Cent heraus. Der soll Ihnen Glück bringen und Sie an mich erinnern. Durch Ihre Arbeit hier bei der Tafel helfen Sie mir und meiner Familie über die Runden zu kommen.“ Ich schluckte schwer während ich spürte, wie meine Augen sich mit Tränen füllten. Daher griff ich schnell in das Glas und lies das Centstück in die rechte Hosentasche meiner Jeans verschwinden. „Herzlichen Dank! Der Cent wird mich immer an Sie erinnern. … Was kann ich heute Gutes für Sie tun? … Wie immer etwas mit Schokolade für Ihre Kinder?“ Die Frau strahlte zurück und nickte während ich ihr ein schokoladiges Kuchenpaket zusammenstellte.

Das Centstück wurde ab diesem Tag zu einem wertvollen Erinnerungsstück an eine besondere Frau, die unverschuldet in eine schwere Notlage geraten war und ihre Familie mit der Hilfe der Bamberger Tafel über die Runden brachte. An diesem Nachmittag war ich sehr erleichtert, die wertvolle Münze wieder in meinen Händen zu halten.

Immer wieder erinnert mich das besondere Geschenk an die biblische Geschichte, die als „Das Scherflein der Witwe“ bezeichnet wird:

Und er [Jesus] lehrte sie und sprach: Seht euch vor vor den Schriftgelehrten, die gern in langen Gewändern umhergehen und sich auf dem Markt grüßen lassen und sitzen gern obenan in den Synagogen und beim Gastmahl; sie fressen die Häuser der Witwen und verrichten zum Schein lange Gebete. Die werden ein umso härteres Urteil empfangen.

Und Jesus setzte sich dem Gotteskasten gegenüber und sah zu, wie das Volk Geld einlegte in den Gotteskasten. Und viele Reiche legten viel ein. Und es kam eine arme Witwe und legte zwei Scherflein ein; das ist ein Heller. Und er rief seine Jünger zu sich und sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr in den Gotteskasten gelegt als alle, die etwas eingelegt haben. Denn sie haben alle von ihrem Überfluss eingelegt; diese aber hat von ihrer Armut ihre ganze Habe eingelegt, alles, was sie zum Leben hatte.

Mk 12,38-44

Das Wort „Scherf“ oder Mittelhochdeutsch „scherben“, „scharben“, „einschneiden“ ist mit der dem Begriff der Scherbe verwandt. Früher hatten Silberpfennige Sollbruchstellen, damit sie für kleinere Werte geteilt werden konnten. Nach dem Brechen wurden sie als „Scherben“ bezeichnet. (1) Das Scherflein ist die Verkleinerungsform von Scherf. Martin Luther hatte in seiner Übersetzung von Mk 12,42 das Wort mit „Scherflein“ wiedergegeben und damit einen kleinen, aber anerkennenswerten Beitrag zum Ausdruck bringen wollen.

Die junge Familienfrau hatte mich durch ihr kleines Geschenk reich beschenkt, denn trotz ihrer Armut und Angewiesenheit auf Hilfe wie die der Tafel gab sie uns Helferinnen und Helfern von Herzen etwas von ihrem wenigen Hab und Gut. Dies mag nominell wenig sein, aber wie wir aus der biblischen Geschichte erfahren, ist es ungemein mehr als das einer reichen Person, die in Überfluss lebt.

Seit diesem Tag ist mir das kleine Centstück zu einer wichtigen Erinnerung und einem Ansporn geworden, den Segen, den Gott so vielfältig in mein Leben legt, mit anderen zu teilen, die im wahrsten Sinn des Wortes jeden Cent umdrehen müssen, um über die Runden zu kommen.


(1) Siehe: Kluge. Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Bearbeitet von Elmar Seebold. 25., durchgesehene und erweiterte Auflage. De Gruyter, Berlin/Boston 2001; Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. Erarbeitet unter der Leitung von Wolfgang Pfeifer. 2., durchgesehene, verbesserte und ergänzte Auflage. Akademie, Berlin 1993; unter Scherflein.

My dear Jewish friend 7: Shabbat Shira, the New Year of the Trees and songs of praise

After riding with my bicycle through a cold starry January evening to the local synagogue in Bamberg, I thankfully entered the warm and cozy building. Rabbi Dr. Almekias-Siegl had invited me for the Shabbat service and the following festive evening of Tu B´Shvat. As I sat down in a pew, my cold and stiff limbs started to thaw with every word spoken and every song rising.

When Rabbi Dr. Almekias-Siegl explained in his sermon that this evening was Shabbat Shira, my thoughts immediately traveled across the miles to your synagogue and Rabbi Shira Milgrom. My heart silently began to sing as I was reminded of you. What a coincidence to be invited on Shabbat Shira to this synagogue. I suddenly understood why the Rabbi had pointed out to others that my first name was Miriam (as you know in Germany you usually call each other by the surname). It never occurred to me that the names „Shira“ and „Miriam“ are closely intertwined in such significant ways. This special Shabbat not only flabbergasted me, but helped me to understand more about our shared commitment. Shabbat Shira emphasises the Song of the Sea and the Miriams song, which has always has been near to my heart. It is one of the greatest songs of the Torah:

I will sing to the LORD, for he has triumphed gloriously;

horse and rider he has thrown into the sea.

The LORD is my strength and my might,

and he has become my salvation;

this is my God, and I will praise him,

my father’s God, and I will exalt him.

The LORD is a warrior;

the LORD is his name.

“Pharaoh’s chariots and his army he cast into the sea;

his picked officers were sunk in the Red Sea.

The floods covered them;

they went down into the depths like a stone.

Your right hand, O LORD, glorious in power—

your right hand, O LORD, shattered the enemy.

In the greatness of your majesty you overthrew your adversaries;

you sent out your fury, it consumed them like stubble.

At the blast of your nostrils the waters piled up,

the floods stood up in a heap;

the deeps congealed in the heart of the sea.

The enemy said, ‘I will pursue, I will overtake,

I will divide the spoil, my desire shall have its fill of them.

I will draw my sword, my hand shall destroy them.’

You blew with your wind, the sea covered them;

they sank like lead in the mighty waters.

Who is like you, O LORD, among the gods?

Who is like you, majestic in holiness,

awesome in splendor, doing wonders?

You stretched out your right hand,

the earth swallowed them.

In your steadfast love you led the people whom you redeemed;

you guided them by your strength to your holy abode.

The peoples heard, they trembled;

pangs seized the inhabitants of Philistia.

Then the chiefs of Edom were dismayed;

trembling seized the leaders of Moab;

all the inhabitants of Canaan melted away.

Terror and dread fell upon them;

by the might of your arm, they became still as a stone

until your people, O LORD, passed by,

until the people whom you acquired passed by.

You brought them in and planted them on the mountain of your own possession,

the place, O LORD, that you made your abode,

the sanctuary, O LORD, that your hands have established.

The LORD willI will sing to the LORD, for he has triumphed gloriously;

horse and rider he has thrown into the sea.

The LORD is my strength and my might,

and he has become my salvation;

this is my God, and I will praise him,

my father’s God, and I will exalt him.

The LORD is a warrior;

the LORD is his name.

“Pharaoh’s chariots and his army he cast into the sea;

his picked officers were sunk in the Red Sea.

The floods covered them;

they went down into the depths like a stone.

Your right hand, O LORD, glorious in power—

your right hand, O LORD, shattered the enemy.

In the greatness of your majesty you overthrew your adversaries;

you sent out your fury, it consumed them like stubble.

At the blast of your nostrils the waters piled up,

the floods stood up in a heap;

the deeps congealed in the heart of the sea.

The enemy said, ‘I will pursue, I will overtake,

I will divide the spoil, my desire shall have its fill of them.

I will draw my sword, my hand shall destroy them.’

You blew with your wind, the sea covered them;

they sank like lead in the mighty waters.

Who is like you, O LORD, among the gods?

Who is like you, majestic in holiness,

awesome in splendor, doing wonders?

You stretched out your right hand,

the earth swallowed them.

In your steadfast love you led the people whom you redeemed;

you guided them by your strength to your holy abode.

The peoples heard, they trembled;

pangs seized the inhabitants of Philistia.

Then the chiefs of Edom were dismayed;

trembling seized the leaders of Moab;

all the inhabitants of Canaan melted away.

Terror and dread fell upon them;

by the might of your arm, they became still as a stone

until your people, O LORD, passed by,

until the people whom you acquired passed by.

You brought them in and planted them on the mountain of your own possession,

the place, O LORD, that you made your abode,

the sanctuary, O LORD, that your hands have established.

The LORD will reign forever and ever. reign forever and ever.

Exodus 15:1-18

It is the song of the people of Israel at the Red Sea, when your people were saved from the pharaoh through G´d. Being named after biblical Miriam, I was always drawn to the story of the exodus. Many a times I shivered about the pressure, toil and hardship Israel had to bear in Egypt, the plagues, and the miracles Moses performed through G´d.

For me as a Lutheran pastor committed to seeking peace and justice, this story is a symbol of triumph after difficult times and that G´ds promise of justice and freedom can be reached. Many times it takes the struggles of numerous generations until justice becomes reality.

But how quickly do we get used to a peaceful and just surrounding? You and I, we both had the privilege to grow up in peaceful times. Through the history of our nations, which are intertwined through the murderous crimes of the Holocaust, we should remember with huge thankfulness that we are blessed with peace.

The nearness of Tu B´Shvat on this Shabbat may help us to remember that the Creator has provided us with everything we need. The New Year of the trees celebrates the fruit of the tree, the vegetables, the plants that give air to the world and so much more. As the Rabbi shared his memories of celebrating „the New Year of the Trees“ in Israel I could feel the joy spreading in the small diaspora synagogue and once more my longing to visit Israel has been awakened again. (I truly hope to be able to spend time there as soon as this pandemic is over.) As we entered the small communal space on the ground floor, a beautiful meal was prepared for us with more fruits than we could eat and we indulged in fruits, which came from your homeland Israel.

As I ate the carefully selected and beautifully presented fruits, I had to think of all the blessings laid into my life. I don’t have to worry about food or a roof over my head, and am blessed in so many ways. But how often do we forget that the basic things in life are small wonders in themselves? Working in your pantry, getting to know your synagogue, and experiencing how quickly even basic things like food can be taken from you, have changed my perspective both on the song of Miriam and the basic things in life.

I think it is our challenge, to recognise the everyday gifts received from above, and to share these blessings with those, who are less fortunate than us. For them they are wonders and free those, who are less fortunate from their bondage hunger and economical troubles. May our actions become very practical, recognisable songs of Miriam as we use our hands, hearts, and lips to give praise to the one, who has called us to pursue peace and justice.

Zu Gast bei Initiative 27. Januar

Am Abend des Epiphanienfestes war ich zu Gast bei Initiative 27. Januar. Im neuen, modernen Talkformat bei Instagram durfte ich mit Herrn Matthias Böhning meine biografischen und theologischen Zugänge zu Friedens- und Versöhnungsarbeit, Rassismus und Antisemitismus in Übersee und Deutschland sprechen. Es war eine spannende Unterhaltung, die mir sehr viel Spaß gemacht hat. Ich danke Herrn Böhning sehr für diese Einladung und lege die Initiative allen Leserinnen und Lesern ans Herz! Mitmachen könnt ihr bereits jetzt ganz konkret durch die Unterstützung des Projekts „Weiße Rosen und Briefe für Holocaustüberlebende“ (Link).

Hier ist der Zugang zum Video, der auf IGTV gepostet wurde: