Von Wanderungen, geschwollenen Füßen und prägenden Erfahrungen

Mein Blick schweifte über das spektakuläre Panorama, das sich vor mir ausbreitete, während ich meine geschwollenen, heißen Füße von mir streckte, die in den von trockenem Staub überzogenen Dienststiefeln steckten. Die Aussicht, die der Staffelberg in das Maintal und das Coburger Land schenkte, war eine wunderbare Belohnung für einen stundenlangen Marsch, der viele von uns an die Grenzen der Leistungsfähigkeit geführt hatte. Im ersten Ausbildungsjahr durchlaufen angehende Polizistinnen und Polizisten begleitet durch ein engagiertes Lehrpersonal mehrere Außenausbildungen – der Orientierungsmarsch ist hierbei der anstrengendste Abschnitt.

Mich erfüllte an diesem heißen Sommernachmittag tiefe Dankbarkeit und erinnerte mich an eine Bibelstelle, die eine solche zum Mittelpunkt ihrer Gedanken hat. Hierbei reflektiert ein unbekannter Autor die Geschichte Israels, deren Wüstenwanderung und die Überwindung dieser schweren Herausforderung in dankbaren Worten der erfahrenen Bewahrung. Mit etwas Amüsement stellte ich fest, dass die Israeliten laut Bibel selbst nach vierzig Jahren keine geschwollenen Füße hatten. Meine Füße hingegen fühlten sich an wie in einer viel zu heißen Sauna, pochten und schmerzten trotz einer durchaus weniger weiten Distanz als das Volk Israel durchlaufen hatte.

Deine Kleider sind nicht zerrissen an dir, und deine Füße sind nicht geschwollen diese vierzig Jahre.

Dtn 8,4

Als Mittvierzigerin und Seminarälteste hatte mich dieser Orientierungsmarsch zugegebener Maßen an das Maximum meiner physischen Leistungsfähigkeit gebracht. An jedem beruflichen Ort, an den ich berufen wurde, ist es mein Anspruch, mit ganzem Herzen, ganzer Seele, ganzer Kraft und ganzem Verstand präsent zu sein. Das galt für jeden beruflichen Abschnitt- ob Land-, Insel-, Großstadt-, EKD-Auslandspfarrerin oder Polizeiseelsorgerin. Die geschwollenen Füße nebst anderem kleinen „Souvenir“ nahm ich dabei gern in Kauf, denn es ist meine Aufgabe, meine Nächsten in deren Lebens- und Arbeitsumfeld zu begleiten. Nahe bei den Menschen zu sein, die uns Gott anvertraut hat, ist aus meiner Sicht die Aufgabe von Gottes „Bodenpersonal“.

An diesem heißen Sommertag, an dem wir Temperaturen bis 32C hatten und meine Uhr am Ende von unserer Wanderung 34,4 km anzeigte, war ich die Beschenkte. Denn ich durfte miterleben, wie eine Lehrgruppe weiter zusammenwuchs, einander in schweren Phasen der Wanderung unterstützte und auch ich als Teil ihrer Gruppe in meinem persönlichen Tiefpunkt vom Seminarleiter und Auszubildenden gestützt wurde.

Die Gruppe angehender Polizistinnen und Polizisten durchzog das tiefe Tal einer herausfordernden Wanderung in imponierender Weise und ging von einer Kraft zur anderen bis sie endlich gemeinsam mit uns als Lehrpersonal den spektakulären Staffelberg erklommen hatte. Und vielleicht war es ja für den einen oder die andere wie für mich eine spirituelle Erfahrung, die Gemeinschaft, Umgang mit Grenzen, tiefen Leistungstälern und Kraftorten miteinander verband.

Psalm 84 bettet dies in wunderbare Glaubensworte, die ich auch meinen Auszubildenden von ganzem Herzen wünsche:

Wohl den Menschen, die dich für ihre Stärke halten
und von Herzen dir nachwandeln!
Wenn sie durchs dürre Tal ziehen, /
wird es ihnen zum Quellgrund,
und Frühregen hüllt es in Segen.
Sie gehen von einer Kraft zur andern
und schauen den wahren Gott in Zion.

Psalm 84,6-8

Ein Gedanke zu “Von Wanderungen, geschwollenen Füßen und prägenden Erfahrungen

  1. Avatar von Kurt Hendel Kurt Hendel

    This post is a beautiful confirmation of your pastoral identity, your desire to walk with the people whose spiritual wellbeing you are called to foster, and your recognition that our wondrous God accompanies us, even when we march through valleys and mountain tops and have to tolerate swollen feet. Thank you for your pastoral heart and your faithful ministry.

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